Die Hochschule lässt die Demonstranten über eine Stunde lang gewähren. Mehrere Zuschauer in den oberen Etagen des Hauptgebäudes solidarisieren sich mit der Kundgebung. Ein zweifelhaftes Schauspiel.
Am Freitagmittag ist es im Hauptgebäude der ETH Zürich erneut zu einem Sitzstreik gekommen. Rund fünfzig Personen nahmen in der Eingangshalle Platz und skandierten «Free, free Palestine!», «Cease fire right now!», «No tech for genocide!» und weitere Parolen, die Israel das Existenzrecht absprechen. Die unbewilligte Kundgebung war etwa halb so gross wie die erste derartige Aktion am gleichen Ort Anfang Mai. Auch linke Kampfparolen waren zu hören («Hoch! Die! Internationale Solidarität!») sowie Rufe, mit denen die Protestierenden sich selber kurzerhand zum Opfer der israelischen Militäraktion im Gazastreifen machten («We are all children of Gaza!»).
Später waren auch Sprechchöre auf Schweizerdeutsch zu hören: «Solidarisiere! Mitproteschtiere!» Die meisten Unbeteiligten in der Halle indes nahmen die Demonstration schulterzuckend zur Kenntnis. Einige vorbeieilende Studenten machten Fotos. Andere konnten sich ein bemitleidendes Lächeln nicht verkneifen angesichts der dramatischen Gesänge und der Selbstinszenierung der jungen Menschen auf dem Boden. Wieder andere hielten sich die Ohren zu. Eine junge Frau applaudierte kurz und ging dann weiter.
«We want dialogue!» – Wirklich?
Einige der Protestierenden trugen Corona-Masken oder Palästinensertücher vor dem Mund. Andere hatten Hoodies tief ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden. Immer wieder beklatschten und bejubelten sich die Aktivisten selber.
Auf einem Flugblatt gab die Gruppierung, die sich «Students for Palestine» nennt, mittlerweile bekannte Forderungen von sich: Die ETH Zürich müsse endlich Stellung beziehen gegen den «Genozid» und die «Massenvertreibung», die im Gazastreifen vor sich gingen. Israelische Universitäten, die Israels Regierung und Militär unterstützten, seien zu boykottieren. Die ETH müsse sämtliche Projekte, die sie mit israelischen Partnern verfolge, offenlegen.
Die Verantwortlichen der Hochschule liessen die Demonstranten zunächst gewähren. Nach einer halben Stunde betrat ein Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts die Szene und forderte die Anwesenden per Megafon dazu auf, das Gebäude zu verlassen. Man gebe ihnen noch eine halbe Stunde. Falls die Protestierenden dem nicht Folge leisteten, werde die Polizei die Versammlung auflösen.
Mit der NZZ wollten die Studierenden nicht sprechen. Dies deshalb, weil man mit der Berichterstattung dieser Zeitung über den Gaza-Krieg nicht einverstanden sei. Proteste gegen Israel seien legitim, mit Antisemitismus, der Israel-Kritikern vorgeworfen werde, habe dies nichts zu tun. Das hinderte die Demonstrierenden jedoch nicht daran, «We want dialogue!» und «Protect free speech!» zu rufen.
Sympathien für antiisraelische Professorin
Einer der Anwesenden hielt ein Schild mit folgender Aufschrift in der Hand: «We stand for Samia Henni». Die ETH-Gastprofessorin ist eine der Mitunterzeichnerinnen eines internationalen Aufrufs einer Gruppierung namens «Architects and Planners Against Apartheid», der im vergangenen November veröffentlicht wurde und Israel «Genozid» und «Urbizid» vorwirft, also die gezielte Zerstörung von Städten. Der Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten vom 7. Oktober wird darin mit keinem Wort erwähnt. Genauso wenig wie auf dem Flugblatt der «Students for Palestine» am Freitag in Zürich.
Nach Ablauf der von der ETH gesetzten Frist, um kurz vor 13 Uhr 30, entfernten sich die meisten der Protestierenden aus der Halle. Zwölf Personen blieben jedoch sitzen und skandierten ihre Parolen munter weiter. Beifall gab es dafür auch von mehreren Zuschauern in den oberen Etagen des Gebäudes. Auch einige der Demonstranten hatten in den oberen Stockwerken Stellung bezogen. Die lautstarken Sprechchöre unten in der Halle wurden oben erwidert – ein zweifelhaftes Schauspiel im wichtigsten Gebäude der ETH.
Zehn Minuten später und nach Ablauf eines weiteren Ultimatums durch die Polizei wurden die Demonstranten von den Sicherheitskräften zum Ausgang zur Polyterrasse geleitet, einer nach dem anderen, unter Buhrufen der übrigen Sympathisanten und Mitläufer. Einige Teilnehmer leisteten passiven Widerstand und mussten von den Polizisten nach draussen getragen werden. Dort wurden ihre Personalien aufgenommen. Die ETH hat Strafanzeige gegen den harten Kern der Demonstranten eingereicht. Sie müssen sich nun wegen Hausfriedensbruchs verantworten.