Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist am Mittwoch angeschossen und schwer verletzt worden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Ein Attentat auf Ministerpräsident Robert Fico hat die Slowakei in einen Schockzustand versetzt. Fico war am Mittwochnachmittag von einem Angreifer angeschossen worden, als er sich nach einer Kabinettssitzung ins Freie begab, um wartende Anhänger zu begrüssen. Er musste per Rettungshelikopter in ein nahe gelegenes Spital transportiert und notoperiert werden. Fico warnte erst vor wenigen Tagen vor drohenden Gewalttaten.
Was ist über das Attentat bekannt?
Der Angriff ereignete sich in der Stadt Handlova, rund 150 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava. Die Regierung hatte dort am Mittwochnachmittag eine Sitzung abgehalten. Fico ging im Anschluss an die Sitzung ins Freie und mischte sich unter seine Anhänger, als plötzlich Schüsse fielen.
Der mutmassliche Täter soll laut Zeugenaussagen Fico etwas zugerufen haben. Der Ministerpräsident ging daraufhin auf ihn zu und wollte ihm die Hand schütteln, bevor aus unmittelbarer Nähe mehrere Schüsse auf ihn abgegeben wurden. Laut Innenminister Matus Sutaj Estok hat Fico ein «Polytrauma», mehrere schwere Verletzungen, erlitten. Er habe Schusswunden am Bauch und am Arm. Sicherheitskräfte brachten den verletzten Politiker in seiner Dienstlimousine vom Tatort weg. Danach wurde Fico mit einem Rettungshelikopter in ein Spital im 30 Kilometer entfernten Banska Bystrica transportiert.
Mehrere slowakische Experten übten im Nachgang an das Attentat Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen. Sie werfen den Sicherheitskräften vor, chaotisch vorgegangen zu sein und den Politiker nicht ausreichend geschützt zu haben. Nun prüfen auch die Behörden das Verhalten von Ficos Leibwächtern. Entsprechende Ermittlungen «wegen Behinderung der Aufgaben eines Amtsträgers» seien bereits am Mittwoch eingeleitet worden, sagte eine Behördensprecherin der Nachrichtenagentur TASR am Donnerstag.
Was ist über den Gesundheitszustand von Robert Fico bekannt?
Das Spital verhängte eine Informationssperre, weshalb es zunächst nur zögerliche Informationen und viele Spekulationen über den Gesundheitszustand von Fico gab.
Die slowakische Regierung hatte am Mittwochabend mitgeteilt, dass Ficos Zustand lebensbedrohlich sei und er sich einer mehrstündigen Notoperation unterziehen müsse. Der rechtspopulistische Umweltminister Tomas Taraba teilte in der Nacht zum Donnerstag mit, dass die Operation gut verlaufen sei und Fico sich derzeit nicht mehr in Lebensgefahr befinde. Slowakische Medien hatten am frühen Morgen berichtet, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt. Eine offizielle Stellungnahme der Regierung gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Am Donnerstagmorgen gab Robert Kalinak, Verteidigungsminister und Ficos erster Stellvertreter, eine Pressekonferenz. Ficos Zustand habe sich stabilisiert, sei aber weiterhin ernst, sagte er. Fico sei noch nicht ausser Lebensgefahr.
Laut Spitaldirektorin Miriam Lapunikova wurde Fico fünf Stunden lang operiert. Zuvor sei ein CT-Scan gemacht worden. «Der Patient hat mehrere Schussverletzungen aufgewiesen.» Die Verletzungen seien sehr schwerwiegend, sagte Kalinak. Fico sei von vier Kugeln getroffen worden und befinde sich weiterhin in der ständigen Betreuung eines Ärzteteams.
Wer ist der Täter?
Beim Täter handelt es sich laut Angaben von Innenminister Sutaj Estok um einen 71-jährigen Mann aus der Kleinstadt Levice. Eine erste Vernehmung habe ergeben, dass er ein «klar politisches Motiv» gehabt habe. Offenbar sei er mit der Politik der Regierung nicht einverstanden gewesen. Insbesondere nannte er ihr Vorgehen gegen die Medien. Auch Verteidigungsminister Robert Kalinak teilte mit, dass es keine Zweifel gebe, dass der Attentäter aus politischen Gründen gehandelt habe.
Laut Medienberichten soll der mutmassliche Täter einst im Sicherheitsdienst eines Einkaufszentrums gearbeitet haben und legal eine Waffe besitzen. In seiner Heimatregion soll er sich zudem als Schriftsteller versucht haben.
Der mutmassliche Täter soll offenbar Verbindungen zu einer prorussischen paramilitärischen Gruppe namens Slovenski Branci gehabt haben. Seinem Sohn waren keine psychischen Probleme bekannt, wie er dem Portal Aktuality sagte. «Vielleicht war es eine Kurzschlussreaktion. Ich weiss es nicht.» Auf die Frage, ob sein Vater eine hasserfüllte Beziehung zu Fico pflege, antwortete er: «Er hat ihn nicht gewählt.»
Auch die Frau des mutmasslichen Täters ist laut Medienberichten von der Polizei verhört worden. Die slowakische Regierung will am Donnerstagmorgen eine Sondersitzung abhalten. Zeitgleich soll auch der Rat für nationale Sicherheit über die Lage beraten.
Was sind die Reaktionen?
In der Slowakei kam die sonst hitzig geführte politische Debatte zum Stillstand. Vertreter aller Parteien verurteilten die Tat. Das Parlament setzt seine Sitzung für mehrere Tage aus. Die scheidende Staatspräsidentin Zuzana Caputova sprach von einem «Angriff auf die Demokratie». Die slowakische Öffentlichkeit reagierte mit Erschütterung auf den Vorfall.
Auch diverse internationale Politiker zeigten sich schockiert und sprachen Fico Genesungswünsche aus. «Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk», liess der amerikanische Präsident Joe Biden verlauten. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat «unerträglich». «Ich wünsche Robert Fico, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt», schrieb er in einem Beitrag auf X.
Auch der Kremlchef Wladimir Putin hat mit Entsetzen auf das Attentat reagiert. «Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen», heisst es in einem am Mittwoch veröffentlichten Telegramm. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sprach von einem «entsetzlichen» Angriff. «Wir verurteilen diesen Gewaltakt gegen den Regierungschef unseres benachbarten Partnerstaates auf das Schärfste.» Auch Bundespräsidentin Viola Amherd zeigte sich «zutiefst schockiert». Die Schweiz verurteile alle Gewalttaten, schrieb sie in einem Beitrag auf X.
I am deeply shocked by the attack on Prime Minister Robert Fico today. Switzerland condemns all acts of violence. In these troubled times, we must do our best to protect democracy. We send our support to the Prime Minister, his family and the people of Slovakia.
— Viola Amherd (@Violapamherd) May 15, 2024
Wie regiert Robert Fico die Slowakei?
Robert Fico ist bereits lange in der slowakischen Politik aktiv. Er ist Gründer und Chef der in letzter Zeit immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn «prorussisch» und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen.
Zwischen 2006 und 2010 hatte Fico seine erste Amtszeit als Ministerpräsident der Slowakei. 2012 bis 2016 und 2016 bis 2018 folgten zwei weitere Amtszeiten. Im März 2018 musste er wegen der Verwicklung seiner Regierung in die Ermordung des Investigativjournalisten Jan Kuciak zurücktreten. Dieser hatte über Korruption bis in höchste Kreise recherchiert.
Im vergangenen Oktober kehrte Fico nach fünf Jahren in der Opposition an die Spitze der slowakischen Regierung zurück. Er punktete im Wahlkampf durch eine russlandfreundliche Politik. Nach seiner Wahl kündigte er an, die zuvor umfangreiche Unterstützung der Ukraine zu beenden. Zudem ordnete er Änderungen im Bereich der Justiz und der Medien an. Private Medien erklärte er zu Feinden.
Wie ist die politische Stimmung in der Slowakei?
Viele Slowakinnen und Slowaken sorgen sich aufgrund der illiberalen Reformen der slowakischen Regierung um die Medienfreiheit im Land. In den vergangenen Monaten demonstrierten regelmässig Tausende von Menschen in Bratislava. Der Protest richtete sich zuletzt vor allem gegen die geplante Auflösung des öffentlichrechtlichen Senders RTVS. Kritiker warfen Fico vor, damit einzig die Sicherung der eigenen Macht anzustreben.
Fico hingegen warf der liberalen Opposition vor, für ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu sorgen. Er warnte davor, dass es aufgrund der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat kommen könnte. Das Klima zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet. In der polarisierten slowakischen Innenpolitik kam es nach dem Attentat sogleich zu Schuldzuweisungen. Der Chef der rechtspopulistischen Koalitionspartei SNS, Andrej Danko, erklärte, mit dem Anschlag befinde man sich in einem politischen Krieg. Das Vorgehen gegenüber Opposition und Medien werde sich ändern, drohte er. Auch weitere Vertreter des Regierungslagers warfen ihren Gegnern vor, den Angriff mit ihrer Kritik provoziert zu haben.
Mit Agenturmaterial









