Der neue Nationalbankchef betont die Bereitschaft der SNB, notfalls zu Negativzinsen zurückzukehren. Zwar wünsche er dies nicht. Doch die Vergangenheit habe gezeigt, dass eine solche Politik funktioniere.
Seit knapp zwei Monaten arbeitet Thomas Jordan nicht mehr für die Schweizerische Nationalbank (SNB). Doch sein letzter Auftritt als Notenbankchef wirkt bis heute nach. So tat Jordan im September an der geldpolitischen Lagebeurteilung etwas, was er zuvor in seiner rund zwölfjährigen Amtszeit als SNB-Präsident meist unterlassen hatte: Er liess die Öffentlichkeit wissen, wie es mit der Schweizer Zinspolitik in nächster Zeit wohl weitergehen wird.
Selbstbindung der Nationalbank
Denn gleichzeitig mit der damaligen Ankündigung, den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 1 Prozent zu senken, erklärte Jordan, dass in den nächsten Quartalen weitere Zinssenkungen erforderlich sein könnten, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Nach Massgabe der defensiven SNB-Kommunikation war dies eine ungewohnt explizite Ansage. An den Märkten wurde sie so interpretiert, dass eine Zinssenkung im Dezember auf mindestens 0,75 Prozent schon beschlossene Sache sei.
Die Ankündigung Jordans war aus zwei Gründen ungewöhnlich: Erstens, weil er kurz vor seinem Rücktritt gewissermassen vorwegnahm, was nach ihm sein Nachfolger als SNB-Präsident, Martin Schlegel, wohl entscheiden wird. Und zweitens weil die SNB von einer Politik der Forward Guidance, also der Kommunikation künftiger Absichten, bisher Abstand genommen hatte. Dass sie sich nun zu einer solchen Selbstbindung entschloss, löste Verwunderung aus.
Jedenfalls werden Jordans Worte laut nachhallen, wenn Schlegel am 12. Dezember erstmals eine geldpolitische Lagebeurteilung leiten wird. Auf die von seinem Vorgänger in Aussicht gestellte Zinslockerung wird er kaum verzichten können, zumal dies eine unwirsche Marktreaktion zur Folge hätte. Offen ist hingegen, wie Schlegel die Geldpolitik nach der Ära von Thomas Jordan künftig prägen wird, inhaltlich und kommunikativ.
Zielband statt Punktziel
Einen Hinweis hierzu erhoffte man sich am Freitag von einem Auftritt Schlegels an der Universität Zürich. An der Konferenz «The SNB and its Watchers» blieb Schlegel mit Blick auf die zinspolitischen Absichten zwar zurückhaltend. Er bestätigte aber die Ankündigung vom September, dass man den Leitzins wohl erneut senken müsse. Gleichzeitig sei die SNB bei Bedarf weiterhin bereit, am Devisenmarkt zu intervenieren.
Bei weiteren Zinssenkungen rückt die Nullzins-Grenze wieder näher, und damit auch das Szenario von Negativzinsen. Zu einer möglichen Rückkehr zu Negativzinsen meinte Schlegel, dass tiefere oder negative Zinsen weiterhin zum Werkzeugkasten der SNB gehören würden. Heute wisse man, dass Negativzinsen funktionieren und dazu beitragen würden, den Franken weniger attraktiv zu machen. Schlegel sagte aber auch: «Niemand mag Negativzinsen, auch nicht die Nationalbank».
Der SNB-Präsident betonte zudem, dass die Auswirkungen weltweiter Nachfragerückgänge auf die Schweizer Wirtschaft oft verstärkt würden. Dies deshalb, weil in Schwäche- oder Krisenphasen der Franken als sicherer Hafen gesucht sei und nominal aufwerte. Eine Aufwertung des Frankens lässt importierte Güter billiger werden und führt dazu, dass die Inflation im Zuge globaler Abschwünge wiederholt stark gesunken ist.
Was bedeutet das nun für die SNB? Schlegels Antwort: Die Schweiz brauche ein geldpolitisches Konzept, das bezüglich der akzeptierten Inflationsraten eine gewisse Flexibilität erlaube. Anders als viele andere Notenbanken strebe daher die SNB bei der Inflation nicht ein Punktziel von beispielsweise 2 Prozent an. Vielmehr gilt das Ziel der Preisstabilität als erreicht, wenn die Inflation irgendwo zwischen 0 und 2 Prozent liegt. «So kann die SNB flexibel auf Schocks reagieren», sagt Schlegel.
Zweideutige Kommunikation
Derzeit ist dieses Ziel erreicht. So liegt die Inflation mit 0,6 Prozent komfortabel im angestrebten Bereich. Exakt bei 0,6 Prozent erwartet die SNB die Inflation auch 2025, wenn man sich an deren aktuelle Prognose hält, die von einem gleichbleibenden Leitzins ausgeht. Ab 2026 wird wieder mit einem leichten Anziehen der Teuerung gerechnet. Alles bestens, könnte man meinen. Entsprechend unklar bleibt, warum die SNB bei solchem Ausblick dennoch weitere Zinssenkungen andeutet.
Jedenfalls wirkt die geldpolitische Kommunikation etwas zweideutig. Eigentlich gilt, dass die SNB über ihre Inflationsprognose signalisiert, ob sich zinspolitische Korrekturen aufdrängen oder nicht. Derzeit liegt die erwartete Inflation indes über den gesamten Prognosezeitraum von drei Jahren klar im Zielbereich. Das würde eigentlich bedeuten, dass man mit dem bestehenden Leitsatz auf Stabilitätskurs ist. Wenn die SNB dennoch Zinssenkungen in Aussicht stellt, legt dies den Schluss nahe, dass ihr eine Inflation nahe 1 Prozent lieber ist als eine Inflation nahe 0 Prozent.