Velowerkstätten müssen sich einem harten Wettbewerb und zunehmend anspruchsvollen Kunden stellen. Handelsketten gehen damit anders um als alteingesessene Familienbetriebe.
Hell ist es in der M-way-Filiale Bernexpo, von der hohen Decke werden auf 1000 Quadratmetern 18 Zweiradmarken und nach Themen fein säuberlich sortiertes Zubehör bestens ausgeleuchtet. Dazu gibt es eine ergonomische Teststation oder die Wohlfühloase mit Kaffeebar, kurzum: Das Angebot des gegenwärtig an 33 Standorten vertretenen E-Velo-Händlers ist riesig, die Flutlicht-Atmosphäre eher steril.
Die Räumlichkeiten anderer Ketten wie der Migros-Ableger Bikeworld (16 Filialen) oder die 1987 privat gegründete Veloplus (11 Filialen) funktionieren ähnlich, versuchen dabei aber eigene Akzente zu setzen – mit grossformatigen Fotos und Velo-Wäscherei (M-way), viel Holz und In-shop-Teststrecken (Bikeworld) oder besonders viel Zubehör (Veloplus).
Bei allen geht es um Durchlauf, und das ist verständlich: In den letzten Jahren boomte die Branche wie nie zuvor, Hunderttausende Velos wurden abgesetzt. Die meisten von ihnen waren hochpreisige E-Bikes, und so schaukelte sich die Branche von einem Rekord zum nächsten.
2023 dann der Knick: 172 487 verkaufte E-Bikes gegenüber den 218 730 des Vorjahres sind zwar immer noch ein beachtliches Niveau, aber auch ein deutlicher, nach dem Abklingen der Corona-Pandemie zu erwartender Dämpfer gewesen (Velo-Gesamtzahlen: 483 562/395 036). Schweizer Haushalte haben sich ja erst kürzlich eingedeckt; über 20 Prozent verfügen derzeit über mindestens ein elektrisch angetriebenes Rad. Experten sind sich aber einig, dass mit dem Anfang 2023 in Kraft getretenen Veloweggesetz künftig bedeutend mehr Leute umsteigen werden.
Der Handel hatte sich bereits auf dieses Szenario eingestellt, doch gemeinsam mit den Velo- und Zubehörherstellern geht man momentan durch stürmische Zeiten, nicht nur in der Schweiz: Während die Branche im Lockdown noch profitierte, lösten globale Lieferengpässe eine eigene Dynamik aus und brachten zahlreiche Abläufe durcheinander. Investitionen waren blockiert, der Absatz stockte, vielerorts kam es zu Entlassungen und Schlimmerem.
Ende 2023 sorgte dann der Absturz der Signa Holding, die auch viele Internetanbieter der Velo-Szene ihr Eigen nannte, für SOS im Online-Handel: Hier wird der Warenbestand derzeit verramscht – ein Preiskampf, der sich wiederum negativ auf niedergelassene Unternehmen auswirkt.
Schlagzeilen wie der aktuelle Führungszank beim Schweizer Branchenriesen Scott unterstreichen die angespannte Lage einer Branche, die landesweit und inklusive den Herstellern rund 10 000 Menschen beschäftigt. Neben den rund 1200 Velohändlern gibt es weitere 500, die parallel auch Töff vertreiben. Die Statistik der Importeursvereinigung Velosuisse nennt 2200 Händlerstützpunkte. Damit ist klar, wo die Fahrrad-Kompetenz der Schweiz mehrheitlich zu suchen ist: nicht bei den Ketten, sondern bei den niedergelassenen kleinen Betrieben – und das trotz Filialen von Sportausrüstern wie Decathlon oder Ochsner Sport, die ebenso im Velosegment mitmischen wie beispielsweise die Amag mit ihren speziellen Pedelec-Leasing-Angeboten.
Mit Dienstleistungen gegen die Krise ankämpfen
Der M-way-Filialleiter Roger Pfister, 31, gibt sich dennoch betont zuversichtlich: «Wir führen viele der neuesten Modelle und bieten entsprechende Vergleichsmöglichkeiten. Jedes E-Bike kann bei uns Probe gefahren werden, das ist etwas anderes als Bestellen im Internet.» Dort ist M-way natürlich auch vertreten, Kunden können ein E-Bike ganz bequem von zu Hause aus bestellen. Der Anbieter muss in der tobenden Rabattschlacht mitmischen, statt nur zuzuschauen.
Dazu kooperiert er mit dem Zürcher Leasing-Startup Mybikeplan, zudem gibt es eine Partnerschaft mit dem TCS und spezielle Kasko-Angebote. Unabhängig davon kann man in Bern jetzt auch erstmals Räder mieten. «Neue Technologien wie der jüngste Bosch-Leichtgewichtsmotor helfen auch – die Öffentlichkeit ist heute gut informiert,» fügt Pfister hinzu. Absatz und Umsätze möchte er dagegen nicht preisgeben.
Der Velosuisse-Geschäftsführer Martin Platter kennt das Phänomen: «Ketten werden oft von Investoren alimentiert. Entsprechend schwierig ist es, Zahlen zu bekommen, und zwar in der gesamten Branche: Man will sich nicht in die Karten schauen lassen. Bosch beispielsweise kommuniziert keine Zahlen zu den gelieferten E-Bike-Antrieben.»
Weil E-Bikes inzwischen komplexe Maschinen sind, empfiehlt der M-way-Werkstattleiter Roman Sturny die Wartung einmal jährlich – oder spätestens nach 2000 Kilometern: «Wir haben Kunden, die sehr gut zu ihrem Velo schauen und andere, die einfach nur fahren. Das sieht man dem Rad schnell an und kann entsprechend beraten.» M-way bietet dazu vier Pakete mit verschiedenen Umfängen zwischen 149 und 319 Franken an; bestimmte Ersatzteile kosten in der Regel extra.
Moderne Velos sind wartungsintensiver geworden, weiss Sturny: «500 bis 600 Franken pro Jahr und E-Bike wollen durchschnittlich investiert werden, wenn es regelmässig eingesetzt wird.» Doch nicht alles wird bei M-way vor Ort repariert: Defekte Gabeln beispielsweise schickt man zum Hersteller und unterhält keine eigenen Servicecenter wie etwa Veloplus. Stattdessen gibt es – derzeit noch exklusiv in Bern und Romanshorn – die bereits erwähnte, «Bio Circle» genannte Waschanlage.
Traditionelle Dorfläden profitieren von hoher Kundenloyalität
Kunden aus der Grossstadt, die etwas Bestimmtes suchen, verspüren nur eine geringe bis gar keine Treue zu einem Händler. Orientiert man sich dagegen an der höheren Zahl alteingesessener, inhabergeführter Betriebe auf dem Land, scheint die Kundenbindung dort am stärksten zu sein. Ein entspannter Duzis-Umgangston geht oft auf jahrzehntelange Bekanntschaft zurück; mancher Senior hat dort schon sein erstes Kindervelo abgeholt.
Lokaltermin in Worb, zwölf Kilometer östlich von Bern: Velo Schmutz ist hier eine Instanz in dritter Generation; der Firmenchef Christian Schmutz, 51, fasst zusammen: «Unser Geschäft ist 1906 aus dem Bringservice der familieneigenen Bäckerei entstanden. Diese Velos mussten gewartet werden, und bald standen auch andere vor der Tür. Wir sind inzwischen eine GmbH und einschliesslich mir neun Angestellte – die meisten Vollzeit, davon zwei in Ausbildung.»
Schmutz’ Geschäft umfasst 400 Quadratmeter; Dreh- und Angelpunkt ist das alte Ladenlokal: Es hat keine Einheitseinrichtung wie bei den grossen Ketten, sondern viel Ware auf engem Raum. Das Patchwork aus Farben über dem ausgetretenen Linoleum verströmt neben Authentizität auch Gemütlichkeit, doch letzter Eindruck täuscht: Bei Velo Schmutz geht es immer umtriebig zu, jährlich werden rund 700 Velos verkauft. «Die Leute möchten eben in ein Fachgeschäft gehen und spüren bei uns, dass sie ehrlich beraten und gut betreut werden. Mit Zubehör machen wir keine 20 Prozent Umsatz.»
Und der Service? «Wir sind da hundertprozentig ausgelastet, aber umsatzmässig noch einstellig», sagt Schmutz. Was hat es für Vorteile, bei ihm einzukaufen? «Als selbständiger Händler habe ich mehr Freiheiten, die auch unseren Kunden zugutekommen. Und wir sind sicher nicht teurer als die Ketten, dazu flexibler in der Preisgestaltung oder der Umsetzung von Sonderwünschen.»
500 Neu-Velos hat Schmutz an Lager. Das bedeutet hohe Kapitalbindung und auch ein hohes Risiko, aber der Chef weiss, was er tut und lächelt entspannt: «Kontinuität ist unsere grösste Stärke. Und wir verkaufen in der ganzen Schweiz – natürlich via Internet, aber auch viel über Mundpropaganda. Gegen die Grossen können wir gut bestehen.» Dabei hilft neben sechs angebotenen Herstellern die Eigenmarke «Schmutzli», deren Modelle individuell zusammengestellt werden können und sehr fair eingepreist sind.
Auch Serviceleistungen werden nicht pauschal, sondern bedarfsweise ausgeführt, von der Sichtkontrolle mit Sicherheitscheck für 49 Franken bis zum 199 Franken teuren Pro-Service für Pedelec. Neuerdings ist Schmutz auch mit einem Stützpunkt in der Stadt Bern vertreten, «doch das ist kein weiterer Veloladen, von denen gibt es da schon genug», sagt er. «Wir machen ein kleineres, aber tieferes Angebot mit den Schwerpunkten Cargo und Gravel.»
Um technisch auf dem Laufenden zu bleiben, schickt Schmutz seine Mitarbeiter regelmässig zu Fortbildungen. Die sind essenziell, wie Pfister bestätigt: «Bei M-way haben wir dafür einen eigenen Manager; unsere Leute gehen acht bis zehn Mal pro Jahr auf mehrtägige Lehrgänge. Stossdämpfer-, Schaltungs- oder Antriebs-Workshops sind Pflicht, weil deren Aufbau oft herstellerspezifisch ist.» Manches wie Software-Updates lässt sich per Webinar erlernen, aber eben nicht alles. Da ist die Velobranche inzwischen fast auf Auto-Niveau.