Wie der Zürcher EVP-Nationalrat unerwartet in einen internationalen Konflikt geraten ist.
Herr Gugger, wie haben Sie die letzten Tage erlebt?
Nik Gugger: Turbulent. Ich habe wenig geschlafen, meine Mailbox überquillt, und mein Telefon kommt nicht zur Ruhe. Ich werde überhäuft mit Medienanfragen aus dem In- und Ausland. Dabei erfahre ich viel Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus Politik, Wirtschaft und Diplomatie. Sogar Bundesrat Ignazio Cassis hat sich bei mir gemeldet.
Der Grund ist, dass Sie als Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Flughafen von Baku aufgehalten worden sind. Man hat Ihnen die Einreise nach Aserbaidschan verwehrt – obwohl Sie in offizieller Mission unterwegs waren und eine Akkreditierung hatten.
Ich war mit einer Schweizer Delegation der OSZE unterwegs. Wir hatten den Auftrag, die Wahlen vom Mittwoch zu begleiten. Am Flughafen von Baku kontrollierten die Grenzbeamten meinen diplomatischen Pass auffällig lange. Ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmt. Sie separierten mich von den anderen. Es kam Hektik auf. Immer wieder überprüften sie meine Personalien und teilten mir mit, dass ich das Land nicht betreten dürfe. Ich kontaktierte die Schweizer Botschaft in Baku. Doch auch über diesen Weg war nichts zu machen. Die Beamten beschlagnahmten meinen Pass und setzten mich nach drei Stunden in ein Flugzeug nach Istanbul. Erst dort gab man mir meinen Pass zurück, und ich flog nach Zürich. Insgesamt war ich 36 Stunden auf den Beinen.
Sie sind seit vielen Jahren als Wahlbeobachter tätig. So etwas haben Sie noch nie erlebt?
Nein, nicht ansatzweise. So etwas hat es noch nie gegeben. Das hat mir unser Aussendepartement bescheinigt. Dass ein Parlamentsmitglied in offizieller Mission auf solche Weise abgewiesen wird, ist einmalig und bleibt es hoffentlich auch.
Ein Zürcher EVP-Nationalrat löst eine internationale Affäre aus. Das hätten Sie wohl auch nie gedacht?
Es ist schon etwas absurd. Als ich in das Flugzeug stieg, habe ich mir das nicht erträumt.
Die offizielle Schweiz erwartet nun laut «Blick» eine Erklärung von Aserbaidschan für den Vorfall. Am Montagnachmittag hatten Sie eine Aussprache mit dem Botschafter des Landes in der Schweiz. Wie verlief das Treffen?
Sehr wohlwollend. Wir haben uns die Hände gereicht. Der Botschafter entschuldigte sich für die Umtriebe, vor allem dafür, dass man mir den Pass weggenommen hatte. Er erklärte mir, dass es am Flughafen zu einer Verwirrung gekommen sei. Neben meinem Amt bei der OSZE bin ich auch Teil des Europarats. Mit diesem liegt Aserbaidschan im Konflikt und lässt darum keine Delegierten ins Land.
Hatte der Vorfall nicht auch eine politische Komponente? Sie kritisierten Aserbaidschan im Vorfeld für seine Rolle im kriegerischen Konflikt um die armenisch besiedelte Region Berg-Karabach.
Der Botschafter versicherte mir, dass es sich um eine Irritation wegen meines Doppelmandats gehandelt habe und es keine Massnahme ad personam gewesen sei. Er sagte mir zwar auch, dass er von meiner kritischen Haltung wisse, aber dass dies nicht der Grund für die verweigerte Einreise gewesen sei.
Und Sie glauben ihm?
Mit hundertprozentiger Sicherheit werde ich es nie erfahren, aber die Begründung wirkte glaubhaft. Ich möchte jetzt auch nicht unnötig Öl ins Feuer giessen. Wichtig ist, dass wir weiter im Austausch bleiben. Ich möchte Brücken bauen. Darum fand ich das Angebot des Botschafters für ein Gespräch gut und habe es gerne angenommen. Er reiste extra für mich nach Zürich. Schmollen und auf seiner Position beharren bringt uns in einer solchen Situation nicht weiter.
Aserbaidschan ist ein korruptes, autoritär regiertes Land. Im Demokratie-Index des «Economist» belegt der Staat Platz 134 von 167. Die Wahl vom Mittwoch wird wohl kaum fair ablaufen; der bisherige Machthaber Ilham Alijew wird weiterregieren. Warum braucht es unter diesen Umständen überhaupt Wahlbeobachter?
Diese Frage kann man sich tatsächlich stellen. Ich bin überzeugt, dass man auch mit Staaten, die nicht unsere Auffassung von Demokratie haben, im Gespräch bleiben muss. Man sollte keine Brücken abreissen und Mauern errichten, sondern den Dialog pflegen. Sonst verhärten sich die Fronten, und am Ende leidet die Zivilbevölkerung darunter. Mit unserer Arbeit wollen wir die demokratischen Kräfte im Land stärken. Es gibt auch positive Signale.
Zum Beispiel?
Aserbaidschan will diesen Frühling mit Armenien in der Schweiz einen Friedensplan verhandeln. Das unterstütze ich sehr. Dass der Staat unsere OSZE-Delegation prinzipiell zugelassen hat, ist ebenfalls ein ermutigendes Zeichen. Aber natürlich kann man sich immer fragen, was solche Missionen bringen. Ich war auch schon als Wahlbeobachter in Putins Russland tätig . . .
Die Gefahr ist doch gross, dass man als Kleeblatt für antidemokratische Vorgänge missbraucht wird.
Möglich, aber wenn man ganz konsequent sein will, muss man auch die Frage stellen, ob unsere Firmen weiter Öl aus Aserbaidschan beziehen sollen. Und ob wir an Socar-Tankstellen tanken und generell Handel mit undemokratischen Staaten betreiben dürfen. Die Welt ist komplex; nicht alles ist schwarz und weiss.
Wie geht es nun mit Ihrer Mission weiter?
Der Botschafter hat mir an unserem Treffen zugesichert, dass er sein Bestes versuchen werde, meine Einreisesperre innerhalb der nächsten 24 Stunden aufzuheben. Falls das klappt, werden er und ich am Donnerstag gemeinsam nach Baku fliegen und am Debriefing der OSZE-Mission teilnehmen.