Ski- und Fussballprofis kehren nach schweren Knieverletzungen teilweise spektakulär zurück. Das können Freizeitsportler von ihnen lernen.
Wenn es ratsch macht im Knie, stellen sich Sportler schon einmal auf eine längere Verletzungspause ein. Beispiele von Spitzenathleten zeigen aber immer wieder, dass ein Comeback erstaunlich schnell gelingen kann. Wie ist das möglich? Einige Freizeitsportler sehen sich nach der Rehabilitation mit Sportverboten konfrontiert. Kein Skifahren, kein Fussball, kein Joggen, lautet dann der ärztliche Rat. Lebenslänglich.
Walter O. Frey ist Facharzt für Sportmedizin und begleitet als Chefarzt von Swiss Ski die Schweizer Ski-Profis bei der Rehabilitation. Er hält nichts von lebenslangen Sportverboten: «Die Natur und der Wille des Menschen können Dinge bewirken, die man sich nicht vorstellen kann.» Die Rehabilitation und die Rückkehr in den Sport seien ein Prozess mit vielen Variablen, die man mit dem Patienten individuell anschauen müsse.
Ähnlich sieht das Martin Schober. Er ist Sportarzt, betreut das Schweizer Frauenfussball-Nationalteam wie auch viele Freizeitsportler. Auch Schober hält Sportverbote für zu pauschal, fügt aber an: «Das Kreuzband kann man ersetzen, das dauert lange, aber es kommt meistens gut.» Bei Knorpelschäden sei die Medizin weniger weit. «Da sage auch ich mal, es kann im Hinblick auf die Langlebigkeit angezeigt sein, vorsichtig zu sein.»
Profis, die mit dem Sport ihr Geld verdienten, hätten eine andere Risikokalkulation. Längst nicht immer geht für sie die Wette auf. «Im ersten Jahr nach einer Kreuzbandverletzung kommen die meisten zurück», so Schober. Nach fünf Jahren sind es nur noch 50 bis 60 Prozent, die auf dem gleichen Niveau aktiv sein können.
Wichtig ist es, sich Zeit zu geben
Entscheidend für die Rückkehr sind nicht nur die Art der Verletzung und die Veranlagung, sondern auch die Qualität der Rehabilitation. Und der Faktor Zeit. Freizeitsportler können, anders als Profis, nicht fünf Mal pro Woche in die Physiotherapie.
Das bedeutet nicht, dass ihre Rehabilitation schlechter ist. Aber sie dauert länger. Generell sei die Rehabilitation lange zu kurz ausgefallen, sagt Schober. Früher sei man von sechs Monaten bis zur Rückkehr in den Sport ausgegangen. Heute werde eher kriterien- als zeitbasiert rehabilitiert. «Dabei zeigt sich, dass das Knie nach sechs Monaten in den wenigsten Fällen bereit ist. Im Freizeitsport würde ich ein Jahr oder mehr einplanen.»
Gewisse Fristen sind biologisch gesetzt. Wird das Kreuzband ersetzt, muss eine Sehne in einen Knochen hineinwachsen. «Das ist, wie wenn man ein Leintuch an einen Kalkfelsen leimen will», sagt Frey. Wird ein Meniskusriss genäht, muss das Knie allenfalls in der Bewegung eingeschränkt werden. Sicher muss man es entlasten. «Sechs bis acht Wochen, besser neun.»
An sich sei es gut, dass heute die Gelenke nach einer OP nicht mehr stillgelegt würden. Bewegung wirke Wunder. «Aber heute übertreibt man in die Gegenrichtung.» Frey schickt seine Patienten darum nach einer Operation in die strukturierten Ferien, «damit sie nicht auf die Idee kommen, zu viel zu machen».
Zur Reha nach einem Knieunfall gehören Stabilitäts- und Kräftigungsübungen für Beinachse und Rumpf. Es sind dieselben, die auch in der Vorbeugung von Knieverletzungen zum Einsatz kommen, für die laut Schober noch zu wenig getan wird. Er empfiehlt die Übungssammlung Stop X der Deutschen Kniegesellschaft sowie das etwas fussballlastige Programm Fifa 11+.
In der Umsetzung sollte man immer von einer Fachperson aus der Physiotherapie begleitet werden. Auch, um die Kniestabilität zu testen und systematische Probleme gezielt anzugehen. Zum Beispiel ist bei X-Beinen oder einer Tendenz, bei einem Sprung in X-Bein-Stellung zu landen, das Risiko für einen Kreuzbandriss erhöht. Hier könne man üben, im O-Bein zu landen, so Schober.
Wundermittel: leichtes Radfahren
Frey empfiehlt, sobald es der Heilungsverlauf erlaubt, Aquawalking, dann leichtes Radfahren. Er spricht von der Basisarbeit. «Jedes Gelenk liebt Bewegung. Wenn man zweimal am Tag locker eine halbe Stunde Velo fährt, das Knie aufpäppelt, den Knorpel ernährt, die Gelenkflüssigkeit einmassiert, den Muskel aufwärmt und noch dazu ein spezifisches Training für die Muskulatur macht, ist so viel Gutes getan, dass man auch einmal etwas Schädliches tun kann.»
Das Szenario gibt Kniepatienten langfristig Hoffnung. Auch bei Arthrose ist laut Frey mit lockerem Radeln viel zu erreichen. Patienten, die auf dem Röntgenbild ein fürchterliches Knie hätten, könnten so noch Belastungen vertragen. «Man kann zehn bis zwanzig Jahre durchhalten», sagt Frey. Bei einem seiner Patienten sei es zwei Jahrzehnte her, seit man ihm dringend zu künstlichen Kniegelenken geraten habe. Die habe der Mann immer noch nicht, sitze aber täglich zweimal auf den Hometrainer. «Er spielt immer noch Tennis und macht Bergtouren.»
Kreuzbandriss operieren oder nicht?
Die Frage nach dem Sinn und Unsinn von Kreuzbandplastiken war lange ein Glaubenskrieg in der Orthopädie. Noch heute gibt es eher konservative und eher OP-freundliche Vertreter. Aber bei vielen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine pauschale Antwort auf die Frage nicht möglich ist. Zu viele Faktoren spielen hinein. Nebst objektiven wie dem Alter des Patienten und dem Verletzungsbild sind es auch subjektive: etwa welche Bedeutung bestimmte Sportarten im Leben haben oder das empfundene Instabilitätsgefühl im Knie.
Der Patient oder die Patientin bestimmen also mit. Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind, gibt es dennoch. So kommen einige Studien zu dem Schluss, dass bei einer isolierten Kreuzbandruptur die Operation keine besseren Ergebnisse bringt als der Verzicht. Der Befund ist aber umstritten. Einzelne Sportprofis haben auf einen Kreuzbandersatz verzichtet, Carlo Janka oder Joana Hählen sind so in den Ski-Weltcup zurückgekehrt.
Anders ist die Ausgangslage, wenn Begleitverletzungen vorliegen. Das trifft auf 75 Prozent der Knieunfälle zu, bei jedem zweiten Unfall sind die Menisken betroffen, die wie Kissen zwischen den Knochen liegen. Ist die Knorpelstruktur beschädigt, wird in der Regel zur Operation geraten. Das Knie hat mit dem Kreuzband eine bessere Führung, es ist stabiler, Meniskusrisse verheilen besser.
Fehl- und Überbelastungen des Gelenkknorpels lassen sich so langfristig eher vermeiden als durch eine rein muskuläre Stabilisierung des Gelenks, so lautet zumindest die Annahme. Empirische Daten sind rar. Es fehlt an Spitzensportlern, die freiwillig den Weg ohne OP einschlagen.
Verändert hat sich in den letzten Jahren die Operation selbst. Wurde zu Beginn der Kreuzbandplastiken ein Stück der Patellasehne für das Transplantat verwendet, was teilweise Schmerzen an der Entnahmestelle zur Folge hatte, sind es heute Sehnen der vorderen oder hinteren Oberschenkelmuskulatur. Sie haben, anders als die Patellasehne, keinen Knochenanteil und verwachsen langsamer. Ein Meniskusriss als Begleitverletzung wird in aller Regel genäht, das verkompliziert die frühe Reha-Phase, senkt aber das Arthroserisiko.
Gelingt es im Gespräch zwischen Patient und Ärztin nicht, Unsicherheiten auszuräumen und gemeinsam eine Entscheidung zu finden, empfiehlt es sich, eine Zweitmeinung einzuholen.
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