Der Schlagzeuger und Sänger der Punk-Band Die Ärzte hat einen Roman geschrieben. Bela B erinnert in «Fun» an die Causa Rammstein. Aber der Autor winkt ab: alles erfunden!
Bela B Felsenheimer hat es wieder getan. Nach seinem Horror-Trash-Thriller «Scharnow» hat er einen weiteren Roman geschrieben. «Fun» liest sich wie eine fiktionalisierte Verarbeitung des Rammstein-Skandals vor anderthalb Jahren – der Autor hat sich jüngst in einem Interview allerdings verwahrt gegen diesen Eindruck.
In dem Buch zelebriert die alternde, aber überaus erfolgreiche Rockband Nabel Nabel auch nach über zwei Jahrzehnten noch ihren misogynen, längst anachronistischen Rock-Hedonismus. So lassen die Musiker «Ass-Pässe» an ausgewählte weibliche Fans verteilen, um mit ihnen dann orgiastische Backstage-Partys zu feiern.
Der charismatische Sänger Maler Meister verrät, dass es ihm dabei um «Angst und Lust» gehe – und dass das «Fleisch» möglichst jung sein solle. Dafür erntet er prompt einen Shitstorm. Die Gesellschaft hat sich eben verändert. Die Band hingegen nicht.
Ein Kaff und ein Skandal
Es bleibt nicht bei Mackersprüchen. Nach einem Konzert zwingen der Schlagzeuger und der Bassist eine ihrer Verehrerinnen zum Analsex. Die junge Frau zeigt sie darauf an. Kurz vor Beginn einer Konzertreihe in einem brandenburgischen Kaff, dort, wo vor 23 Jahren ihre Karriere begonnen hat, schaukelt sich ein Skandal auf. Die Polizei beginnt zu ermitteln, eine interne Intrige bringt ein belastendes Handyvideo an die Öffentlichkeit. Die Fassade bröckelt.
Man merkt «Fun» sprachlich an, dass sich Bela B Felsenheimer erst spät als Erzähler erfunden hat. Der Roman ist reichlich verquatscht, strotzt vor Klischees, Kitsch und stilistischem Wildwuchs, vor denen irgendwann offenbar auch das Lektorat kapituliert hat.
Dafür gelingt es dem Autor souverän, diverse Handlungsstränge parallel zu führen, die recht zahlreichen Personen mit- und gegeneinander agieren zu lassen und durch viele Schnitte und Perspektivwechsel Spannung zu erzeugen. Das Buch erinnert an eine Netflix-Serie. Der Vergleich passt insofern, als Bela B das #MeToo-Muster fast schon bürokratisch vollständig auf verschiedenen Ebenen durchspielt. So funktioniert die Seriendramaturgie.
Es geht in «Fun» eben nicht nur um übergriffige Rockidole, sondern auch um Machtausnutzung gegenüber einer «Azubine», um versuchte Vergewaltigung in der Ehe. Und wenn sich ein weiblicher Fan mit rezeptpflichtigen Drogen für das Konzert versorgen möchte, lässt sich ein korrupter Apotheker das ebenfalls mit sexuellen Dienstleistungen vergüten.
Wer mit dem Finger ausschliesslich auf Altrocker zeige, mache es sich viel zu einfach, macht der Autor dem Leser klar. Und er führt immer wieder starke Frauenfiguren ein, die sich selbstbewusst gegen Missbrauch und Erniedrigung zu wehren wissen. Das ist zumindest pädagogisch wertvoll.
Problematisch ist hingegen seine merkwürdig unentschlossene Schilderung des Rock-Business, nicht zuletzt des obsessiven Erotomanen Maler Meister. Bela B stellt ihn als liebenswerten und zugleich diabolischen Demagogen vor, dem es jederzeit gelingt, Menschen zu manipulieren. Zugleich aber macht er einen Hanswurst aus ihm, dessen Charisma blosse Behauptung bleibt.
In einer Szene steigert sich Maler Meister in eine absurde Apologie des Rockstars, der sein ganzes Leben in die Waagschale wirft für die Fans und dafür schliesslich auch etwas zurückbekommen soll. Es gelingt ihm dann aber doch noch abzubiegen. Seinem Schlagzeuger empfiehlt er harte Selbstkasteiung, damit dieser sich von seinen Trieben emanzipiere.
Am Ende dieser offensichtlich satirischen Szene hauen sich Sänger und Schlagzeuger gegenseitig in die Weichteile. «Unser Schwanz ist bei allem dabei. Unser Schwanz textet, er komponiert und er performt auch mit uns. Aber man muss ihm zeigen, wer der Boss ist.» Solche Albernheiten konterkarieren die eigentliche Intention des Romans. Man nimmt diesen Witzfiguren die mitunter recht drastisch gezeichneten Grenzüberschreitungen gegenüber ihren Fans nicht mehr ab.
Facts und Fiction
Das Buch beginnt mit einem «Hinweis» in eigener Sache: «Alles in diesem Roman ist erfunden – und noch viel mehr darin ist wahr. Denn um es mit Mark Twain zu sagen: ‹It’s no wonder that truth is stranger than fiction. Fiction has to make sense.›» Bela B inszeniert hier ein seltsames Spiel mit seiner eigenen Doppelrolle als Autor und Rockstar.
Er war und ist einerseits ein Teil des Musikbusiness, hat schon eine Menge erlebt in seiner jahrzehntelangen Karriere und weiss somit genau, wovon er spricht. Eine bessere Beglaubigung für die Relevanz und den realistischen Gehalt des Romans gibt es nicht. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, woher er das alles so genau weiss. Hat er das wilde Treiben nur beobachtet? Hat er selber mitgemacht? Oder imaginiert er sich allein aus den Widerlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Casa Rammstein an die Öffentlichkeit gelangt sind, ein eigenes Rock’n’Roll-Gomorrha?
Solche Fragen lenken die Rezeption dieses Romans, sie verleihen ihm zusätzliche Aufmerksamkeit. Bela B Felsenheimer nimmt sie nicht nur billigend in Kauf, er kokettiert mit der eigenen Amoralität und zeigt sich damit mittelbar immer noch als Vertreter jenes obsoleten Rock-Paradigmas, das «Fun» doch eigentlich entlarven sollte.
Bela B Felsenheimer: Fun. Wilhelm-Heyne-Verlag, München 2025. 367 S., Fr. 34.90.