Einmal mehr setzt sich Papst Franziskus mit unbedachten Äusserungen zum Krieg in der Ukraine in die Nesseln. Nicht nur Kiew reagiert empört.
In einem Interview mit dem Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz (RSI) hat Papst Franziskus die Ukraine indirekt aufgefordert, «Mut zur weissen Fahne» zu zeigen und zu verhandeln, um den Krieg mit Russland zu beenden.
Das Interview wurde bereits Anfang Februar aufgezeichnet und wird erst am 20. März im Rahmen der Kultursendung «Cliché» von RSI vollständig ausgestrahlt. Diese befasst sich mit dem Thema «Weiss», der Farbe des Friedens. Am Samstag wurden jene Teile des Gesprächs vorab publiziert, welche die Kriege in der Ukraine und in Gaza zum Gegenstand haben.
Auf eine entsprechende Frage des RSI-Journalisten antwortet der Papst wörtlich: «Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation sieht, der an das Volk denkt, der den Mut der weissen Fahne hat, zu verhandeln.»
«Hitler zufriedenstellen»?
Vor allem die Aussage des Papstes zur weissen Fahne sorgt für Schlagzeilen. Damit rufe das Oberhaupt der katholischen Kirche die Ukraine zur Kapitulation auf, hiess es. Die beim Heiligen Stuhl akkreditierte ukrainische Botschaft hat am Sonntag «Kohärenz» eingefordert. Es gelte, die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen. «Hat damals jemand ernsthaft über Friedensverhandlungen mit Hitler und weisse Fahnen gesprochen, um ihn zufriedenzustellen?», fragt die Botschaft via den Kurznachrichtendienst «X». Auch Deutschland und Polen zeigen sich offen irritiert über die Aussage.
2)qualcuno allora ha parlato seriamente dei negoziati di pace con Hitler e di bandiera bianca per soddisfarlo? Quindi la lezione è solo una: se vogliamo finire la guerra, dobbiamo fare di tutto per uccidere il Dragone! pic.twitter.com/Cv3EFBXVNU
— UKR Emb to HOLY SEE and SMOM (@UKRinVAT) March 9, 2024
Bereits am Samstagabend sah sich Matteo Bruni, der Leiter der Presseabteilung des Heiligen Stuhls, zu einer Präzisierung veranlasst. Der Papst habe lediglich das vom Interviewer in einer Frage verwendete Bild der «weissen Fahne» aufgenommen, um damit die Einstellung der Feindseligkeiten zu bezeichnen. Im Grunde habe Franziskus nur wiederholt, was er immer wieder gefordert habe, nämlich die Schaffung von Bedingungen für eine diplomatische Lösung auf der Suche nach einem gerechten und dauerhaften Frieden.
Das Wort verhandeln sei «ein mutiges Wort», sagt der Papst in dem Interview weiter und fordert die Ukraine auf, rechtzeitig zu verhandeln. Es gebe viele Staaten, die sich als Vermittler angeboten hätten, zum Beispiel die Türkei. «Schämen Sie sich nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird», so Franziskus. Verhandlung sei niemals Kapitulation.
Stückwerk aus dem Vatikan
Was er auch immer gesagt oder gemeint hat: Es bleibt eine Tatsache, dass Franziskus in den gegenwärtigen Konflikten ungeschickt agiert. Schon mehrfach hat er sich mit Äusserungen zu Gaza oder zum Ukraine-Krieg in die Nesseln gesetzt. Lange hat er zudem vermieden, den Aggressor Putin beim Namen zu nennen. Mal um Mal hat er den Zeitpunkt verpasst, glaubwürdige eigene Akzente zu setzen. Reisen nach Moskau und/oder Kiew wurden zwar angekündigt, aber nie realisiert. Nach seinem Besuch im Mai 2023 im Vatikan sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ziemlich unverblümt: «Bei allem Respekt für Seine Heiligkeit, wir brauchen keinen Vermittler. Wir brauchen einen gerechten Frieden.»
Auch eine Friedensmission des von Franziskus eingesetzten Vermittlers Kardinal Matteo Zuppi blieb bisher Stückwerk. Im Mittelpunkt seiner Bemühungen steht die Rückführung der nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder. Davon war in jüngster Zeit nur noch wenig zu hören. Nun soll Zuppi offenbar demnächst nach Paris reisen. Der Vatikan sei sehr besorgt über Äusserungen Präsident Macrons, wonach die Entsendung von alliierten Bodentruppen in die Ukraine nicht ausgeschlossen werden könne, vermeldete der «Corriere della Sera».
Kritiker vergleichen Papst Franziskus mitunter mit dem Weltkriegspapst Pius XII., der zum Holocaust stets geschwiegen hat. Der renommierte deutsche Kirchenhistoriker Hubert Wolf, der sich intensiv mit Pius XII. befasst hat, geht mit der Ukraine-Politik des gegenwärtigen Pontifex hart ins Gericht. Dieser dürfe sich nicht «mit irgendwelchen spontanen Äusserungen auf dem Niveau eines Landpfarrers zu Wort melden», sagte Wolf unlängst in einem Interview mit der NZZ. Der Papst sei ein wichtiger Player auf dem diplomatischen Feld und müsse wohlüberlegt zu Werk gehen. Dazu gehöre, dass man eine klare Linie festlege und diese dann konsequent vertrete. Das sei bisher ausgeblieben und habe der Kirche grossen Schaden zugefügt.








