Die Verwaltung des Kantons Zürich setzt zunehmend auf künstliche Intelligenz. Franziska Barmettler, die neue Chefin des Verbands Digitalswitzerland, sagt, wo es noch harzt.
Während KI-Unternehmen in der Stadt Zürich Standorte aufbauen, erreicht die künstliche Intelligenz auch die kantonale Verwaltung. Der Kanton Zürich trifft zum Beispiel schon heute Entscheide über die Zuteilung von Alimenten mithilfe von KI. Deshalb wurden Forderungen nach klaren Regeln für den Einsatz von KI in der Verwaltung laut. Nun hat der Regierungsrat ein Verzeichnis in Auftrag gegeben, das alle KI-Anwendungen erfasst, welche die kantonale Verwaltung einsetzt.
Franziska Barmettler befasst sich mit den Chancen und Risiken von KI in der Verwaltung sowie mit Digitalisierung. Sie war bis Ende 2024 Kantonsrätin der GLP und ist seit vergangenem Herbst Geschäftsführerin von Digitalswitzerland. Der Verband hat kürzlich eine Studie zu Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung publiziert.
Franziska Barmettler, kürzlich haben National- und Ständerat die Einführung einer elektronischen Identitätskarte (E-ID) beschlossen. Was bedeutet dieser Entscheid für die Digitalisierung der Schweiz?
Er ist ein Meilenstein. Die E-ID ermöglicht, dass wir uns in Zukunft im digitalen Raum sicher ausweisen können. Das ist an vielen Orten nützlich: wenn man ein Bankkonto eröffnen möchte, einen Mietvertrag abschliesst oder einen Umzug anmeldet. In all diesen Bereichen ermöglicht die Einführung der E-ID mehr Digitalisierung.
Die Stimmbevölkerung hat ein erstes E-ID-Gesetz vor vier Jahren abgelehnt. Die E-ID-Gegner kritisierten, dass private Unternehmen die Daten gespeichert hätten.
Die neue Vorlage sieht vor, dass die E-ID vom Staat ausgegeben wird und persönliche Daten dezentral, also auf den Geräten der Nutzerinnen und Nutzer, gespeichert werden. Das ist eine deutliche Verbesserung.
Doch im World-Competitiveness-Ranking steht die Schweiz beim E-Government nur auf Platz 25, hinter allen skandinavischen Ländern, den USA und Grossbritannien.
Ja, weil die Schweiz so stark föderalistisch organisiert ist, stehen wir in Sachen E-Government vor der ständigen Herausforderung, die Systeme der verschiedenen Kantone und Gemeinden kompatibel zu machen. Hinzu kommt, dass man in der Schweiz vieles von Anfang an perfekt machen möchte, anstatt mal mit etwas anzufangen und dann zu lernen und zu verbessern.
Eine Verständnisfrage: Was verstehen Sie unter E-Government?
E-Government umfasst alle staatlichen Dienstleistungen, die digital angeboten werden. In einem Staat, in dem E-Government weit ausgebaut ist, ist alles «digital by default». Das heisst, dass grundsätzlich jede Dienstleistung digital angeboten wird. Nur in Ausnahmefällen werden Unterlagen noch analog bearbeitet. Estland gehört in diesem Bereich zu den Vorreitern. Dort gibt es seit 2002 eine E-ID, die Regierung stellt einem Paar automatisch Informationen über Kinderzulagen zu, wenn es ein Baby bekommt, oder man kann digital heiraten. Das Potenzial ist riesig.
Ist das Ihre Utopie? Dass wir irgendwann digital heiraten?
Wer das will, soll das können.
Was bringt das denn?
Die Digitalisierung bringt wahnsinnig viele Vorteile für Wirtschaft und Gesellschaft. Der Staat hat immer mehr und immer komplexere Aufgaben, das macht die Verwaltung teurer. Unternehmen müssen sich in einem immer globaleren und komplexeren Umfeld behaupten. Die Digitalisierung hilft, die steigenden Kosten einzudämmen.
Heiraten, Kinder bekommen, Steuern online abgeben: Da betrifft die Digitalisierung die Privat-, fast schon die Intimsphäre. Ist das nicht auch riskant?
Natürlich. Allerdings ist das weniger eine Frage danach, wo wir digitalisieren, sondern mehr danach, nach welchen Kriterien wir das tun. Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir mit unseren persönlichen Daten umgehen wollen. Das wird eine politische Diskussion brauchen, damit die Bevölkerung Vertrauen in digitale Lösungen fasst.
Gibt es Bereiche, die wir nicht digitalisieren sollten?
Nein. Es geht eben nicht darum, ob wir eine Bewerbung oder eine Heirat digital abwickeln. Entscheidend sind Fragen wie: Sind meine Daten gut aufgehoben, wird ethisch damit umgegangen? Wichtig ist, dass die Ergebnisse transparent sind – und am Ende immer noch der Mensch entscheidet.
Also sollten selbst Sozialhilfeentscheide oder die Einschätzung des Rückfallrisikos bei Straftätern mit KI unterstützt werden?
Es spricht grundsätzlich nichts dagegen. Wir müssen uns immer überlegen: Gibt es einen Nutzen? Überall dort, wo wir Prozesse vereinfachen und besser machen können, sollten wir Digitalisierung einsetzen. Digitalisierung soll unser Leben sicherer und komfortabler machen.
Im Kanton Zürich wird gerade das Öffentlichkeitsgesetz revidiert, um der Verwendung von KI in der Verwaltung eine Grundlage zu geben. Die Revision dauert schon seit 2023 und ist immer noch nicht abgeschlossen. Demgegenüber steht die enorme Entwicklung der KI in diesem Zeitraum. Der Staat scheint hinterherzuhinken.
Ja. Staatliche und politische Prozesse dauern lange, weil intensive Diskussionen dazugehören. Das ist wichtig, das kann man nicht abkürzen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir die Wirtschaft nicht ständig bremsen, die oft schneller reagiert als der Staat. Dafür ist die KI-Sandbox des Kantons Zürich ein gutes Beispiel: Diese Testumgebung gibt Unternehmen die Möglichkeit, KI-Anwendungen auszuprobieren, ohne sie zu stark einzuschränken.
Zur Überwachung von KI in der Verwaltung werden Monitorings, neue Stellen, Berichte vorgeschlagen. Da scheint der Aufwand fast grösser als der Effizienzgewinn. Frisst die Digitalisierung ihre Kinder?
Wir befinden uns gerade in einer Übergangsphase, in der alles neu und noch wenig etabliert ist. Da braucht es ein gesundes Mass an Aufsicht, um Vertrauen zu schaffen.
Sie haben sich im Kantonsrat für Nachhaltigkeit eingesetzt. Digitalisierung braucht aber extrem viele Ressourcen. Wie geht das zusammen?
Studien zeigen, dass die Digitalisierung massgeblich dazu beitragen kann, unsere Wirtschaft effizienter zu machen und so Ressourcen zu sparen. In der Logistikbranche kann eine KI-optimierte Planung beispielsweise weniger Lastwagen auf der Strasse bedeuten. Treiben wir die Digitalisierung mit erneuerbaren Energien voran, werden wir als Gesellschaft nachhaltiger.
Mit dem ETH AI Center und Unternehmen wie Open AI oder Google in Zürich wird die Stadt immer mehr zum KI-Zentrum. Was bedeutet das für Zürich?
Das finde ich sehr erfreulich. Zürich ist ein attraktiver Standort, darauf können wir stolz sein. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir bei einer solchen Veränderung auch die Bevölkerung mitnehmen und die Auswirkungen des Wachstums im Auge behalten. Viele Leute haben Mühe mit der Digitalisierung, fühlen sich bedroht. Die Stadt Zürich führt deshalb schon einen «Dialog Digitalisierung». Solche Initiativen sind wichtig.
Diese Überlegung geht davon aus, dass Leute aus Unwissenheit skeptisch gegenüber KI sind. Viele sind aber durchaus informiert. Beispielsweise haben über 90 Prozent der Stimmbevölkerung der Stadt Genf eine Initiative der Piratenpartei angenommen, die ein Recht auf ein analoges Leben fordert.
Wir sollten nicht «digital» und «analog» gegeneinander ausspielen, sondern schlau kombinieren. Fakt ist: Die Digitalisierung kommt. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit und die Verantwortung, sie mitzugestalten.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Chancen, die sich durch die Digitalisierung bieten?
Wenn Einwohnerinnen und Einwohner lästige Aufgaben online erledigen können, gewinnen sie Zeit und Lebensqualität. Mit einem gut funktionierenden E-Government kann der Kanton online alles anbieten, was wir von Lebensanfang bis Lebensende von ihm brauchen. Wir können mit KI-gestützten Analysen von Mobilitätsdaten beispielsweise die Belegung von Zügen optimieren. Auch hier liegt Potenzial für eine Verbesserung der Lebensqualität.
Ist das Ihre Vision eines digitalisierten Zürich?
Ja. Mit der Digitalisierung wird Zürich zu einer nachhaltigen, smarten City. Da wollen wir hin.