Eine Initiative aus dem Parlament verlangt eine Lockerung der Arbeitszeitregeln für die Telearbeit. Politisch sind Lockerungen des Arbeitsgesetzes schwierig, doch der Sukkurs der Regierung gibt nun Rückenwind.
Höchstens 45 Stunden Arbeit pro Woche? Überzeit nicht mehr als zwei Stunden pro Tag? Tägliche Ruhezeit von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden? Verbot von Sonntagsarbeit ohne Bewilligung? Einige Grundregeln des Schweizer Arbeitsgesetzes dürften durch Hunderttausende von Erwerbstätigen routinemässig gebrochen werden – vor allem durch Kader und Fachkräfte mit hoher Arbeitsautonomie. Das Arbeitsrecht kennt viele Ausnahmen und ist dadurch flexibler, als die Grundregeln vermuten lassen. Dennoch dürften in vielen Fällen «italienische» Verhältnisse herrschen – der Rechtsrahmen ist eher Theorie als Praxis.
Doch eine Anpassung des Rechtsrahmens an die Realität ist politisch schwierig. Bei Lockerungsversuchen kommen routinemässig gewerkschaftliche Vorwürfe zum «Angriff auf die Gesundheit der Arbeitnehmer». Der bisher letzte Reformversuch von bürgerlichen Parlamentariern endete 2023 nach siebenjähriger Kontroverse mit einem Rückzug und der Begrenzung auf eine Minirevision auf Verordnungsstufe.
Durch die Hintertür
Dennoch wagt die Wirtschaftskommission des Nationalrats einen neuen Anlauf für eine Gesetzesänderung – quasi durch die Hintertür mit der Beschränkung von Lockerungen auf die Arbeit im Heimbüro. Am Mittwoch sind die Chancen der Reformer gestiegen: Der Vorschlag der Kommission erhielt im Grundsatz Sukkurs des Bundesrats. Ohne Unterstützung der Regierung wäre eine Referendumsabstimmung für die bürgerlichen Reformer gegen die Gewerkschaften noch schwerer zu gewinnen, als es sonst schon der Fall ist.
Die Nationalratskommission hatte eine parlamentarische Initiative von 2016 für flexiblere Arbeitszeiten im Heimbüro aus der Versenkung geholt und daraus ein konkretes Gesetzesprojekt gemacht. Dabei geht es generell um ausserbetriebliche Arbeit (Telearbeit); in den meisten Fällen dürfte dies die Arbeit im Heimbüro betreffen. Vorgeschlagen sind vor allem drei Lockerungen:
- Künftig soll bewilligungsfrei Sonntagsarbeit von jeweils bis zu fünf Stunden an höchstens sechs Sonntagen pro Jahr möglich sein. Bei Sonntagsarbeit ist ein Lohnzuschlag von 50 Prozent zu gewähren.
- Der tägliche Arbeitszeitrahmen soll 17 Stunden statt 14 Stunden umfassen. Die tägliche Arbeitszeit könnte damit zum Beispiel auf den Zeitraum zwischen 6 Uhr morgens und 23 Uhr verteilt werden statt zwischen 8 und 22 Uhr. An den Maximalarbeitszeiten pro Woche oder Jahr ändert sich nichts.
- Das Minimum der täglichen ununterbrochenen Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen sinkt von grundsätzlich elf auf neun Stunden. Über einen Zeitraum von vier Wochen muss aber die tägliche Ruhezeit im Mittel mindestens elf Stunden betragen.
Es geht nicht um Mehrarbeit, sondern um die Möglichkeit einer flexibleren Verteilung. So soll zum Beispiel die folgende Konstellation künftig zulässig sein: Arbeitsbeginn morgens um 7 Uhr, Familienzeit von 16 bis 21 Uhr und danach noch eine Stunde Abarbeitung von E-Mails bis 22 Uhr. Die vorgeschlagenen Lockerungen wären nur möglich, wenn es eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Möglichkeit der Telearbeit gibt. Die Vereinbarung muss namentlich Bestimmungen zu Erreichbarkeit, Zeiterfassung und weitere Massnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes enthalten.
Bundesrat will Einschränkung
Der Bundesrat hat seine grundsätzliche Unterstützung des Vorstosses mit einigen Änderungsvorschlägen versehen. Der auffälligste Punkt: Die geplanten Lockerungen sollen nicht für alle Telearbeiter ab Alter 18 gelten, sondern nur für Erwerbstätige, die ihre Arbeitszeit zu einem namhaften Teil selber festsetzen können. Deklarierter Grund: «Nur wer diese Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung hat, kann vom Anliegen der Vorlage profitieren, Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit zu optimieren.» Mit dieser Einschränkung könnten laut Bundesrat etwa 18 bis 26 Prozent aller Arbeitnehmer von der Reform erfasst sein.
Der ursprüngliche Vorschlag der Nationalratskommission enthielt eine Begrenzung der vorgeschlagenen Lockerungen auf Erwerbstätige mit grosser Autonomie bezüglich Arbeitsinhalt und Arbeitszeit. Die Kommission hat aber letztlich auf diese Begrenzung verzichtet. Die vom Bundesrat nun empfohlene Einschränkung ist weniger stark als der ursprüngliche Kommissionsvorschlag: Die geringe Selbstbestimmung von Erwerbstätigen als Ausschlusskriterium betrifft in der Regierungsvariante nur die Arbeitszeit – nicht aber den Arbeitsinhalt.
Im Weiteren schlägt der Bundesrat vor, zwecks Koordination mit dem Arbeitsgesetz gewisse Bestimmungen zur Telearbeit auch im Obligationenrecht zu verankern.
Das Dossier kommt voraussichtlich im Herbst in den Nationalrat. Eine breite Kontroverse ist zu erwarten. Bei vielen Punkten liegen Minderheitsanträge vor. Die Gewerkschaften und mit ihnen die Linksparteien sind fundamental gegen die Vorlage, weil sie die Gesundheit der Arbeitnehmer gefährde und das Gesetz schon genügend flexibel sei. Die gemässigten Arbeitnehmerverbände sind im Grundsatz für Regeln zum Heimbüro, doch die Lockerungen gehen ihnen zu weit – vor allem in Sachen Sonntagsarbeit. Bei den derzeit vorgeschlagenen Lockerungen sei der Personenkreis klar einzuschränken, erklärte der Kaufmännische Verband am Mittwoch. Der Vorschlag des Bundesrats dazu sei «schwammig».
Pandemieschub für Heimarbeit
Die Pandemie hatte einen Schub für die Heimarbeit gebracht. Das Pendel schlug zwar in den letzten Jahren zurück, aber nur in bescheidenem Ausmass. Das zeigen die neusten Daten der Bundesstatistiker. 2019 hatten knapp 25 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz regelmässig oder gelegentlich im Heimbüro gearbeitet. Im Jahr des Höhepunkts der Pandemie (2021) waren es fast 40 Prozent. Bis 2024 ist der Anteil nur leicht auf rund 37 Prozent zurückgegangen (vgl. Grafik).
Betrachtet man nur klassische Bürotätigkeiten, ist der Anteil von Telearbeitern weit höher. Gemäss einer Umfrage von Berufs- und Angestelltenverbänden zusammen mit der Zürcher Wirtschaftshochschule HWZ bei rund 1800 Personen hatten 2024 fast zwei Drittel der Befragten mindestens einen Tag pro Woche ausserhalb des Betriebs gearbeitet. Zu den beteiligten Verbänden gehören unter anderem der Kaufmännische Verband Schweiz, Angestellte Schweiz sowie Berufsverbände für Ingenieure, Verkäufer, Personalexperten und Fachkräfte für das Rechnungswesen.