Die Freilichtmaler wollten registrieren, nicht interpretieren. Ihre Werke haben wesentlich zur Entdeckung der Alpenlandschaft beigetragen und die Blütezeit der Schweizer Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert vorbereitet.
Landschaft war schon in der Antike Gegenstand künstlerischer Darstellung. Von einer Landschaftsmalerei im heutigen Sinn kann man jedoch bis zum ausgehenden Mittelalter kaum sprechen, es gab sie höchstens in sekundärer Form. In der Frührenaissance wurden die Goldgründe der Heiligen durch Landschaften ersetzt, zunächst noch, wie bei Giotto, als kulissenartige Zusammenstellung einzelner Motive, später als einheitlicher Hintergrund. Als selbständige Gattung ist die Landschaft in der Kunstgeschichte ein spätes Phänomen.
Sie emanzipierte sich Schritt für Schritt, bis sie ihren autonomen Rang erhielt. Zu den frühesten lokalisierbaren Darstellungen gehören in der europäischen Malerei die topografisch präzisen Landschaften auf Fra Angelicos Cortona-Altar, wo sich in der Predella der «Heimsuchung» ein Blick auf den Trasimenischen See öffnet, oder auf Lorenzo Lottos Predella des Asolo-Altars, die eine figurenlose Ansicht zeigt, eingebettet in die Hügelzüge des Veneto.
Beispiele aus dem nördlichen Raum sind der am Genfersee lokalisierbare «Wunderbare Fischzug» von Conrad Witz oder Albrecht Altdorfers «Donaulandschaft mit Schloss Wörth». In seinem 1604 in Haarlem erschienenen «Schilder-Boeck», dem ersten nördlich der Alpen publizierten kunsttheoretischen Traktat, ermunterte Karel van Mander, der «flämische Vasari», die malende Jugend, Landschaften vor Ort im Bild festzuhalten. Dabei konnten sich im Freien zeichnende Künstler noch im 18. Jahrhundert als potenzielle Spione verdächtig machen. Die früheste nachweisbare Figur eines Zeichners in einer Landschaft erscheint auf Dürers Aquarell «Wassermühle im Gebirge» von 1495, das auf seiner Rückreise von Italien entstanden ist.
Die Schweiz im Fokus
Dem Maler in der Natur hat jetzt David Schmidhauser, Kurator am Kunstmuseum Winterthur, am Beispiel der Schweizer Landschaftsmalerei des Barocks und der Aufklärung eine breit angelegte, den europäischen und insbesondere niederländischen Kontext einbeziehende Studie gewidmet. Dabei beleuchtet er die jeweiligen historischen und kulturellen Prämissen, unter denen die Künstler sich aufmachten, im Freien zu arbeiten: zum Beispiel das Verkehrswesen, den Tourismus, die Kunstliteratur der Zeit. Oder auch Materialien, die in der freien Natur zum Zeichnen und Malen verwendet wurden. So ermöglichte es etwa der nach Claude Lorrain benannte konvexe «Claude-Spiegel» den Malern, die hinter ihnen liegende Landschaft ausschnittmässig zu erfassen.
Der zweite Teil von Schmidhausers Untersuchung setzt sich exemplarisch mit den einzelnen Künstlern und ihren Werken auseinander. Dabei werden diverse Formen der Freilichtmalerei untersucht. Zu den frühesten Schweizer Künstlern, die in der Landschaft tätig waren, gehörten der in Basel geborene Matthäus Merian d. Ä., der bisher wenig erforschte Conrad Meyer und dessen Sohn Johannes, der Winterthurer Felix Meyer, Autor der ältesten Darstellung eines in Öl gemalten Gletschers, sowie der aus Strassburg stammende, in Bern tätige Albrecht Kauw. Exkurse zu den Themen Kartografie und Antikenbegeisterung runden das Bild des Zeichners in der Landschaft ab, wobei Schmidhauser auch hier von Protagonisten der europäischen Kunst ausgeht und zu Beispielen in der Schweiz führt.
Spaziergänger und Bergsteiger
Kleinmeister wie Johann Ludwig Aberli, Balthasar Anton Dunker und Gabriel Lory belieferten, angeregt durch Abrecht von Hallers Gedicht «Die Alpen», ihr Publikum mit pittoresken Veduten von beliebten Gegenden. Anders malten Heinrich Wüest und Caspar Wolf das Gebirge nicht vom Tal aus, sondern eroberten menschenleere hochalpine Gegenden auf anstrengenden, wagemutigen Expeditionen physisch und malerisch. Wüest fertigte für den englischen Naturforscher Lord Strange Ölstudien auf dem Rhonegletscher an.
Wolf malte im Auftrag des Berner Verlegers Abraham Wagner Hochgebirgs- und Voralpenlandschaften für die «Vues remarquables des montagnes de la Suisse» – ein Unternehmen, das allerdings nicht den erhofften Erfolg erzielte. Jeweils auf Karton schuf er kleinformatige Ölskizzen von überraschender Freiheit in Pinselführung und Farbgebung. Danach entstanden im Atelier die bis ins Detail ausgearbeiteten Gemälde, die Wolf auf späteren Reisen in die entsprechenden Gegenden wieder mitnahm, um vor der Natur die notwendigen Korrekturen anzubringen.
Ein Pionier der Alpenmalerei, ist Wolf zugleich einer der bedeutendsten Schweizer Landschaftsmaler insgesamt. Mit seinen Naturstudien, die nicht nur für Kunsthistoriker, sondern ebenso für Alpinisten, Geologen und Glaziologen noch heute von Bedeutung sind, war er seiner Zeit weit voraus.
Trotz individuellen künstlerischen Handschriften verbindet die Freilichtmaler das Streben nach topografisch präziser Wiedergabe. Sie wollten registrieren, nicht interpretieren, und hinterliessen ein Werk, das wesentlich zur bildkünstlerischen Entdeckung der Alpenlandschaft beigetragen und die Blütezeit der Schweizer Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert vorbereitet hat.
Schmidhausers umsichtig erarbeitete Publikation untersucht anhand des im Freien arbeitenden Künstlers die komplexe Entwicklung der Alpenmalerei im 17. und 18. Jahrhundert. Unter verschiedenen, auch interdisziplinären Aspekten vermittelt er eine Fülle von Informationen und Querbezügen. Bekanntes wird bestätigt, modifiziert und durch neue Erkenntnisse erweitert. Darüber hinaus ist die Arbeit mit vorzüglichem Bildmaterial ausgestattet.
David Schmidhauser: Der Maler in der Natur. Zur Schweizer Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Hirmer-Verlag, München 2024. 368 S., zahlreiche Abb., € 55.–.