Anthony Blunt führte ein turbulentes Doppelleben. Er stand im Dienste der Majestät und spionierte für die UdSSR. Jüngste Veröffentlichungen beleuchten, was dahintersteckt.
Im Schatten der Krone ist schon so manches Geheimnis gediehen. Eines davon wurde kürzlich von den Nationalarchiven Grossbritanniens publik gemacht. Mehrere Akten des britischen Geheimdienstes MI5 legen nahe, dass Queen Elizabeth II. neun Jahre lang nichts vom Verrat eines ihrer Angestellten wusste, obwohl dieser längst ein Geständnis abgelegt hatte. Wie war das möglich?
Anthony Blunt war ein entfernter Cousin von Queen Elizabeth und angesehener Kunsthistoriker. 1940 trat er dem Geheimdienst bei und bekleidete innert kurzer Zeit hohe Ämter. Nach seinem Ausscheiden aus dem MI5 im Jahr 1945 wurde Blunt Direktor der Queen’s Gallery und damit Mitglied des königlichen Haushalts. Als Kurator der königlichen Kunstsammlung stand Blunt in regelmässigem Austausch mit der Queen und pflegte enge Kontakte zur königlichen Familie. Doch nebenher führte Blunt ein turbulentes Doppelleben.
Neben seinen Tätigkeiten für das Königshaus war er seit den 1930er Jahren Spion für Moskau. Das sowjetische Innenministerium rekrutierte Blunt und vier seiner Studienfreunde aus der Elite-Universität Cambridge. Jahrzehnte später sollte die Gruppe unter dem Namen «Cambridge Five» als einer der effektivsten Spionageringe in die Geschichte eingehen.
Alle Mitglieder hatten Ämter in der britischen Regierung inne, Blunt sogar einen direkten Draht zum Königshaus. Gemeinsam leiteten sie massenhaft Informationen an die Sowjets weiter – so viele, dass der KGB den Verdacht hegte, ein Teil davon müsse erfunden sein. Aber in Wirklichkeit handelten die «Cambridge Five» aus Überzeugung – alle waren begeisterte Kommunisten.
Nach Jahrzehnten der königlichen Spionage kamen die Behörden Anthony Blunt zunehmend näher. Als ein Mitstreiter der «Cambridge Five» vom FBI verhört wird, fällt Blunts Name. Der britische Geheimdienst präsentiert im Verhör mit Blunt die erdrückende Beweislage. Die Fassade blättert ab, Blunt gesteht.
Ein MI5-Offizier notiert in einer der nun freigegebenen Akten, Blunt habe nach seinem Geständnis im Jahr 1964 eine «tiefe Erleichterung» verspürt. Es dürfte die Last von dreissig Jahren Lügen gewesen sein, die sich Blunt von der Seele sprach.
Verräter im Dienst der Krone
Doch vor dem Geständnis versprachen ihm die Behörden ein Immunitätsabkommen. Blunt durfte trotz seinem Verrat am Königshaus Amt und Würden im Wirkungsfeld der Krone behalten. Vier aufeinanderfolgende Premierminister waren über den Deal in Kenntnis gesetzt. Die Queen selbst hingegen blieb über Jahre hinweg ahnungslos.
Im Jahr 1972 liess Martin Charteris, Privatsekretär der Monarchin, den damaligen MI5-Chef Michael Hanley wissen, dass die Königin «keinerlei Kenntnis» von Blunts Geständnis habe. Er sehe zudem keinen Sinn darin, sie jetzt zu informieren – es würde «nur ihre Sorgen vergrössern». So hielt Hanley es in einer internen Notiz fest, die nun in den freigegebenen Akten einzusehen ist.
Die Sorge, das Ansehen der Monarchie könnte durch Blunts Verrat Schaden nehmen, überwog den Anspruch auf Transparenz. Man vertraute auf ihre «Unerschütterlichkeit», wie die Akten nahelegen, doch zugleich hielt man sie von der Wahrheit fern. Weiterhin spazierte Anthony Blunt durch den Buckingham Palace, durfte seinen Rittertitel behalten und regelmässig die Hand der Queen schütteln.
Späte Stunde der Wahrheit
Erst 1973, volle neun Jahre nach Blunts Geständnis, wurde die Monarchin offiziell über seinen Verrat informiert. Blunt war zu dieser Zeit schwer erkrankt. Die Sorge war gross, dass Blunts Doppelleben nach seinem Tod in den Medien enthüllt werden könnte. Ein präventiver Schritt, um in London die Kontrolle über die Narrative zu behalten.
Wie aus den freigegebenen Akten hervorgeht, nahm die Queen die Nachricht über Blunts Spionagetätigkeiten «sehr ruhig und ohne Überraschung» entgegen. Sie habe sich daran erinnert, «dass Blunt bereits in den frühen fünfziger Jahren unter Spionageverdacht stand».
Weitere sechs Jahre später, im November 1979, erfuhr die breite Öffentlichkeit vom Verrat Blunts. Premierministerin Margaret Thatcher nutzte eine Rede im Unterhaus, um den Kunsthistoriker und langjährigen Hofbeamten als Spion der Sowjetunion zu enttarnen.
Blunt wurde umgehend seines Ritterstands enthoben, er verlor seinen Professorentitel, doch eine strafrechtliche Verfolgung blieb aus – ein Nachhall der Immunität, die ihm nach seinem Geständnis zugesichert worden war. Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und verbrachte seine letzten Jahre in relativer Abgeschiedenheit. Anthony Blunt starb 1983 im Alter von 75 Jahren.