Bei den CEO-Gehältern werden Boni und langfristige Anreize wichtiger. Ermottis Lohnopfer könnte sich deshalb langfristig auszahlen.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein äusserst erfolgreiches Arbeitsjahr hinter sich: guter Umsatz, schöne Gewinnentwicklung, bei der Integration einer übernommenen Firma ist man gut unterwegs. Ihre Leistung wird mit 97 von 100 Punkten bewertet – und der Lohn um 25 Prozent gekürzt.
Genau das ist die Situation von Sergio Ermotti. Der UBS-Chef hat 2024 eine Gesamtvergütung von 14,9 Millionen Franken erhalten. Das ist nur unwesentlich mehr als die 14,4 Millionen Franken für 2023, wobei er diese notabene für lediglich neun Monate bekam. Effektiv also eine Lohnkürzung von rund 25 Prozent.
Ein politisch klug kalkuliertes Opfer
Der Grund für die Bescheidenheit: Gegenwind aus Gesellschaft und Politik. Die öffentliche Empörung über «Zu-viel-Verdiener» war virulent, im Parlament ein Vorstoss über einen 5-Millionen-Deckel für CEO-Gehälter hängig. Wäre die UBS ans Limit gegangen und hätte Ermotti die maximal möglichen 28 Millionen zugesprochen, hätte die Stimmung definitiv kippen können.
In einem Moment, wo die Auseinandersetzung um verschärfte Eigenkapitalanforderungen hart ausgefochten wird, wollte und konnte es sich die UBS nicht leisten, unnötig Goodwill zu verspielen. Ermottis Lohnopfer war also nicht in erster Linie edelmütig, sondern politisch kalkuliert.
«Die UBS hat meiner Meinung nach in diesem Jahr nicht die Anerkennung erhalten, die sie für ihre politische Vernunft hätte bekommen sollen», meint zwar Christoph Wenk, Partner beim Corporate-Governance-Experten Swipra.
Dennoch könnte sich der Schritt nicht nur für die Bank, sondern auch für Ermotti persönlich auszahlen. Gemäss Vergütungsbericht besitzt der UBS-Chef 1,73 Millionen UBS-Aktien und hat Anrecht auf 1,023 Millionen Aktien, die ihm unter anderem in Abhängigkeit von der Kursentwicklung übertragen werden. Entwickelt sich der UBS-Aktienkurs dank milderen Kapitalauflagen günstig, besteht eine intakte Chance, das Lohnopfer auf diese Weise zu kompensieren.
Investoren pochen bei der Vergütung auf Klarheit
Ermottis Gehalt spiegelt indes einen breiteren Trend bei den CEO-Löhnen. «Die Struktur der Vergütung ändert sich. Die variablen Bestandteile steigen, zudem wird die Ausschüttung in die Länge gezogen und auf drei bis fünf Jahre gestreckt», stellt der Corporate-Governance-Experte Wenk fest.
Im Langzeitvergleich zeigt sich, dass die variablen Lohnbestandteile vor allem bei den grossen Firmen immer wichtiger werden. So stiegen die variablen Bestandteile in den zehn Jahren bis 2023 um 25 Prozent, während fixe Basissaläre um 11 Prozent zurückgingen.
Auch bei Ermotti betrug das Fixum für 2024 lediglich 2,5 Millionen Franken, rund ein Fünftel der Gesamtvergütung.
Überraschenderweise zeigt sich bei den kleineren Unternehmen genau der gegenteilige Trend. Bei den Nicht-SMI-Firmen sank nicht nur das Basissalär, sondern auch die variablen Bestandteile.
Dennoch: Weil das grosse Geld häufig erst am langen Ende winkt, wird es aus Lohnoptik immer wichtiger, wie die Ziele angesetzt werden. Zudem kommt es darauf an, an welche Erfolgsfaktoren man anknüpft. Die reine Kursentwicklung einer Aktie beispielsweise spiegelt nicht nur die Geschicke des CEO, sondern hängt auch davon ab, ob es am Aktienmarkt gerade rundläuft oder nicht.
Der Fokus auf den längeren Horizont hat aber auch eine Schattenseite. Wenn die Vergütung langfristig ausgelegt ist, erhält der CEO erst nach drei oder vier Jahren im Betrieb sein erstes substanzielles Paket. Damit lohnt sich ein Wechsel zu einer anderen Firma nur, wenn diese die Mindereinnahmen aufwiegt. Sesselkleber können die Folge sein.
Um attraktiv zu sein, müssen anwerbende Firmen noch ausstehende Vergütungen beim vorherigen Arbeitgeber ersetzen. Dies führt zu hohen Investitionen in die neue Führungskraft, bevor diese überhaupt angefangen hat. «Das stellt die langfristige Orientierung des ganzen Modells etwas infrage», so kommentiert Christoph Wenk und macht den Vergleich: «Es ist wie im Profifussball, wenn man einen Topspieler unbedingt will, zahlt man hohe Ablösesummen.»
Topverdiener bei Galderma, Sunrise und Partners Group
Ein Blick auf die Top-10-Verdiener in der Schweiz zeigt, dass man vor allem in Sondersituationen gut verdienen kann. Gleich auf Platz zwei hinter dem Novartis-Chef kommt der Galderma-CEO Flemming Ornskov. Der Däne hat die ehemalige Nestlé-Tochter im März an die Börse gebracht. Flemming verdiente 18,9 Millionen Franken.
Direkt dahinter rangiert auf Platz 3 der Partners-Group-CEO David Layton mit 16,9 Millionen Franken. «Im Bereich Private Equity sind die wichtigen Konkurrenzen in den USA; das Gehalt orientiert sich am dortigen Niveau», erklärt Wenk und fügt hinzu: «Im Vergleich dazu sind wir in der Schweiz Kindergärtler, aber das ist auch gut so. Unsere Unternehmen wurden nicht aufgrund hoher Saläre weltweite Branchenführer.»
Ein Glückspilz war 2024 der Sunrise-Chef André Krause mit 15,4 Millionen Franken. Nach vier Jahren Abwesenheit kehrte das Telekomunternehmen wieder zurück an die Schweizer Börse. Krause verdiente siebenmal mehr als der CEO der viel grösseren Swisscom. Der Zusammenhang von Lohn und Leistung ist nicht immer eindeutig.
Mit den drei Überraschungsgewinnern rangiert Ermotti in der Rangliste auf einem fast schon unauffälligen Platz 5.
Während in der Öffentlichkeit meist über die absoluten Löhne gestaunt oder gestritten wird, werden die Investoren vor allem dann unruhig, wenn die Leistung nach ihrer Einschätzung nicht der Bezahlung entspricht.
Die Schweizer sind kritisch
Im vergangenen Jahr stimmten darum im Schnitt 17,7 Prozent der Aktionäre gegen die Vergütungsberichte der hundert grössten Schweizer Unternehmen. Das zeigt eine Auswertung der Ethos-Stiftung.
Allerdings hat die Schweiz auch ein besonderes Faible für Diskussionen über CEO-Gehälter. «In der Schweiz hat man es nicht gern, wenn sich jemand völlig über die anderen stellt», meint der Corporate-Governance-Experte Wenk. In keinem anderen Land waren die Protestvoten 2024 höher als in der Schweiz. Gerade in den USA sind die Gehälter noch grosszügiger. Grosse Diskussionen darüber gibt es nur in Extremfällen.
Allerdings scheinen die Aktionäre auch in der Schweiz wieder etwas versöhnlicher gestimmt zu sein. Nach dem heutigen Stand der Auswertung mussten sich gemäss Swipra in diesem Jahr lediglich 12,5 Prozent der hundert grössten Unternehmen, die ihre Vergütungszahlen bisher publiziert haben, mit Zustimmungsraten von unter 80 Prozent zufriedengeben.
Bei der UBS segneten immerhin 86,7 Prozent der Stimmen den Vergütungsbericht ab, verglichen mit nur 83,5 Prozent ein Jahr zuvor.
Das mag auch an Ermotti gelegen haben. In den USA wäre ein solches Lohnopfer übrigens unwahrscheinlich. «Die Vergütungssysteme dort bieten weniger Spielraum für individuelle Entscheidungen und politische Rücksichtnahme als in der Schweiz», so Wenk. Anders als in der Schweiz müssen die Unternehmen dort auch nicht fürchten, vom Stimmbürger direktdemokratisch ausgebremst zu werden.