In dieser Woche jährt sich die Ten Cent Beer Night zum fünfzigsten Mal. 1974 ist es bei einem Match von Clevelands Baseballern zu Ausschreitungen und Schlägereien zwischen Spielern und Fans gekommen – Schuld war nicht nur der Alkohol.
Jedes Team der Major League Baseball (MLB) hat während der sechs Monate dauernden Saison 81 Heimspiele. In dieser Liga wird ständig gespielt, sogar an Nachmittagen unter der Woche. Wer ein so grosses Angebot an Spielen produziert, muss kreativ werden, um das Stadion zumindest teilweise auszulasten.
Es gibt deshalb in der MLB eine Vielzahl von Werbeaktionen, welche Zuschauerinnen und Zuschauer anlocken sollen. An einem Heimspiel gibt es Figuren von Spielern als Geschenk, an einem anderen ein T-Shirt. Vor fünfzig Jahren hat das Management des Teams aus Cleveland eine «Ten Cent Beer Night» veranstaltet, um das Stadion zu füllen.
Jedes Bier kostet während des Spiels gegen die Texas Rangers 10 Cent. Das ist selbst für das Jahr 1974 spottbillig, der Normalpreis beträgt 65 Cent. Auch andere Teams setzen zu Werbezwecken hin und wieder auf billiges Bier. Probleme gibt es nie, die Marketingmassnahme funktioniert. Die Klubs übertrumpfen sich deshalb gegenseitig mit immer grösseren Mengen zu noch tieferen Preisen.
Wer an diesem Dienstagabend in Cleveland einen Dollar übrig hat, kann sich einen billigen Stehplatz und fünf Bier leisten. Bei den Fans kommt das gut an. Doch was an diesem Sommerabend 1974 im Cleveland Municipal Stadium passiert, wird in die amerikanische Sportgeschichte eingehen.
40 000 verkaufte Biere mehr als prognostiziert
Hal Lebovitz ist damals ein Sportreporter für «The Plain Dealer». Für die Tageszeitung aus Cleveland, Ohio, berichtet er über das Baseballteam, das damals Indians und heute Guardians heisst. Lebovitz rapportiert über die Ten Cents Beer Night: «Ich sehe fünf Fans, vor ihnen stehen dreissig Bier. Einer trinkt nur zwei, ein anderer zehn.» Die Zuschauerzahl damals: 25 134 – mehr als doppelt so viele wie im Durchschnitt. Verkaufte Biere: 65 000 – das sind 40 000 mehr als prognostiziert.
Es gibt zwar eine Limite von sechs Bechern pro Zuschauer, doch bald schon verlieren die Mitarbeitenden an den Getränkeständen die Kontrolle darüber. Sie überprüfen auch das Alter der Trinker nicht mehr, der Reporter Lebovitz schreibt von einem Buben, der höchstens vierzehn Jahre alt sei und ein Bier trinke.
Schon früh im Spiel stürmt eine angeheiterte Frau auf das Spielfeld und küsst den Schiedsrichter Nestor Chylak. Dieser gibt später zu Protokoll: «Die Zuschauer waren unkontrollierbare Bestien. So etwas habe ich noch nie gesehen, ausser im Zoo.» Chylak meint damit nicht die küssende Frau, sie ist nur der Anfang.
Flitzer, Knallfrösche und Zündstoff
Während das Publikum auf den Rängen zecht, zeigt Cleveland auf dem Feld eine miserable Leistung. Bald liegt das Heimteam 1:5 zurück, im Publikum macht sich Unmut breit. Betrunkene Zuschauer rennen auf das Feld, verfolgt von Sicherheitskräften. Eine Frau entblösst auf dem Spielfeld die Brüste, manche Fans wollen das Spielgeschehen selbst in die Hand nehmen und legen sich mit den Spielern an. Im Bullpen der Texas Rangers, in der sich die Werfer auf einen Einsatz vorbereiten, explodieren Knallfrösche; die Spieler fliehen über das Feld. Die Partie geht weiter.
Spätestens jetzt muss sich in Clevelands Marketingabteilung ein mulmiges Gefühl breitmachen. Es ist nicht das erste Mal, dass man ein Heimspiel mit billigem Bier veranstaltet. Warum eskaliert die Situation?
Die Affiche zwischen Cleveland und den Texas Rangers hat schon vor dem Match Zündstoff versprochen. Eine Woche zuvor liefern sich die Teams im Stadion der Rangers eine Keilerei. Als Clevelands Mannschaft den Rasen verlässt, wird sie von den Rängen mit Fast Food und Bier beworfen. Nach dem Spiel sagt Billy Martin, der General Manager der Rangers, zu Reportern, er mache sich keine Sorgen wegen einer Revanche: «Ich glaube nicht, dass in Cleveland genügend Zuschauer kommen werden.»
Manche Zuschauer gehen mit Sitzen und Ketten auf Spieler los
In der Woche zwischen den beiden Partien heizen die Lokalmedien in Cleveland die Fehde zwischen den Teams an, das Duell ist das bestimmende Thema in den Talkshows im Radio. Clevelands Klubführung fordert, das Publikum solle dem Gegner das Gastspiel «zur Hölle machen». Den Rest erledigt das Bier.
In Cleveland läuft in diesem Duell das neunte und letzte Inning. Cleveland hat ausgeglichen, doch immer wieder stürmen Betrunkene auf das Spielfeld. Irgendwann wird es dem Trainer der Rangers zu bunt, er gibt den Ersatzspielern die Order, die Teamkollegen auf dem Feld zu schützen. Die betrunkenen Zuschauer nehmen die Einladung dankend an – und stürmen ihrerseits den Platz.
Manche Zuschauer haben Sitze aus der Verankerung gerissen, gehen mit Ketten und sogar Messern auf die Spieler los. Die Spieler von Cleveland eilen den Gegnern zu Hilfe und stürmen mit Baseballschlägern bewaffnet auf den Platz.
Auf dem Feld spielen sich wüste Szenen ab. Clevelands Pitcher bekommt einen Stuhl an den Kopf und zieht sich eine Platzwunde zu. Der Schiedsrichter Chylak erleidet eine Stichverletzung an der Hand. Die Zuschauer stehlen Polizisten Dienstmarken und Hüte, im Publikum gibt es zahlreiche Verletzte.
Mit einem Grossaufgebot und hartem Durchgreifen räumt die Polizei schliesslich das Spielfeld. Nur vereinzelte Zuschauer werden festgenommen und später verurteilt. Der Match wird abgebrochen. Die Texas Rangers bekommen einen Forfaitsieg zugesprochen. Und Cleveland?
Dort findet etwas mehr als einen Monat später die nächste Ten Cent Beer Night statt. Mit einem Limit von zwei Bechern pro Person. Besondere Vorkommnisse sind keine überliefert.