Noch ist Kamala Harris nicht die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Doch die Mehrheit in ihrer Partei scheint sich einig zu sein: Die ehemalige Staatsanwältin soll die Wahl zu jenem Prozess gegen Trump machen, dem dieser bisher entgangen ist.
Ist Kamala Harris bereit für das Weisse Haus? Die Zweifel daran sind in den USA nicht verflogen. Aber den ersten Test hat die Vizepräsidentin am Sonntag zumindest hinter den Kulissen bestanden. Kurz nachdem Joe Biden den Rückzug seiner Kandidatur bekanntgegeben hatte, telefonierten sie und ihre Mitarbeiter von ihrer Residenz aus während zehn Stunden mit über hundert einflussreichen Demokraten. «Das schnelle und unscheinbare Vorgehen scheint die meisten möglichen Herausforderer abgeschreckt zu haben», schrieb «Politico» am Montag.
Harris soll bei diesen Telefonaten einen Kapuzenpulli ihrer Alma Mater – der Howard University – getragen haben. Zum Abendessen gab es offenbar Pizza mit Sardellen. Auch solche Details interessieren die Medien – nun, da die Vizepräsidentin zur grossen Favoritin für Bidens Nachfolge aufgestiegen ist. Wichtiger als diese Details war indes die Geschwindigkeit, mit der sich die Demokraten danach hinter Harris stellten. Praktisch alle Gouverneure, die als mögliche Alternativen zu Biden gehandelt wurden, sprachen sich für Harris aus. Der Kalifornier Gavin Newsom schrieb auf X über die Vizepräsidentin: «Stark. Furchtlos. Hartnäckig. Da unsere Demokratie und unsere Zukunft auf dem Spiel stehen, gibt es niemand Besseres, um gegen Donald Trumps düstere Vision ins Feld zu ziehen und unser Land in eine bessere Richtung zu lenken.»
Auch Pelosi gibt ihren Segen
Am Montag stellte sich auch Nancy Pelosi, die vormalige und legendäre Speakerin der Demokraten, hinter Harris. Sie tue dies mit «enormem Stolz und grenzenlosem Optimismus» für die Zukunft ihres Landes. Pelosi spielte im Hintergrund eine wichtige Rolle dabei, Biden von einem Rückzug zu überzeugen. Die demokratischen Fraktionsführer im Repräsentantenhaus und im Senat – Hakeem Jeffries und Chuck Schumer – sprachen sich am Montag jedoch noch nicht für Harris aus. Aber sie sei gut gestartet, um die Nominierung auf transparente Weise zu erringen, schrieben sie in einer Erklärung. Auch der ehemalige Präsident Barack Obama hat sich noch nicht zu Harris bekannt.
Da aber alles so schnell ging, stellte sich am Montag bereits die Frage, mit welcher Strategie Harris gegen Trump in den Wahlkampf ziehen wird. Gemäss ihren Beratern will Harris – sollte sie wirklich zur Kandidatin der Demokraten gekürt werden – das Rennen gegen Trump auf eine plakative Formel herunterbrechen: Staatsanwältin gegen Straftäter.
Trump wurde in New York im vergangenen Jahr zivilrechtlich wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. In diesem Jahr verurteilte ihn ein Strafgericht in New York im sogenannten Schweigegeld-Prozess. Die wirklich bedeutenden Strafverfahren gegen ihn wegen des Sturms auf das Capitol und der Unterschlagung von Geheimdienstakten konnte Trump bisher durch Einsprachen und mithilfe des konservativen Supreme Court jedoch verzögern. Geht es nach ihren Beratern, soll Harris im Wahlkampf nun in die Rolle der Chefanklägerin gegen Trump schlüpfen und ihm jenen «Prozess» machen, dem er bisher entgangen ist.
Harris zeigte bisher Mühe damit, grosse und vielschichtige Fragen prägnant zu beantworten. Aber bei konkreten Themen ist sie als hartnäckige Fragestellerin und unbequeme Debattiererin bekannt. Selbst bei ihren Mitarbeitern soll sie für ihren manchmal staatsanwaltlichen Ton gefürchtet sein.
«Ich kenne Trumps Sorte»
Am Montagmorgen indes ging Harris noch nicht zum Angriff über. Bei einer Zeremonie mit Nachwuchssportlern vor dem Weissen Haus lobte sie nochmals Joe Bidens Erfolg. Sein Vermächtnis als Präsident sei in der jüngeren Geschichte der USA «unerreicht». Die Vizepräsidentin erinnerte an ihre Freundschaft mit seinem Sohn Beau Biden, der 2015 an Krebs starb. Der jüngere Biden habe ihr oft von seinem Vater erzählt. Und das dabei gezeichnete Bild habe sich für sie später bestätigt. Sie habe seine Ehrlichkeit, seine Integrität, aber auch sein grosses Herz und seine tiefe Liebe für sein Land selbst kennengelernt.
Am Nachmittag jedoch ritt Harris eine scharfe Attacke auf Trump. Als Staatsanwältin habe sie es mit allen Sorten von Verbrechern aufgenommen, sagte sie im Hauptquartier ihres Wahlkampfteams in Delaware. «Verbrecher, die Frauen missbrauchten. Betrüger, die Konsumenten übers Ohr hauten. Schwindler, welche die Regeln für ihren eigenen Profit brachen. Also hört mich, wenn ich sage: Ich kenne Donald Trumps Sorte.»
Vor der Rede meldete sich Biden per Telefon über den Lautsprecher im Hauptquartier, um bei seinen früheren Mitarbeitern ein Wort für Harris einzulegen: «Verbündet euch mit ihr. Sie ist die beste», sagte der amerikanische Präsident. Er werde allerdings nicht verschwinden und wieder Wahlkampfauftritte bestreiten. Zum Schluss sagte Biden: «Ich habe ein Auge auf dich, Kind. Ich liebe dich.»
Auch Trump schiesst sich bereits auf die Vizepräsidentin ein. Sie habe nicht die Wahrheit über Bidens gesundheitlichen Zustand gesagt, heisst es in einem neuen Video. «Kamala wusste, dass Joe sein Amt nicht mehr ausführen konnte.» Darum habe Harris die Arbeit verrichtet. «Schaut, was sie getan hat: eine Invasion (von Migranten) über die Grenze, eine unkontrollierbare Inflation, und der amerikanische Traum ist tot.»
Trump gab sich am Sonntag noch siegessicher. Harris sei leichter zu besiegen als Biden, meinte er. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus. Gegenüber dem «Atlantic» machten dies die Wahlkampfleiter des republikanischen Kandidaten klar. Die Demokraten seien strukturell besser aufgestellt. Aber etwas bremse die Partei aus: Biden.
Nun ist Biden weg, und plötzlich sieht Trump ziemlich alt aus. Sollte Harris sich einen populären Gouverneur aus einem Swing State oder gar einem konservativen Gliedstaat zum Vizepräsidenten nehmen, könnte die Situation für die Demokraten gut aussehen. Andy Beshear aus Kentucky oder Josh Shapiro aus Pennsylvania gehören zu den Shootingstars der Partei. Auch der Demokrat Roy Cooper ist im Südstaat North Carolina sehr beliebt. Mit Harris würde Amerika das nächste Kapitel seiner Geschichte aufschlagen: Sie wäre die erste Frau im Weissen Haus und erst noch eine mit dunkler Hautfarbe. Die Trump-Wähler dürften damit grosse Mühe haben. Aber für viele demokratische und unabhängige Wähler ist dies ein Grund mehr, an die Urnen zu gehen.
Die schnelle Konsolidierung rund um Harris ist für die Demokraten indes eine zweischneidige Sache. Zum einen ist sie ein Vorteil: Die Partei kann so gegen aussen Geschlossenheit demonstrieren und sich auf den Wahlkampf gegen Trump konzentrieren. Andererseits ist es aber auch ein Nachteil: Harris ist gegen Trump, das ist klar. Aber wofür steht sie? Im Nahost-Krieg etwa, in der Handelspolitik gegenüber China oder der Einwanderungspolitik? Und hätte es in der eigenen Partei nicht doch noch einen besseren und populäreren Kandidaten gegeben? Ein offenes Auswahlverfahren mit harter Konkurrenz könnte auch Harris stärken. Doch dafür scheint nun die Zeit bis zum Parteitag in einem Monat zu fehlen. Zudem hat Biden mit seiner Unterstützung für Harris die Geschicke in die jetzigen Bahnen geleitet. Bereits am 7. August – zwölf Tage vor dem Parteitag – sollen die Delegierten in einer online-Abstimmung die Nomination festlegen.