2024 hat das Parlament eine «Überbrückungshilfe» für vier Stahl- und Aluminiumproduzenten beschlossen. Bis jetzt hat aber noch keines der Unternehmen Unterstützung beantragt – unter anderem aus Furcht vor einem Boni-Verbot.
Vergangenen Oktober zogen die Stahlkocher von Gerlafingen nach Bern, um auf dem Bundesplatz auf ihre schwierige Lage aufmerksam zu machen. Mit Schutzjacken, Helmen und Zigaretten demonstrierten die Büezer aus dem Kanton Solothurn für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und gewannen die Sympathien der Öffentlichkeit.
Auch ihr Chef, der italienische Industrielle Antonio Beltrame, schlug Alarm. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» klagte der Inhaber von Stahl Gerlafingen, dass eine Produktion in der Schweiz aufgrund der hohen Stromkosten kaum mehr möglich sei – und forderte Unterstützung.
Der Bundesrat und das Wirtschaftsdepartement unter Guy Parmelin wiesen die Forderungen nach Subventionen und Industriepolitik zurück. Im Parlament fand Stahl Gerlafingen jedoch Unterstützung.
Unter Hochdruck wurde ein Hilfspaket geschnürt und im Dezember 2024 verabschiedet: Stahl Gerlafingen, die Steeltec AG aus Emmenbrücke sowie die Aluminiumhersteller Constellium und Novelis aus dem Wallis sollten einen vierjährigen Rabatt auf die Nutzung des Stromnetzes erhalten. Kostenpunkt der geplanten Staatshilfe: 37 Millionen Franken.
Am 7. März hiess der Bundesrat die entsprechende Verordnung gut und setzte sie rückwirkend per 1. Januar 2025 in Kraft. Seither sind fünf Wochen vergangen, in denen die Unternehmen Zeit hatten, um einen Antrag auf «Überbrückungshilfe» zu stellen. Doch siehe da: Bis jetzt ist noch kein einziges Gesuch eingegangen, wie Nachfragen bei Bund, Kantonen und Unternehmen zeigen.
Das Zögern ist kein Zufall. Nach Informationen der «NZZ am Sonntag» scheint es fast ausgeschlossen, dass alle vier Firmen die Staatshilfe in Anspruch nehmen werden. Der Grund: Die Auflagen, die mit dem Bezug der Subventionen verbunden wären, empfinden die Firmen als sehr restriktiv.
Sogar Stahl Gerlafingen zögert
Bei Novelis mit einem Werk in Siders scheint die Ablehnung praktisch festzustehen. Aus höchsten Kreisen des Unternehmens ist zu vernehmen, es sei «sehr, sehr unwahrscheinlich», dass Novelis die Überbrückungshilfe in Anspruch nehmen werde.
Die anderen Unternehmen machen keine klaren Aussagen. Der Geschäftsführer des Constellium-Werks im Wallis deutet aber an, dass einige Bedingungen schwierig zu erfüllen seien, während die Medienstelle der Swiss Steel Group, der Muttergesellschaft der Steeltec AG, mitteilt: «Die Abklärungen brauchen Zeit, weil wir die Anforderungen für ein Gesuch vertieft prüfen.»
Selbst bei Stahl Gerlafingen, auf deren Druck hin die Subventionen zustande gekommen waren, scheint ein Antrag nicht nur Formsache. Der Finanzchef Patrick Puddu schreibt auf Anfrage: «Entscheide sind in Evaluation, sind aber noch nicht gefällt worden.»
Diese Zurückhaltung erstaunt. Die Eckwerte des Unterstützungspakets sind seit dem Parlamentsentscheid im Dezember bekannt, nicht erst seit Verabschiedung der Verordnung Anfang März. Zudem schien Stahl Gerlafingen noch im Oktober unter extremem Zeitdruck zu stehen, so sagte der Eigentümer Beltrame damals warnend: «Wir verlieren mit jeder produzierten Tonne Stahl Geld.»
Wer Subventionen will, muss folgende Auflagen erfüllen: eine Garantie zur Erhaltung des Produktionsstandorts in der Schweiz, die Erstellung eines Fahrplans zur CO2-Reduktion, ein Verbot von Dividenden für die Eigentümer sowie einen Verzicht auf Boni für das Management.
Vor allem der vierte Punkt bereitet den Stahl- und Aluminiumproduzenten Kopfzerbrechen, wie Gespräche mit Unternehmensvertretern zeigen. Die betroffenen Firmen sind allesamt Teil internationaler Gesellschaften und haben deshalb Vergütungsregeln, die konzernweit gelten.
Variable Vergütungen für das Topmanagement sind dabei Standard. Deshalb ist es schwierig, die Führungskräfte in der Schweiz davon auszuschliessen. Zudem könnten die Firmen sogar arbeitsrechtliche Probleme bekommen, da Boni meist Teil bestehender Verträge sind.
Dem Parlament droht eine Blamage
Neben den Auflagen dürfte das Zögern auch andere Gründe haben: Die Subventionen sind beschränkt auf die Jahre 2025 bis 2028. Danach müssen die Firmen wieder ohne Sonderbehandlung auskommen. In der Industrie ist das ein kurzer Zeithorizont – und kein Grund, an einem Werk festzuhalten, das langfristig nicht rentabel ist.
Des Weiteren sind die in Aussicht gestellten Rabatte im Vergleich zu den Gesamtkosten eines grossen Stahlproduzenten gering, wie das Beispiel der Swiss Steel Group illustriert: Deren Mehrheitsaktionär Martin Haefner schoss alleine im April 2024 rund 300 Millionen Euro in die Gruppe ein. Er dürfte es sich deshalb gut überlegen, ob er sich wegen ein paar Millionen vom Staat zusätzliche Vergütungs- und Rechenschaftspflichten aufbürden will.
Für das Parlament wäre es eine Blamage, wenn die «Überbrückungshilfe» niemand in Anspruch nähme – insbesondere für den Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark und das SP-Urgestein Roger Nordmann, welche die treibenden Kräfte waren hinter der Vorlage.
Auf die Zurückhaltung der Firmen angesprochen, zeigen sie sich optimistisch, dass zumindest Stahl Gerlafingen die Hilfe beantragen wird. Zudem betont Imark, dass es sich seiner Meinung nach nicht um Subventionen handle, sondern um «eine temporäre Reduktion viel zu hoher Netznutzungsgebühren», die in einem «Monopolmarkt» erhoben würden.
Aber selbst wenn Stahl Gerlafingen die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen sollte, wäre das für Imark und Nordmann ein zweifelhafter Erfolg. Einige Politiker aus der Romandie und der Zentralschweiz könnten sich veräppelt fühlen. Schliesslich haben sie der Vorlage zugestimmt im Glauben, dass nicht nur das Stahlwerk aus Imarks Heimatkanton Solothurn profitiert, sondern auch Firmen in ihrer Region.
In Bern wären allerdings nicht alle traurig, wenn niemand auf die Staatshilfe zurückgreifen sollte. Helene Budliger Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), versucht derzeit, den US-Präsidenten Donald Trump davon zu überzeugen, dass die Schweiz mit Industriepolitik nichts am Hut hat. Subventionen für die Stahlindustrie wären bei diesen Bemühungen wenig hilfreich.
Die Medienstelle des Seco betont deshalb: «Die Hilfen wurden noch nicht aktiviert und sind entsprechend auch international kein Thema.» Die Behörde scheint fast darauf zu hoffen, dass die Vorlage ein Papiertiger bleibt.
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