Künftig erwirtschaftet das Unternehmen fast jeden zweiten Franken in Italien. Derweil wächst in der Schweiz das IT-Geschäft. Ist das politisch opportun?
Swisscom è in trattative con Vodafone Group: Das Schweizer Unternehmen will sein Italiengeschäft forcieren und die Konkurrentin Vodafone Italia mit der eigenen Tochterfirma Fastweb zusammenführen. Acht Milliarden Euro soll die Übernahme kosten. Der Schritt ist teuer und durchaus riskant, für die Swisscom aber wichtig.
Italien stellt für sie einen Wachstumsmarkt dar. Zwar schrieb Fastweb nach der Übernahme im Jahr 2007 zunächst hohe Verluste, mittlerweile ist die südländische Tochter aber hochprofitabel. Fastweb wächst seit über zehn Jahren kontinuierlich und ist für fast einen Viertel des Swisscom-Umsatzes verantwortlich. Nach der Übernahme von Vodafone wird dieser Anteil 40 bis 50 Prozent betragen.
Dazu kommt, dass sich die Swisscom auch im Heimmarkt rasch wegbewegt vom klassischen Telekomgeschäft. Dieses ist seit Jahren rückläufig. Zwar machen Festnetz und Mobilfunk mit 5,4 Milliarden Franken noch immer zwei Drittel des Gesamtumsatzes aus. Doch: 2015 hatten Telekomdienste noch 6,7 Milliarden Franken eingespielt.
Die Swisscom sucht fleissig neue Geschäftsbereiche
Diese Entwicklung hat damit zu tun, dass der Schweizer Telekommarkt stagniert und eine erstarkte Konkurrenz der Swisscom Kunden streitig macht. Um die wegbrechenden Umsätze auszugleichen, hat die Swisscom einen bemerkenswerten Ehrgeiz entwickelt, neue Geschäftsbereiche zu erschliessen. Und im Gegensatz zu ihrem Auslandengagement vollzieht sich dieser Wandel unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit.
Christoph Aeschlimann, der 2022 den Chefposten übernommen hat, will insbesondere das Geschäft mit Informationsdienstleistungen rasch ausbauen: «Meine Zeit wird geprägt sein vom Wachstum mit IT-Produkten wie Cybersecurity und Cloud», sagte er dem Branchenportal «Inside IT» letzten Herbst. Im Geschäft mit Unternehmenskunden – das etwa 40 Prozent des Umsatzes bringt – werde man schon bald mehr Geld mit IT-Angeboten verdienen als mit Telekomdienstleistungen.
Vergangenes Jahr kaufte die Swisscom zum Beispiel die Firma Axept Business Software mit 180 Mitarbeitern, «um Schweizer KMU noch umfassender in deren IT- und Business-Transformation unterstützen zu können». Solche Übernahmen sind bei der Swisscom die Ausnahme: Meist entwickelt die Firma neue Dienste selbst – und macht sich damit weniger angreifbar als etwa die Post, die häufig Übernahmen tätigt.
Keine Hemmungen vor künstlicher Intelligenz
Die Swisscom erweitert zum Beispiel stetig ihr Portfolio im Bereich IT-Sicherheit. Auch ins KI-Geschäft ist sie eingestiegen. Über eine Kooperation mit dem Chiphersteller Nvidia will sie künftig auf künstlicher Intelligenz basierende Lösungen für ihre Geschäftskunden entwickeln und so zur lokalen Konkurrentin von Tech-Giganten wie Open AI und Meta werden.
Der Weg dorthin ist zwar noch weit, doch bis jetzt sind immerhin 350 Swisscom-Mitarbeiter im KI-Bereich tätig – Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr habe man mit namhaften Kunden «Strategieworkshops durchgeführt, Chatbots und Lösungen zur Sprachidentifikation umgesetzt sowie kundenspezifische KI-Modelle trainiert», so die Swisscom in ihrem Geschäftsbericht.
Im Gesundheitswesen, im Energiebereich, im Bankwesen und bei Zahlungsdienstleistungen mischt die Swisscom ebenfalls mit. Laut eigenen Angaben ist sie die führende Betriebspartnerin der Schweizer Banken und zählt mehr als hundert Kreditinstitute zu ihren Kunden.
Sie übernimmt beispielsweise die Abwicklung des Zahlungsverkehrs bei der Zürcher Kantonalbank – was sie Anfang der Woche auf kuriose Weise in die Schlagzeilen brachte. Wegen einer Softwarepanne bei einem Swisscom-Lieferanten erhielten 30 000 Mitarbeitende der Zürcher Stadtverwaltung ihren Februar-Lohn doppelt überwiesen.
Ein Schweizer Telekomkonzern im Silicon Valley
Letztes Jahr hat das Unternehmen auch eine elektronische Signaturlösung in seine Swisscom-App integriert. Überhaupt: Was neue Technologien angeht, scheint die Experimentierlust grenzenlos. Die Berner betreiben eine Aussenstelle im Silicon Valley, die sich dem «Trend- und Technologie-Scouting» verschrieben hat. Swisscom Ventures investiert in «Deeptech»-Jungunternehmen. Der Staatsbetrieb hat auch schon Live-Konzerte im Metaverse veranstaltet, Blockchain-Dienste angeboten oder selbstfahrende Autos getestet.
Und die Zahl solcher Versuchsballone dürfte eher zu- als abnehmen: «Zusätzlich zu den Innovationsfeldern beobachtet Swisscom die Entwicklungen in langfristig relevanten Themenfeldern wie LEO-Satelliten, Quantum-Computing, Digital Twins, Web 3.0, Spatial Computing und Digital Health», schreibt die Swisscom in ihrem jüngsten Geschäftsbericht.
Mit Swisscom Blue ist der Telekomriese auch seit Jahren im Unterhaltungsbereich aktiv. Im vergangenen Jahr lancierte er gemeinsam mit Disney+ und Paramount+ ein neues Streaming-Angebot. Auf Blue Music überträgt die Swisscom Musikfestivals, auf Blue Sport Fussballspiele und in den Blue-Kinos laufen die neusten Blockbuster.
«Beamte auf Steroiden» als Unternehmer?
Kurz: Aus den ehemaligen Post-, Telefon- und Telegrafenbetrieben (PTT) ist ein Gemischtwarenladen geworden, der bald die Hälfte seines Umsatzes in Italien macht und im Heimatmarkt gutes Geld mit Cloud-Diensten, künstlicher Intelligenz oder TV-Produkten verdient.
Dennoch gehören nach wie vor 51 Prozent der Swisscom dem Staat. Böse Zungen sagen deshalb, die Swisscom sei eine geschützte Werkstatt. Da spielten ein paar «Beamte auf Steroiden» Silicon Valley. Das jüngste Auslandengagement wirft aufs Neue die Frage auf: Ist die staatliche Kontrollmehrheit noch zeitgemäss?
Andere Länder haben diese Frage längst mit Nein beantwortet: Dass ehemalige Staatsunternehmen nach wie vor mehrheitlich in öffentlicher Hand liegen, ist in Europa die Ausnahme. Während lediglich Luxemburg noch gar keine Anstrengungen zur Privatisierung seines Post- und Netzbetreibers unternommen hat, ist in den meisten andern Ländern der Staat nur noch mit einer Minderheitsbeteiligung oder gar nicht mehr an Bord.
Zwar erfüllt die Swisscom nach wie vor den Auftrag zur Grundversorgung, der verlangt, allen Bevölkerungskreisen in allen Landesteilen ein Basisangebot an Kommunikationsdiensten zur Verfügung zu stellen. Dieses Erfordernis ist bestimmt erfüllt – allerdings auch ohne staatliches Zutun. Es war der Wettbewerb zwischen den Telekomkonzernen, der in den vergangenen 25 Jahren dazu beigetragen hat, den Netzausbau in der Schweiz voranzutreiben.