Eine Woche nach dem israelischen Angriff auf militärische Ziele in Iran ist weiterhin unklar, ob und wie die Führung in Teheran darauf reagieren wird. Viele Menschen im Land beschäftigt die Frage, welche Folgen eine militärische Reaktion haben könnte.
Der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei meldet sich erst mit einiger Verzögerung zu Wort. Mehr als 24 Stunden nach dem israelischen Vergeltungsschlag auf militärische Ziele in Iran sagt er, der Angriff solle weder überschätzt noch heruntergespielt werden. Konkreter wird er nicht. Offenbar lässt sich der wichtigste Politiker und Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte von seinen Vertrauten beraten, bevor er eine Entscheidung trifft. Mit seiner Aussage hält sich Khamenei alle Möglichkeiten offen – und gewinnt erst einmal Zeit.
Esmaeil Baghaei, der Sprecher des iranischen Aussenministeriums, reagiert weniger zurückhaltend. Teheran werde «alle zur Verfügung stehenden Mittel» nutzen, um auf Israels Angriff zu antworten, sagt er laut Medienberichten einen Tag darauf. Was genau er darunter versteht, erläutert er nicht. Klar ist: Die Islamische Republik hat nach wie vor einen gewissen Handlungsspielraum, um auf den nächtlichen Beschuss in verschiedenen Regionen des Landes am 26.Oktober zu antworten.
«Die Iraner können mit Raketenangriffen auf Israel reagieren», sagt Guido Steinberg, ein Islamwissenschafter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. «Sie können aber auch die Aktivitäten ihrer Verbündeten vor allem im Irak, in Syrien und in Jemen intensivieren. Und sie können weltweit Anschläge verüben.» Auch wenn der Nahost-Experte die dritte Möglichkeit für unwahrscheinlich hält, geht er davon aus, dass es durchaus zu einer iranischen Antwort auf den israelischen Vergeltungsschlag kommen kann.
Israelische Kampfjets im iranischen Luftraum
Die Israeli haben in Iran zwar lediglich militärische Ziele angegriffen und keine Nuklear- oder Ölförderungsanlagen ins Visier genommen. Damit verzichteten sie bewusst auf eine Provokation, nach der sich Iran sehr wahrscheinlich zum Handeln gezwungen gesehen hätte. Doch die Tatsache, dass israelische Kampfjets mehrere Stunden ungestört im iranischen Luftraum agieren konnten, offenbarte die Schwäche der iranischen Flugabwehr.
Zwar wird der israelische Angriff in den iranischen Medien als schwach und wirkungslos dargestellt. Doch die Führung in Teheran befindet sich nun in einem Dilemma. Sie muss sich entscheiden: Soll sie Stärke demonstrieren und Israel mit einem Vergeltungsschlag in die Schranken weisen – mit dem Risiko, eine noch stärkere Reaktion Israels zu provozieren? Oder soll sie auf einen Gegenschlag verzichten und die eigene Verwundbarkeit eingestehen – auch den eigenen Verbündeten gegenüber?
«Besonders viele Trümpfe hat Iran nicht in der Hand», sagt Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln. «Es sei denn, die Iraner kämen auf Ideen wie: die Strasse von Hormuz zu schliessen.» Die Meerenge zwischen Iran und der arabischen Halbinsel gilt als wichtigstes Nadelöhr für den Ölexport nach Asien. Eine solche Reaktion hält die Iran-Expertin allerdings für unwahrscheinlich. Sollte Iran tatsächlich zu einem Gegenschlag ausholen, dann am wahrscheinlichsten über verbündete Milizen wie den militant-extremistischen Hizbullah in Libanon oder die jemenitischen Huthi, vermutet Amirpur.
Unterschiedliche Strömungen in der Bevölkerung
So unklar die Haltung der Führung in Teheran ist, so uneinheitlich ist auch die Stimmung in der iranischen Bevölkerung. «Es gibt diejenigen, die sagen: Wir müssen jetzt auf jeden Fall zurückschlagen, weil wir sonst schwach dastehen», erläutert Amirpur. «Es gibt aber auch diejenigen, die sagen: Hätte Israel ein bisschen stärker zugeschlagen, dann wären wir die Mullahs los. Andere wiederum sagen: Wenn Israel stärker zuschlägt, geht der Schuss nach hinten los – dann stellt sich die Bevölkerung erfahrungsgemäss eher hinter ihr Regime.»
Unumstritten ist, dass die Führung in Teheran nach wie vor Unterstützer hat. Wegen der extrem eingeschränkten Meinungs- und Pressefreiheit im Land gibt es allerdings keine verlässlichen Daten, wie zahlreich sie sind. Auch die Anzahl der Regierungsgegner, die in den vergangenen Jahren trotz dem hohen persönlichen Risiko gegen die autoritäre Regierung protestierten, ist unklar. Ebenso offen ist, ob – und wenn ja: wie stark – das Regime ein mögliches Aufbäumen der Zivilgesellschaft in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt.
Besonders grosse Proteste gegen die oberste Führung hatte es zuletzt nach dem Tod der kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini im Herbst 2022 gegeben. Die junge Frau war von der islamischen Sittenpolizei festgenommen und misshandelt worden, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig gesessen hatte. Proteste gab es auch, weil der iranische Staat verbündete Milizen in der Region – wie den Hizbullah in Libanon oder schiitische Einheiten im Irak – mit Millionensummen unterstützt, statt das Geld im eigenen Land zu investieren.
Inflation, Korruption und eine schwächelnde Wirtschaft
Schon seit Jahren leidet der grösste Teil der Bevölkerung unter der angespannten wirtschaftlichen Situation im Land. «Die iranische Gesellschaft befindet sich aufgrund hoher Inflation, Korruption und einer schwächelnden Wirtschaft in einer schwierigen Lage», sagt Rouzbeh Parsi, der Leiter des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Stockholm. «Dazu kommt die Unterdrückung.»
Zu welchen Mitteln die Führung in Teheran greift, um die Opposition im In- und Ausland einzuschüchtern, zeigt auch der Fall des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd. Der 69-Jährige ist – nach seiner mutmasslichen Verschleppung aus Dubai 2020 und mehreren Jahren in iranischer Haft ohne fairen Prozess – am Montag in Teheran hingerichtet worden. «Das ist mit einer sehr starken Botschaft an die iranische Diaspora verbunden, die ja alle eine doppelte Staatsbürgerschaft haben», sagt Amirpur. «Wer es wagt, etwas gegen das Regime zu unternehmen, muss mit solch einer Antwort rechnen.»
In einem Moment, in dem die Islamische Republik verwundbarer wirkt denn je, will die Führung in Teheran offenbar Stärke demonstrieren – zumindest denjenigen gegenüber, die sich wie Jamshid Sharmahd nicht wehren können. Ob sie dem militärisch weit überlegenen Erzfeind Israel ähnlich entschlossen entgegentritt, werden die kommenden Tage zeigen.