Stan Wawrinka denkt trotz dem frühen Ausscheiden in Paris weiterhin nicht an den Rücktritt. Nun droht dem Romand aber der Fall aus den Top 100.
Es ist wohl das Schicksal, dass jede Niederlage eines 39-Jährigen von der Frage begleitet wird: War es das nun für ihn? Sehen wir ihn noch einmal auf diesem Platz? Dieser Gedanke begleitete auch Stan Wawrinka, als er am frühen Mittwochmorgen kurz nach Mitternacht unter den Ovationen der Zuschauer den Court Suzanne Lenglen verliess. 3:40 Stunden lang hatte er sich zuvor mit Pawel Kotow duelliert. Am Ende setzte sich der 25-jährige Russe 7:6, 6:4, 1:6, 7:6 durch.
Trotz dem letztlich scheinbar deutlichen Verdikt war der Match umstritten. Kotow machte nur vier Punkte mehr als der Romand (131:127). Das war für Wawrinka zumindest eine Quelle der Hoffnung. Im Interview mit dem Schweizer Fernsehen sagte er: «Er war in den entscheidenden Momenten präsenter und aggressiver.» Später sagte er, solche Emotionen zu erleben, sei sehr rar. Zugleich mache das Lust, weiterzumachen.
Nur drei Siege in elf Saisonspielen
Wawrinka sträubt sich mit allen Fasern seines immer noch durchtrainierten Körpers dagegen, sich dem Prozess des Alterns zu fügen und sein Racket endgültig aus den Händen zu legen. Seine bisherige Saisonbilanz ist alles anderes als berauschend. Er hat in diesem Jahr erst drei von elf Partien gewonnen. Den bestklassierten Spieler, den er in der ersten Hälfte der Saison bezwungen hat, ist der Argentinier Pedro Cachin (ATP 74).
Für etwas Aufmerksamkeit sorgte er allenfalls mit seinem Sieg am Sonntag in der Startrunde von Roland-Garros gegen Andy Murray. Wie Wawrinka steht auch der zweite dreifache Major-Sieger am Ende seiner Karriere. Nach Wimbledon wird sich Murray mit grosser Wahrscheinlichkeit zurückziehen.
Nach dem Sieg gegen den 37-jährigen Schotten hatte Wawrinka gesagt, er denke, das sei sein bisher bester Match in diesem Jahr gewesen. «Ich fühlte mich gut und habe aggressiv gespielt. Dieses Spiel macht mir Mut.» Gegen Kotow reichte sein Niveau bereits nicht mehr. Dabei ist der Russe selber alles andere als ein Überflieger. Ihn verfolgt auf der Tour das Image, etwas genügsam und nicht der Fitteste zu sein. Trotzdem reichte es, um seinen weit erfolgreicheren und auch populäreren Konkurrenten zu bezwingen.
Wie fast überall, wo Wawrinka in diesem Stadium seiner Karriere hinkommt, wurde er auch in Paris vom Publikum getragen. Am Ende eines weiteren verregneten Tages in Paris trieben ihn die Zuschauer unter dem geschlossenen Dach des nur spärlich gefüllten Court Lenglen frenetisch an. Gerade in der französischen Kapitale, in der Wawrinka ganz am Anfang seiner Karriere das Junioren-Turnier gewonnen hatte, hat das Publikum den französischsprachigen Schweizer als einen der ihren aufgenommen. Es sei wunderbar, in dieser Atmosphäre zu spielen, sagte Wawrinka bereits mehrmals.
Die Chancen, dass er in ein paar Wochen, wenn der Tennis-Zirkus im Rahmen der Olympischen Spiele bereits wieder auf die Anlage im Bois de Boulogne zurückkehren wird, erneut dabei sein wird, ist mittlerweile gering. Die Entry-List für das Turnier wird aufgrund der Weltrangliste vom übernächsten Montag erstellt. Qualifiziert sind somit die ersten 56 des Rankings.
Dazu hat der internationale Tennis-Verband die Möglichkeit, zwei Wild Cards zu vergeben. Vergangene Meriten spielen dabei eine wichtige Rolle. Erste Anwärter auf diese zwei Frei-Tickets sind im Moment Rafael Nadal und Andy Murray, die beide auf der Tour erfolgreicher waren als Wawrinka und dazu auch noch Einzel-Gold an Olympischen Spielen gewonnen haben.
Es droht der Fall aus den besten 100
Wer weiss aber, ob die beiden überhaupt Interesse haben. Nadal hat angedeutet, dass er zugunsten von Olympia wahrscheinlich auf Wimbledon verzichten werde. Bei Murray dürfte die Priorität genau umgekehrt sein. Im TV-Interview sagte Wawrinka auf die Frage, ob er im kommenden Frühjahr in Paris noch einmal dabei sein werde, könne er derzeit nicht antworten. «In meinem Alter schaut man nicht so weit voraus. Doch ich muss auch Matches gewinnen, um das Klassement zu halten, damit ich diese Emotionen von heute überhaupt noch erleben kann.»
Als Nummer 98 droht im momentan der Fall aus den Top 100 des Rankings. Und nun folgt ausgerechnet die Rasen-Saison, in der er sich traditionell am wenigsten wohl fühlt. Dennoch hat er nun die Möglichkeit, zu punkten. In Paris fallen ihm keine Zähler aus der Wertung, in Wimbledon hat er dann die 90 Punkte seiner letztjährigen Drittrunden-Qualifikation zu verteidigen. Dort hatte er gegen Novak Djokovic verloren.