Darf ein Tierarzt auch eine Frau sein? Und soll man «Fräulein Stadtrat» sagen? Darüber wurde in Zürich tatsächlich sehr ernsthaft diskutiert.
Die Stadt Zürich stimmt am Wochenende über den Genderstern ab. Eine Initiative verlangt, dass er und ähnliche Sonderzeichen in offiziellen Dokumenten der Stadt nicht mehr verwendet werden dürfen.
Wie sich am alten Asterisk ein erbittert geführter Kulturkampf entzündet hat, ist bemerkenswert. Denn bis vor wenigen Jahren war das Sonderzeichen in der Allgemeinheit gar kein Thema. Medienartikel zum Sternchen waren eine Seltenheit.
Ein Unikum ist die Abstimmung über den Genderstern allerdings nicht. Sie ist nur ein weiteres Kapitel in der epischen Diskussion, wer in der Sprache gemeint und wer bloss mitgemeint ist.
Im Kanton Zürich wird diese Debatte in der einen oder anderen Form seit Generationen geführt. Über sehr weite Strecken geht sie einher mit der gesellschaftlichen und politischen Emanzipation der Frauen.
Frauen inbegriffen?
Erste Belege finden sich bereits im 19. Jahrhundert. So setzte sich 1888 die NZZ mit dem generischen Maskulinum und seinen juristischen Folgen auseinander.
Der Hintergrund war, dass es damals Bestrebungen gab, Frauen zum akademischen Lehramt zuzulassen.
Frauen durften in Zürich seit 1864 studieren, ihnen nun auch den Zugang zur Professur zu ermöglichen, schien ein konsequenter nächster Schritt. Eine Kernfrage war, ob dafür die rechtlichen Grundlagen angepasst werden müssten. Denn im Gesetz war nirgends von Professorinnen und Dozentinnen die Rede, nur von Professoren und Dozenten.
Die NZZ fand, es sei angezeigt, Frauen bei entsprechender Eignung die Venia Docendi zu erteilen. Eine Gesetzesänderung brauche es dafür aber nicht.
Die Zeitung argumentierte, dass auch in Gesetzen des Bundes, etwa im Medizinalrecht, nur von «Ärzten, Apothekern und Thierärzten» die Rede sei, nicht aber von «Ärztinnen und so weiter». Dennoch seien Frauen auf der Basis dieses Gesetzes zum Studium zugelassen worden. Es verstehe sich von selbst, dass sie in den männlichen Formen inbegriffen seien.
Diese Denke ist genau das Gegenteil der gegenwärtigen Genderdebatte. Heute wird argumentiert, dass das generische Maskulinum Frauen und Transgenderpersonen unsichtbar mache und benachteilige. Deshalb müssten diese mit separaten Formen und Sonderzeichen («Ärzt*in») explizit erwähnt werden.
Damals aber bedeutete die Überzeugung, dass die Frauen in Formen wie «Apotheker», «Dozent» und «Professor» mitgelesen werden müssten, gerade nicht eine Diskriminierung. Sie war im Gegenteil eine Ermächtigung – nämlich die Zulassung der Frauen zum Studium und zum akademischen Lehramt.
Wo «Mann» steht, versteckt sich semantisch die Frau: Spinnt man diesen Gedanken weiter, stellt sich sehr bald die Frage, ob denn nicht alle Gesetze so zu verstehen seien wie das Medizinalrecht. Wenn sich die Ärztin im Arzt verbirgt, warum nicht auch die Stimmbürgerin im Stimmbürger?
Zu dieser explosiven Conclusio wollte die NZZ 1888 dann doch nicht vorstossen. Lieber ging sie der Frage nach, was gegen eine explizite Nennung der Frauen in Rechtstexten sprach.
Die Zeitung führte ästhetische Gründe ins Feld. Man würde «der Sprache Gewalt anthun», wollte man in einem Gesetz immer explizit auch die Frauen erwähnen. Der Gesetzgeber setze «sein Vertrauen in den gesunden Menschenverstand». Ausserdem zerreisse ein Ausdruck wie «Doktorin» «ein klassisch gebildetes Ohr».
Wie heisst der Gatte einer Bundesrätin?
Achtzig Jahre später erfuhr die Frage, wie in der Politik, in Gesetzen und amtlichen Publikationen mit dem Femininum umzugehen sei, eine neue Dringlichkeit, und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum.
1968 wählte Genf eine erste Stadtpräsidentin, und das stellte die kommunale Behörde vor gewisse protokollarische Probleme, wie die NZZ berichtete. Der Stadtpräsident heisst auf Französisch «le maire». Die naheliegende weibliche Ableitung, «la mairesse», war in Genf bereits für die Gattin eines Stadtpräsidenten reserviert, für die «Madame la Mairesse».
La solution? Man einigte sich auf einen Kompromiss, auf eine aus heutiger Sicht hochmoderne Mischung aus männlich und weiblich: Madame le Maire. Wie viele klassisch gebildete Ohren damals zerrissen wurden, ist nicht bekannt.
1970 wurde in Zürich dann Emilie Lieberherr als erste Frau in den Stadtrat gewählt. Auch dies wieder mit linguistischen Nebengeräuschen. War sie nun die Frau Stadtrat oder sogar, sie war unverheiratet, das Fräulein Stadtrat? Walter Heuer, der Chefkorrektor der NZZ, machte an einem Podium die Variante Frau Stadträtin beliebt, und so lautet die Anrede bis heute.
Als 1984 dann die Zürcherin Elisabeth Kopp als erste Vertreterin ihres Geschlechts in den Bundesrat einzog, wiederholte sich die Diskussion auf nationaler Ebene.
Der Präsident der Bundesversammlung, ein Genfer, sprach Kopp nach ihrer Wahl als «Madame le Conseiller fédéral» an – er hatte also das Schema von «Madame le Maire» aus seinem Heimatkanton kopiert. Elisabeth Kopp selbst gab allerdings an, die weibliche Form zu bevorzugen.
Geklärt werden musste noch, wie der Gatte einer Bundesrätin anzusprechen sei. Noch bis in die 1980er Jahre wurde die Ehefrau eines Magistraten jeweils als Frau Bundesrat bezeichnet. In der NZZ finden sich dazu herrliche Bildunterschriften wie diese: «Frau Bundesrat Brugger und der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, Bundesrat Brugger, bei der Milchdegustation».
Durfte nun Hans W. Kopp analog dazu an der nächsten Olma als Herr Bundesrat zur Milchtheke schreiten? Nein, natürlich nicht. Der Bundeskanzler diktierte die Anrede «Frau Bundesrätin Kopp und Herr Kopp».
Schrägstrich nur bei Platzproblemen
1994 schliesslich führte die Stadt Zürich eine Wegleitung zur sprachlichen Gleichstellung von Mann und Frau ein – weitere Geschlechter waren damals noch kein Thema. Das Werk ist der Vorgänger jenes umstrittenen Dokuments, das seit 2022 den Genderstern empfiehlt.
Die Hintergründe zur Entstehung des damaligen Ratgebers verweisen auf eine Zurückhaltung im Umgang mit der Sprache, die man heute ein wenig vermissen mag.
Ein Grundsatz lautete, dass die bestehenden Bausteine der deutschen Sprache ausreichten, um Frauen besser sichtbar zu machen. Es wurden also keine obskuren Neologismen einfach so zur Norm erklärt.
Empfohlen wurde die Nennung beider Formen («die Präsidentin oder der Präsident leitet die Sitzung»). Abkürzungen mit Schrägstrich waren bei Platzproblemen zugelassen, aber nur, wenn sich die Bezeichnungen lediglich in der Endung unterscheiden («Polizist/in»).
Bei Dokumenten, die sich an bestimmte Empfänger richteten, seien die Personen direkt anzusprechen: «Bitte befolgen Sie die Hausordnung» statt «Die Hausordnung ist für alle Mieterinnen und Mieter verbindlich». Überhaupt seien Texte zu vermeiden, die umständlich, steif oder unnötig weitschweifig seien.
Wie heisst die weibliche Form von «Steuerflüchtling»?
Interessant ist, wie die korrekte Benennung für männliche und weibliche Personen im Parlament zu einem dominierenden Thema heranwuchs.
1997 diskutierte der Zürcher Kantonsrat ein neues Steuergesetz. Die Linke beantragte, die ganze Vorlage sei zur geschlechtergerechten Formulierung zurückzuweisen. Eine SP-Kantonsrätin führte aus, sie fühle sich von der Bezeichnung «Steuerpflichtiger» nicht angesprochen und sie werde entsprechend keine Abgaben mehr leisten.
Eine FDP-Vertreterin entgegnete, die ganze Diskussion sei ein Verhältnisblödsinn. Man solle einmal versuchen, für das Wort «Steuerflüchtling» eine weibliche Form zu finden.
Die Forderung der Linken wurde damals abgelehnt. Dennoch ist heute im kantonalen Zürcher Steuergesetz weder von Männern noch von Frauen die Rede. Stattdessen verwenden ausgerechnet die Tax-Juristen für die Mitglieder der Gesellschaft eine Bezeichnung, die inklusiver nicht sein könnte.
Der Begriff kommt zwar ohne Sternchen, Strich und Doppelpunkt aus, er ist aber jeder fiskalischen Nüchternheit zum Trotz beinahe schon ökologisch-esoterisch angehaucht: «Jeder Mensch», schreibt das kantonale Steueramt auf seiner Website, «ist eine natürliche Person.»
Und ist als solche, beeilt sich das Amt anzufügen, steuerpflichtig.
Wer mag, darf sich als Person heutzutage also ganz natürlich den Geschlechternormen entziehen. Aber die Steuerrechnung, die wird bezahlt.