Kritiker bezeichnen ihn als stramm rechts und sprechen ihm die Kompetenz ab, Deutschlands oberste Kulturbehörde zu führen. Diese Einwände scheinen vor allem politisch motiviert. Doch es gibt andere Fragen, die sich mit Weimers Ernennung stellen.
Wolfram Weimer ist nervös. Auf eine E-Mail mit kritischen Fragen reagiert er sofort mit einem Anruf beim Redaktionsleiter. Schriftlich beantworten will er die Fragen nicht, sondern mit dem Journalisten reden. «Sie sind mir wichtig», steht in seiner SMS mit der Bitte um ein baldiges Telefonat.
Über Weimer brach einiges herein, sobald feststand, dass er neuer deutscher Kulturstaatsminister werden soll. Es gibt eine Petition mit mehr als 70 000 Unterzeichnern, die ihn als Minister verhindern wollten. Die «Zeit» wies ihm kürzlich eindeutige Plagiate in seinen Büchern nach. Über keine Personalie des neuen Kabinetts wird mehr geredet als über Weimer. Bis zu seiner Nominierung arbeitete der Sechzigjährige als Journalist und Verleger.
Seinen ersten Arbeitstag als Kulturstaatsminister hat er am Mittwoch, Weimer sitzt nun direkt im Kanzleramt, also im Herzen der Macht. Er wird in vielen Fragen der wichtigste Ansprechpartner für Kultur und Medien in Deutschland sein, 400 Mitarbeiter haben und ein Budget von rund zwei Milliarden Euro verwalten.
Anders als weite Teile der Kulturszene steht Weimer nicht links der Mitte. Gegenwind aus diesem Milieu hatte er einkalkuliert. Dass aber einer der Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sofort mit einem vernichtenden Text reagierte, überraschte nicht nur Weimer. Ein abschätziges Porträt in der «Süddeutschen Zeitung» folgte einen Tag später.
Lange Freundschaft mit Friedrich Merz
Als Golfpartner des CDU-Chefs Friedrich Merz stellte ihn die Zeitung dar. Der NZZ sagte Weimer, er spiele kein Golf; weder mit Deutschlands neuem Kanzler noch mit sonst jemandem. Er glaubt, dass die Zeitung eine Assoziation mit der amerikanischen Regierung habe herstellen wollen. US-Präsident Donald Trump ist Golfer und dafür bekannt, Vertraute auf wichtige Posten zu hieven, egal, ob sie etwas von der Materie verstehen oder nicht.
Weder hat Weimer als Politiker Erfahrung, noch ist er bisher als jemand aufgefallen, der sich für Deutschlands Kulturszene interessieren würde. Dass die lange währende Freundschaft zu Merz den Ausschlag für den Posten gab, ist wahrscheinlich.
Für seinen neuen Chef raspelte er Süssholz. In Weimers Kolumne bei NTV ist Merz ein «Marathon-Mann» mit «ungewöhnlicher Resilienz und Hartnäckigkeit». Weimer beschreibt den CDU-Chef als eine Art Überpolitiker mit natürlicher Autorität: «Während Olaf Scholz von sich gerne behauptet, man bekomme Führung, wenn man sie bestelle, ist es bei Friedrich Merz genau umgekehrt. Bei ihm bekommt man Führung, ohne dass man sie bestellen muss.»
Die Hymnen über seinen neuen Chef haben nun einen Beigeschmack, zumal eine der affirmativen Kolumnen über Merz erst im April erschien – wenige Wochen vor Weimers Nominierung.
In Rage bringen die Weimer-Kritiker jedoch andere Texte. In seinem Buch «Das konservative Manifest» sorgt er sich um die «Fortdauer des eigenen Bluts» und beklagt die «biologische Selbstaufgabe» Europas. Zumindest die Blut-Formulierung ist fragwürdig, rein faktisch betrachtet hat Weimer aber nicht unrecht: Die Zuwanderungsströme nach Europa werden die demografische Zusammensetzung der europäischen Staaten von Grund auf verändern.
Unternehmenssitz am Tegernsee
Weimer lebt in Bayern am Tegernsee, wo dieser Wandel im Gegensatz zu den deutschen Grossstädten noch kaum sichtbar ist. Am Tegernsee sitzt auch sein Unternehmen Weimer Media Group. Zusammen mit seiner Frau verlegt er dort Titel wie die Zeitschrift «Business Punk».
Ausgelastet scheint er damit nicht zu sein, denn er schreibt Kolumnen für den «Focus» und NTV, ausserdem sitzt er immer wieder in den grossen Fernseh-Talkrunden. Weimer schreibt gut, und er tritt souverän auf, wenn er im TV spätabends die Weltlage sortiert.
In ihm steckt obendrein ein gewiefter Veranstaltungskaufmann. Das zeigt sich alljährlich beim Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. Dort versammelt er Prominenz aus Politik und Wirtschaft. Vielleicht war es die Nähe zu den Alpen, die einen Journalisten dazu brachte, den Gipfel im Überschwang als «deutsches Davos» zu bezeichnen.
Die NZZ hat mit mehreren Weggefährten Weimers gesprochen. Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der klare politische Prinzipien vertritt und gewinnend auftreten kann. Ein Strahlemann, der mit fast zwei Metern seine Mitmenschen überragt.
Weimer hat sich wegen seiner Nominierung kürzlich aus der Führung seines Verlags zurückgezogen. In der neuen Rolle dürfte er es nicht leicht haben: Man könne ihn sich schwer in der Kulturszene vorstellen, sagt jemand, der ihn schon lange kennt. Weimer sei in diesem Milieu umgeben von Leuten, die ihn abscheulich fänden – und er könne mit diesen Leuten wiederum auch wenig anfangen.
Der Bruch mit Mathias Döpfner
Glaubt man den Berichten ehemaliger Weggefährten, wollte er schon vor mehr als zwanzig Jahren hoch hinaus, flog aber zu nah an der Sonne.
Anfang der nuller Jahre war Weimer beim Verlag Axel Springer und dort Chefredaktor der «Welt». Nach zwei Jahren überwarf er sich mit dem Springer-CEO Mathias Döpfner, obwohl die beiden eine Männerfreundschaft verband. Weimers Sturz soll brutal gewesen sein, die Gründe dafür sind bis heute nicht restlos geklärt.
Zwei mit den Vorgängen vertraute Weggefährten von ihm erzählen – unabhängig voneinander – folgende Geschichte: Weimer sei bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vorstellig geworden, dem wichtigsten Konkurrenzblatt der «Welt», die er damals leitete. Er soll sich als Chefredaktor der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» ins Spiel gebracht haben. Eine ehemalige Führungskraft der Zeitung bestätigte der NZZ diese Darstellung. Auch der «Spiegel» berichtete kürzlich darüber.
Wenn das so stimmt, wäre dies, zumindest aus Sicht der Zeitung in Frankfurt, ein ungeheuerlicher Vorgang gewesen, da sie noch nie einen Chefredaktor hatte. Die Redaktion wird von vier Herausgebern geführt, die zusammen eine Art Chefredaktion bilden.
Der Springer-CEO Döpfner soll damals Wind von der Sache bekommen haben. Der Flirt mit der Konkurrenz sei für ihn ein Verrat gewesen. Bei Axel Springer will auf Nachfrage niemand zu den Vorgängen öffentlich Stellung nehmen. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» verwies in einer E-Mail an die NZZ auf eine Erklärung in eigner Sache, die Ende Oktober 2002 im Blatt gedruckt wurde. Darin heisst es, das Herausgebergremium stehe nicht zur Diskussion.
Die NZZ hat Weimer mehrere Fragen zu den Vorgängen aus dem Jahr 2002 gestellt. Er lehnt es ab, sich öffentlich dazu zu äussern.
Null Toleranz gegen Judenhasser
Lieber möchte er über sein neues Amt reden, das er von der Grünen-Politikerin Claudia Roth übernommen hat. Hinter Roth liegt eine schwache Amtszeit. So hat sie zum Beispiel beim Antisemitismusskandal bei der Kunstmesse «Documenta» versagt und Steuergeld an die Organisation «Neue deutsche Medienmacher*innen» ausgezahlt. Diese versuchte mehrmals, Journalisten zu diskreditieren, die über kriminelle Migranten berichten.
Die Messlatte für Weimer liegt also tief. Im Gespräch sagt er, bei Antisemitismus gelte für ihn das Prinzip «null Toleranz». Ungeschickter als seine Vorgängerin kann er sich auf diesem Feld kaum anstellen.
Wird er sich bei kontroversen Themen wie dem Krieg in Nahost oder der Genderdebatte mit dem in weiten Teilen linken Kunstmilieu anlegen? Aus bürgerlich-konservativer Sicht ist es genau diese Frage, an der er sich messen lassen muss.