Vitor Marigo / Imago
Rio ist eine Party am Meer: Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie südlich der Copacabana. Dort sorgt das Nachtleben für Energie weit über den kitschigen Sonnenuntergang hinaus. – Die Serie «Streifzug durch . . .» erkundet Quartiere mit einzigartigem Charakter in faszinierenden Städten weltweit.
Wenn die Sonne langsam untergeht, liegt der schönste Ort Rio de Janeiros am Arpoador. Vom ins Meer ragenden Felsen zwischen Copacabana und Ipanema bietet sich ein magischer Blick über den Strand von Ipanema und die im Hintergrund aufragenden Dois-Irmãos-Berge. Auch die Stimmung verzaubert: Surfer paddeln Wellen an, Jogger drehen ihre Abendrunden, und in der Outdoor-Muckibude perfektionieren durchtrainierte Körper ihre Muskeln. Hier versammelt sich das Volk, leicht bekleidet und in Havaianas, zum Feierabendbier.
Man kauft sich entweder eine Bierdose oder eine Kokosnuss bei einem Strandverkäufer und schaut sich das Abendrot vom Felsen aus an. Oder man setzt sich auf die Promenade an einen Tisch der Strandbar gegenüber dem Rettungsschwimmerposten 7, wo André mit Hingabe Brasiliens berühmte Maracuja- oder Limonen-Caipirinha zubereitet. Vor dieser fast kitschigen Kulisse am Caipi-Strohhalm zu nippen, ist immer eine gute Idee. Wenn die rote Sonne schliesslich im Meer versinkt, unterbricht die Menge den Apéro und bedankt sich für das Spektakel mit tosendem Applaus. Ein Volk von Sonnenanbetern huldigt seiner Göttin. Der Beifall hallt über den ganzen Strand.
Später lohnt es sich, ins nahe gelegene «Bip Bip» aufzubrechen. Die zunächst unscheinbar wirkende Bar ist ein Geheimtipp aus dem Jahr 1968 und vor allem: ein Mini-Sambatempel. Am Dienstag erklingt hier Chôro, am Mittwoch Bossa nova, und von Donnerstag bis Sonntag geben jeweils rund ein halbes Dutzend begnadete Samba-Musiker auf engstem Raum ihre Lieder zum Besten. Gäste aller Alterskategorien singen lauthals die Klassiker mit Bier in der Hand mit und tanzen Samba vor sich hin. Mitklatschen ist untersagt, stattdessen schnippen die Besucher mit den Fingern. Es ist intim. Es ist authentisch. Es ist, als würde man eine private Party crashen.
Getränke holt man sich selbst aus den Kühlschränken, ohne zu fragen. Draussen, wo die meisten Gäste stehen, führt jemand an einem Tisch handschriftlich Buch darüber, wer was konsumiert. Notiert wird auf einem Papier der Name, dahinter kommt für jedes Getränk ein Strich dazu. Das «Bip Bip» ist familiär. Man bezahlt erst, bevor man sich sambatrunken auf den Heimweg macht.
Am nächsten Morgen beschert ein Besuch im «Forte de Copacabana» den perfekten Start in den Tag. Die ehemalige Militärbasis liegt auf einer Landzunge und beheimatet zwei Cafés sowie ein Militärmuseum. Am Eingang zahlt man einen kleinen Eintritt. Ein Spaziergang durch die Festung lohnt sich besonders für Geschichtsinteressierte. Hungrige finden im Café Colombo ihr Glück: Frisch gepresste Fruchtsäfte, Croissants und diverse Eierspeisen stehen auf der Karte. Das Frühstück geniesst man am Ufer mit Sicht auf die halbmondförmige Bucht von Copacabana.
Das Lebensgefühl Rios spürt man wenige Schritte vom «Forte» besonders an Sonn- und Feiertagen. Dann ist die vierspurige Strasse entlang der Küste für den Verkehr gesperrt, und das chaotische Treiben vom Strand weitet sich auf den Asphalt aus. Im Sand dominieren die Ballsportarten, auf dem Beton wird Velo, Rollbrett und Inlineskate gefahren. Viele sehr bunte, sehr knappe Bikinis und Badehosen sind unterwegs. Bässe und Rhythmen dröhnen aus gigantischen mitgeschleppten Lautsprechern. Strandverkäufer brüllen um die Wette. Es wird laut diskutiert und gelacht.
Kein Mensch kommt hierhin, um sich auszuruhen. Man kommt, um die prickelnde Energie dieses Ortes in sich aufzunehmen und damit in die neue Woche zu starten.
Insider-Tipps
Essen: Confeitaria Colombo: Grandiose Brunchs und Mittagessen mit toller Sicht.
Das Venga! Chiringuito: Tapas und kühler Wein auf lauschiger Terrasse.
Le pulê: Mediterrane Küche in hübschem Bistro.
Schlafen: Hotel Arpoador: Von 7 bis 23 Uhr ist die Küche der Arp-Bar an bester Lage geöffnet.
Trinken: Bip Bip: Samba tanzen, singen, Bier trinken.
Schlafen: Hotel Arpoador (DZ ab 140 Franken); Hotel Fairmont (DZ ab 300 Franken).
Hingehen: Zum Arpoador-Felsen für den Sonnenuntergang.
Sonntags die verkehrsfreie Strasse in Ipanema und Copacabana geniessen.
Machen: Surf-Stunden nehmen am Arpoador-Strand.
Zum Sonnenaufgang beim Posto 6 von Copacabana ein Stand-up-Paddle mieten.
Fahrräder mieten und den Strand entlang fahren.