Die Debatte über den Bericht der Geschäftsprüfungskommission ist eigentlich eine Routineaufgabe. Diesmal kam es anders.
Es fehlte wenig, und aus einem irritierenden Schlagabtausch wäre an diesem Montagmorgen ein ausgewachsener Eklat geworden. Denn einen Moment lang trug sich der Präsident des Zürcher Kantonsparlaments tatsächlich mit dem Gedanken, einem Mitglied der Regierung kurzerhand das Mikrofon auszuschalten.
Da hatte SP-Justizdirektorin Jacqueline Fehr gerade erst angehoben zu ihrer Brandrede, in der es um Besserwisser ging, um Begünstigung und um einen Wurm. Und die dazu führte, dass die SVP nur eine halbe Stunde danach ihren Rücktritt forderte. Wegen mangelndem Respekt, Überforderung und Dünnhäutigkeit.
Was Fehr sagte, fand Parlamentspräsident Jürg Sulser – selbst SVP-Mitglied – total daneben, wie er später unterstrich. Sie habe das Parlament zusammengestaucht, als ob sie allesamt Idioten seien. Er habe seinen ersten Impuls nur dem Frieden zuliebe unterdrückt.
Nicht einmal Fehrs Parteikollegen in den Bänken der SP wussten, was da gerade über sie hereingebrochen war. Alle waren sich zunächst nur in einem einig: Da war eine Debatte innert kürzester Zeit gründlich aus der Bahn geraten.
Die Chronologie der Eskalation beginnt damit, dass Jacqueline Fehr wegen Problemen in ihrer Direktion seit längerem in der Kritik steht: Es geht einerseits um die verfehlte Personalplanung im neuen Zürcher Polizei- und Justizzentrum (PJZ) und die nachträgliche Aufstockung auf doppelt so viele Mitarbeiter. Andererseits geht es um die Beschaffung einer neuen Software für den Justizvollzug, die nach jahrelangem Irrweg noch immer nicht gelöst ist.
Fehr ist überzeugt, zur Zielscheibe einer politisch motivierten Kampagne geworden zu sein. Probleme ihrer Direktion würden übermässig aufgebauscht, während man solche in anderen Direktionen unter den Tisch fallen lasse. Deshalb hatte sie sich vorgenommen, den Spiess umzudrehen und sich zur Anklägerin ihrer Ankläger aufzuschwingen.
Auch wenn es zunächst so wirken mochte: Das war also keine spontane Reaktion, in der sich ein lange aufgestauter Groll Bahn brach. Sondern eine mit Bedacht vorbereitete Rede, eine Eskalation mit Vorsatz.
«Nichts anderes als eine Gruppe von Besserwissern»
Dabei stand auf dem Programm eigentlich ein Pflichttermin: der Jahresbericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK). Deren Job ist zwar wichtig; sie hat die Oberaufsicht über die Verwaltung und soll der Regierung auf die Finger schauen. Normalerweise ist das aber ein Ritual, das in einer Mischung aus pflichtschuldigen Respektsbekundungen und mildem Desinteresse über die Bühne geht.
Es begann auch diesmal einigermassen routiniert: Mit dem Ärger des FDP-Sprechers Yiea Wey Te (Unterengstringen) über mangelnde Transparenz seitens der Justizdirektorin. Diese habe nicht alle Informationen zur freihändigen Vergabe eines IT-Auftrags über 32 Millionen Franken geliefert. So etwas kommt immer wieder mal vor, es gehört zum Machtspiel zwischen Regierung und Parlament.
Dann aber doppelte Benno Scherrer (Uster) von den Grünliberalen nach: Er wies darauf hin, dass Jacqueline Fehr dem FDP-Sprecher «leider» nicht zugehört habe – sie hatte die Zeit für ein Gespräch mit einem SP-Kollegen genutzt. Scherrer wollte wissen, wie es sein könne, dass ein Auftrag über 32 Millionen Franken – mutmasslich der «ominöse Plan B» für die gescheiterte Softwarebeschaffung – einfach so vergeben werde.
SP-Kantonsrat Davide Loss (Thalwil) eilte Jacqueline Fehr zu Hilfe: «Haben wir keine anderen Themen?» Das IT-Projekt sei wichtig, aber die GPK habe sich mit vielen weiteren Problemen befasst. Dass sich nun fast die ganze Debatte ausschliesslich um dieses Thema drehe, sei unverhältnismässig. Es zeige, dass die Oberaufsicht mehr und mehr nach parteipolitischen Kriterien entschiede, worauf sie den Finger lege.
Nun hatte die Justizdirektorin ihren Auftritt: Sie habe schon länger das Gefühl, dass in dieser Geschäftsprüfungskommission «der Wurm drin» sei, sagte sie. «Sie verpolitisieren Ihre eigene Aufsichtstätigkeit und scheinen die zwei Stunden of Fame zu nutzen, um auch einmal eine Schlagzeile zu liefern.» Die GPK habe im Prinzip zwar eine wichtige Funktion, aber die Voraussetzung dafür sei, dass sie ihre Arbeit korrekt mache und vollkommen integer sei. «Keine Leaks, keine Begünstigungen, keine politischen Scheuklappen.»
Damit unterstellte die Justizdirektorin der Geschäftsprüfungskommission nicht nur politische Schlagseite, sondern ziemlich unverblümt auch, dass sie käuflich sei – ohne allerdings den Vorwurf zu untermauern. Das ungehaltene Gemurmel im Saal steigerte sich nun zu Rufen der Empörung. Denn die Justizdirektorin, die ihren Gegnern eben noch vorgeworfen hatte, sich im Ton zu vergreifen, schob den Satz nach: «Wenn die Integrität nicht sichergestellt ist, ist eine GPK nichts anderes als eine Gruppe von Besserwissern.»
Dies wollte GPK-Präsident Jean-Philippe Pinto (Mitte, Volketswil) nicht auf sich sitzen lassen. Im Ärger kam ihm die regierungsrätliche Höflichkeitsform abhanden: «Deine Äusserungen hier sind absolut beleidigend!» Pinto beteuerte, dass die Kommission sachliche Gründe für ihre Kritik habe: Manche Informationen habe sie von Fehr gar nicht erhalten, andere erst verspätet. Und alle Kommissionsmitglieder hätten den kritischen Bericht gemeinsam verabschiedet – auch jene der SP.
«Noch nie hatten wir ein solches Debakel wie heute»
Die gegenseitigen Vorwürfe wiederholten sich, als es um die verfehlte Personalplanung beim PJZ ging. Und um die Frage, ob diese Fehrs Schuld sei oder jene der Gesamtregierung.
Auf der einen Seite standen die Bürgerlichen. Sie kritisierten, dass Probleme immer wieder zu lange unter dem Deckel gehalten und die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt würden. «Solches Verhalten ist mir vor allem von einer Regierungsrätin bekannt», sagte Corinne Hoss-Blatter (FDP, Zollikon).
Auf der anderen Seite standen Vertreter der Linken, die Fehr unterstützten: Der Bericht zum PJZ sei unvollständig und voller Fehler. Zudem seien Fehrs Erklärungen nicht berücksichtigt worden. «Noch nie hatten wir ein solches Debakel wie heute Vormittag», sagte Edith Häusler (Grüne, Kilchberg). «Es ist unserer Kommission nicht würdig.»
AL-Kantonsrat Manuel Sahli, dessen Kleinpartei in den Diskussionen abseits stand, zog das ernüchterte Fazit, dass an diesem Morgen die Sache auf der Strecke zu bleiben drohte. Das «sehr aggressive Wording» gegenüber der Justizdirektorin sei nicht zielführend; deren eigene Worte seien es aber ebenso wenig.
Die einzigen Gewinner sassen oben auf der Tribüne: Es war eine Schulklasse, die sich für ihren Besuch im Kantonsrat anlässlich der Politikwoche einen unspektakulären Termin ausgesucht hatte – und nun ein echtes Drama geboten bekam. Nur den Rücktritt einer Regierungsrätin erlebten sie nicht. Fehr ging gar nicht erst auf die Forderung der SVP ein. Es sei nicht die erste in ihrer Karriere.