Wie beim Stricken mehrere Gehirnregionen miteinander vernetzt werden und welche Gemeinsamkeiten das Hobby mit Yoga oder Meditation hat.
Leserfrage: Ist Stricken gesund? Oder kann es den Gelenken schaden?
Beim Stricken und bei anderen Handarbeiten sind nicht einfach nur die Hände beschäftigt. Auch unser Gehirn ist aktiv. Und das wiederum beeinflusst mehrere andere Organe positiv.
Was Stricken mit Yoga verbindet
«Nach einer halben Stunde Stricken bin ich voll im Flow, mein Kopf ist dann einmal schön durchgepustet», erzählt eine begeisterte Nadelkünstlerin im Gespräch. Forscherinnen aus Australien bestätigen die persönlichen Eindrücke. Die gleichförmigen und zugleich rhythmischen Bewegungen beim Stricken und bei anderen Handarbeiten lösen im Gehirn einen ähnlichen Zustand wie bei einer Meditation oder beim Yoga aus. Das Gedankenkarussell kommt zur Ruhe. Der meditative Zustand senkt das Aggressionslevel.
Strickerinnen und Forscher sind sich einig: Handarbeiten erfordern mentale Aufmerksamkeit – genau wie eine wackelfreie Meerjungfrau beim Yoga. Das Gute ist: Es werden jeweils mehrere Hirnregionen gleichzeitig aktiviert.
So ist beim Maschenzählen und bei der Musterplanung das Denkerhirn aktiv. Zudem müssen Augen und Handbewegungen koordiniert werden. Zugleich senden die Hände Signale, wie sich die Wolle anfühlt, ob der Faden spannt oder sanft durch die Finger gleitet. Somit werden mehrere Gehirnregionen miteinander vernetzt. Dies ist für Hirnforscher der Mayo Clinic der Grund, warum langjährige regelmässige Strickerinnen und Handarbeiterinnen – ebenso natürlich ihre männlichen Kollegen – im Alter ein geringeres Risiko aufweisen, an Demenz zu erkranken.
Wenn Schal, Pullover oder Kinderdecke fertig sind, dann hat man etwas geschafft. Und kann sich oder anderen eine Freude machen. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Durch die Fokussierung auf Nadeln und Maschen haben düstere Gedanken weniger Raum, das Gehirn ist ja mit etwas anderem beschäftigt. Das mindere Angstgefühle oder Symptome einer Depression, sagen kleine Untersuchungen und Befragungen. Laut Psychologen gibt Handarbeit ihren Patienten auch das Gefühl, immerhin über etwas die Kontrolle zu haben.
Handarbeit allein kann zwar nicht heilen. Aber sie unterstützt den Prozess. In psychiatrischen Kliniken oder Praxen von Psychologen und auch manchen Gefängnissen treffen sich daher regelmässig Strick- oder Häkelgruppen.
Hilft Stricken beim Abnehmen?
Neben dem Kopf und der Seele profitiert auch das Herz. Denn beim Stricken schütten Nervenzellen im Gehirn den Botenstoff Serotonin aus. Der sorgt unter anderem dafür, dass unsere Herzfrequenz und der Blutdruck sinken. Damit nimmt das Risiko eines Herzinfarkts ab. Klar, Stricken allein kann den nicht verhindern, genauso wenig wie einen Schlaganfall. Aber die Nadelarbeit hilft bei der Gesunderhaltung.
Ob Handarbeit auch bei einem der typischen Probleme unserer Zeit, der Gewichtsreduktion, unterstützen oder wachsenden Fettröllchen Einhalt gebieten kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Strickerinnen berichten, dass sie weniger zu Chips oder Schokolade greifen, wenn sie etwas in den Händen halten. Das klingt zwar logisch – niemand möchte noch vor dem ersten Anziehen Schokoladenflecken auf dem neuen Pulli. Aber dass regelmässig die Nadeln schwingende Damen und Herren wirklich weniger wiegen oder gar leichter abnehmen, das ist nicht durch Untersuchungen bewiesen.
Achtung, Sehnenentzündung
Doch wie bei anderen Hobbys oder häufig praktizierten sportlichen Aktivitäten gibt es auch bei der Handarbeit manchmal unerwünschte Nebenwirkungen. Wer viel und sehr lange am Stück strickt oder häkelt, der kann eine Sehnenscheidenentzündung entwickeln. Die entsteht immer dann, wenn man gewisse Bewegungen lange und ununterbrochen durchführt. Auch können Knorpel in den Fingergelenken zu stark abgenutzt werden.
Immerhin, den Entzündungen kann man vorbeugen. So sollten lange Strickphasen regelmässig unterbrochen und die Hände anders bewegt werden, indem sie zum Beispiel zu Fäusten geballt und danach die Finger weit gespreizt werden. Und wie bei allen sitzenden Tätigkeiten sollte man gelegentlich aufstehen und herumlaufen – wenn möglich dabei aber nicht an der Schokoladenschublade vorbeikommen. Eine bequeme Sitzposition und gut abgestützte Hände und Arme bei der Handarbeit verhindern Verspannungen im Nacken.
Die Frauen auf den schottischen Shetlandinseln hatten dafür vor mehr als 150 Jahren eine clevere Lösung entwickelt. Sie mussten im Winter stundenlang stricken, um die fischenden Ehemänner warm zu halten und zudem mit dem Verkauf ihrer bunten Musterpullover einen wichtigen Beitrag zum kargen Familieneinkommen zu leisten. Also haben sie ein Strickgestell erfunden. Das wurde um die Hüften gebunden, das Gewicht des entstehenden dicken Pullovers lag auf einem Lederkissen und musste somit nicht von den Händen und Armen getragen werden.
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