Die Elcom unterstützt die Forderung des Preisüberwachers nach einer Senkung der Netzkosten für die Stromverbraucher. Sparpotenzial: fast 100 Millionen Franken
Stefan Meierhans ist seit 16 Jahren Preisüberwacher. Das letzte Jahr war besonders arbeitsintensiv für ihn: Kaum je gingen mehr Beschwerden ein. Hauptthema waren die Strompreise. Diese waren jahrelang stabil. Doch seit diesem Jahr bezahlt ein durchschnittlicher Haushalt über 200 Franken mehr. Meierhans stieg diese Woche darum auf die Barrikaden. Wenn die Strompreise steigen, sollen im Gegenzug die Preise für die Nutzung des Stromnetzes sinken, forderte er.
Meierhans lieferte gleich einen Umsetzungsvorschlag: Der Bundesrat solle den Zinssatz senken, den die Besitzer der Stromnetze für ihr investiertes Kapital verrechnen dürfen. Die Strombranche reagierte umgehend. Die Stromfirmen müssten in den nächsten Jahren gewaltige Investitionen stemmen, hiess es vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Zum Beispiel, um all die geplanten Solaranlagen ans Netz anzuschliessen. Die Forderung von Meierhans sei darum «absurd».
Sinnvoll, um Verbraucher zu entlasten
Doch nun erhält Meierhans gewichtige Unterstützung. Auch die Strommarktaufsicht Elcom fordert eine Senkung dieses Zinssatzes, wie der Geschäftsführer Urs Meister auf Anfrage der «NZZ am Sonntag» sagt. «Eine Anpassung der Methode mit einer Senkung der Kapitalverzinsung wäre sinnvoll und würde die Verbraucher entlasten», sagt Meister. Die Stimme der Elcom hat grosses Gewicht. Die unabhängige staatliche Regulierungsbehörde beaufsichtigt nicht nur die Strompreise. Sie überwacht auch die Versorgungssicherheit beim Strom.
Konkret geht es um den sogenannten kalkulatorischen Zinssatz, in der Fachsprache WACC genannt. Die Besitzer der Stromnetze dürfen diesen Zinssatz für das Eigen- und Fremdkapital verrechnen, das sie im Stromnetz einsetzen.
Die Höhe des Zinssatzes hat einen grossen Einfluss darauf, wie viel die Verbraucher vom Privathaushalt bis hin zum Grossunternehmen für ihren Strom bezahlen müssen. Das zeigte sich etwa bei der Festlegung des Zinssatzes für das Jahr 2024. Damals beschloss der Bundesrat, dass für das in die Stromnetze investierte Kapital eine Verzinsung von 4,13 Prozent statt wie bisher 3,83 Prozent angewendet werden darf. Dies führt laut dem Preisüberwacher zu einer Erhöhung der Netztarife um rund 57 Millionen Franken allein für das Jahr 2024.
Doch nicht nur das Jahr 2024 ist ein Problem. «Gemäss unserer Einschätzung ist dieser Zinssatz systematisch zu hoch», sagt der Elcom-Chef Meister. Der Grund: Die Methode, mit welcher der Zinssatz festgelegt wird, hat Mängel.
Der entscheidende Punkt ist die Risikobeurteilung. Um das Geschäftsrisiko der Schweizer Versorger festzulegen, werden diese gemäss der heutigen Methode mit europäischen Netzbetreibern verglichen. Nur: «Diese Unternehmen tragen ein höheres Risiko als die Netzbetreiber in der Schweiz, weil in Europa eine andere Regulierung herrscht», sagt Meister.
Der Grund dafür ist eine schweizerische Spezialität. Die Betreiber der Stromnetze dürfen sämtliche Kosten auf die Stromverbraucher abwälzen. Dies sogar im Nachhinein: Kommt es innerhalb eines Tarifjahres zu Abweichungen, weil etwa ein Projekt teurer wurde als geplant, dürfen die Versorger dies den Kunden im Folgejahr auf die Rechnung schlagen.
Es gibt kaum Risiken für die Netzbetreiber
Grundsätzlich ist der Betrieb des Stromnetzes zwar alles andere als risikolos. Es kann Ausfälle geben, oder Unfälle können dazu führen, dass Menschen zu Schaden kommen. Nur: Gegen übliche Schadenereignisse können sich Stromversorger versichern, wie Urs Meister erklärt. Die Prämien, die sie dafür entrichten müssen, dürfen sie ebenfalls weiterverrechnen. Kommt es zu ausserordentlichen Ereignissen, stehen die Netzbetreiber ebenfalls nicht im Regen. Auch diese Kosten lassen sich laut Meister über die Netztarife decken.
Es gibt nur eine Einschränkung: Die Netzbetreiber sind verpflichtet, ihr Geschäft effizient zu betreiben. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt: Es ist schwierig bis unmöglich, einem Stromnetzbetreiber mangelnde Effizienz nachzuweisen.
Urs Meisters Fazit lautet darum: «In der Schweiz tragen die Betreiber der Stromnetze keine relevanten wirtschaftlichen Risiken.» Und darum werde bei der heutigen Methode zur Festlegung der Eigenkapitalverzinsung «ein zu hohes Unternehmensrisiko unterstellt». Das wiederum führe dazu, dass die hiesigen Netzbetreiber und Investoren einen Zinssatz erhielten, von dem etwa Bankkunden nur träumen könnten.
Warnung vor Vertrauensverlust
Die Strombranche widerspricht. «Wir stehen erst am Anfang des Umbaus des Energiesystems», sagt Claudia Egli, Sprecherin des Branchenverbandes VSE. Nicht nur die Produktion müsse massiv ausgebaut werden, sondern auch das Stromnetz. Solche Infrastrukturprojekte seien sehr teuer und benötigten darum riesige Investitionen. Würden die Bedingungen nun geändert, «wäre es schwer vorstellbar, dass zum Beispiel ein Fonds mit Pensionskassengeldern in Netze investieren würde», sagt Egli. Vielmehr würden diese nach Alternativen suchen.
Ein Kapitalgeber, der nicht genannt werden will, bestätigt: Man sehe sich durchaus nach anderen Investitionsmöglichkeiten um. Amerikanische Staatsanleihen würden aktuell mehr als 5 Prozent Zinsen bringen – ohne jedes unternehmerische Risiko und bei «praktischer Ausfallsicherheit». Und er warnt: Ändere die Schweiz jetzt ihre Berechnungsmethodik, werde dies das Investorenvertrauen «nachhaltig unterminieren».
Der Elcom-Chef Meister sagt, der Zinssatz dürfe selbstverständlich auch nicht zu tief sein. «Doch auch mit einem spürbar tieferen Zinssatz bleiben Investitionen ins Schweizer Stromnetz aufgrund der geringen Risiken attraktiv.»
Die Versorgungssicherheit gerate mit einer Anpassung der Berechnungsmethode ebenfalls nicht in Gefahr, so Meister weiter. Und er weist umgekehrt auf die Probleme einer zu hohen Kapitalverzinsung hin: Neben unnötig hohen Belastungen für die Verbraucher bestehe auch die Gefahr von Anreizen zur Überinvestition.
Der Bundesrat hat sich inzwischen bereit erklärt, die Methode zu überprüfen, mit welcher der Zinssatz berechnet wird – zum Ärger der Strombranche und der Investoren.
Das Einsparpotenzial ist hoch. Mit dem derzeit gültigen Zinssatz von 4,13 Prozent beläuft sich die jährliche Verzinsung des Schweizer Stromnetzes auf knapp 900 Millionen Franken. Die Aufsichtsbehörde hat berechnet, was sich ändern würde, wenn für die Risikoberechnung eine andere Vergleichsgruppe herangezogen würde. Dazu berücksichtigte sie ausschliesslich europäische Betreiber des Übertragungsnetzes, deren Risiko eher mit jenem der Schweizer Netzbetreiber vergleichbar ist. Das Resultat: Die Kosten für die Stromverbraucher würden um 95 Millionen Franken jährlich sinken.
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