Die Proteste gegen ein umstrittenes Quotensystem im Staatsdienst führen zu immer blutigeren Ausschreitungen. Dutzende Demonstranten wurden erschossen, für Freitag verhängte die Polizei ein Versammlungsverbot für Dhaka.
Ausgebrannte Gebäude, verwüstete Strassen und Dutzende Tote bei Zusammenstössen mit der Polizei – in Bangladesh haben sich die schon seit Wochen andauernden Studentenproteste am Donnerstag massiv zugespitzt. Nach einem Tag des Chaos und der Gewalt waren am Freitag das Staatsfernsehen und andere Nachrichtensender nicht mehr zu empfangen. Auch mehrere Websites von Zeitungen in Bangladesh waren offline. Zudem funktionierten Internet- und Telefonverbindungen nicht, wie Nachrichtenagenturen berichteten.
Der Hintergrund sind landesweite Proteste gegen die Wiedereinführung einer Quote im Staatsdienst, welche die Nachfahren von Kämpfern aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971 bei der Vergabe von Stellen bevorzugt. Besonders Studenten fordern eine Reform des Quotensystems. Sie wehren sich dagegen, dass 30 Prozent der Stellen für Kinder und Enkel von Freiheitskämpfern reserviert sind. Zusätzlich sind auch für Frauen und Minderheiten Kontingente vorgesehen.
Die Proteste konzentrierten sich zunächst auf die Universitäten. Nach blutigen Zusammenstössen zwischen Gegnern und Befürwortern der Quote schloss die Regierung am Dienstag sämtliche Schulen und Unis. Premierministerin Sheikh Hasina wandte sich am Mittwochabend im Staatsfernsehen an die Studenten, versicherte ihre Bereitschaft zum Dialog und verurteilte die Tötung von Demonstranten, doch konnte ihre Rede die Stimmung nicht beruhigen.
Das Staatsfernsehen steht in Flammen
Die Anführer der Protestbewegung hatten für Donnerstag zu einem landesweiten Streiktag aufgerufen. In der Hauptstadt Dhaka und anderen Städten waren sonst lebhafte Strassen ausgestorben, da viele Leute Zuhause blieben. Auch Geschäfte blieben geschlossen. Ein Mob stürmte den Sitz des Staatsfernsehens in Dhaka und setzte ihn in Brand. An zahlreichen Orten liefern sich die Demonstranten Strassenschlachten mit der Polizei, wobei diese neben Tränengas und Blendgranaten auch Gummi- und Schrotgeschosse einsetzte.
Lokale Medien berichteten von Dutzenden Toten und Hunderten Verletzten. Auch zahlreiche Journalisten sollen unter den Verletzten sein. Laut einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP wurden allein am Donnerstag landesweit 32 Personen getötet, die meisten durch Schüsse der Polizei. Schon in den Tagen zuvor hatte es mindestens sieben Tote gegeben. Nach Angaben der Polizei wurden auch hundert Polizisten verletzt und 50 Polizeiposten in Brand gesteckt.
Die Demonstranten blockierten zahlreiche Strassenkreuzungen und besetzten Universitätsgebäude. An einer Universität in Dhaka musste die Polizei laut Medienberichten 60 Beamte per Helikopter vom Dach eines Gebäudes bergen, in dem sie belagert wurden. Zuvor hatten Mitglieder der Chhatra League die protestierenden Studenten attackiert. Die Chhatra League ist der militante Studentenflügel der regierenden Awami League von Premierministerin Sheikh Hasina.
Die Wirtschaft schafft zu wenig Arbeitsplätze
Die Studenten fordern, dass bei der Vergabe von Stellen im Staatsdienst Leistung stärker honoriert wird. Sie beklagen, dass viele Stellen vakant blieben, die für die Nachfahren von Freiheitskämpfern reserviert sind, während Tausende qualifizierte Bewerber ohne Arbeit seien. Wie in anderen Ländern Südasiens gibt es in Bangladesh viel zu wenig geeignete Stellen für Universitätsabsolventen. Ökonomen sprechen von Wirtschaftswachstum ohne Beschäftigungszunahme.
In die Frustration der Studenten über ihre schlechten Perspektiven mischt sich der Unmut über das autoritäre Vorgehen von Sheikh Hasina. Die 76-Jährige, die bei den Parlamentswahlen im Januar unter dem Boykott der Opposition im Amt bestätigt wurde, regiert das Land seit 2009 mit harter Hand. Ihre Gegner werfen der Tochter des Staatsgründers Sheikh Mujibur Rahman vor, Kritiker eliminieren zu lassen und Todesschwadrone zu unterhalten.
Für Freitag verhängte die Polizei ein komplettes Versammlungsverbot für die Hauptstadt Dhaka. Aktuelle Informationen über die Medien oder die sozialen Netzwerke zu erhalten, war schwierig. Die Internet-Beobachtungsstelle Netblocks meldete einen fast völligen Ausfall des Internets in Bangladesh. Die Gewalt gegen die Demonstranten heizte die Proteste weiter an. Protestführer sagten, sie seien grundsätzlich bereit zu Gesprächen über eine Reform des Quotensystems. Dies sei aber nicht möglich, solange die Polizei auf die Studenten schiesse.