Jahrzehntelang waren der ANC und die DA politische Erzrivalen in Südafrika. Seit diesem Sommer nun lenken die gegensätzlichen Parteien die Geschicke des Landes gemeinsam als Koalitionspartner. Das sorgt für Reibung, aber auch vorsichtigen Optimismus.
Der Blick aus seinem Büro in Kapstadt ist für Südafrikas Innenminister Leon Schreiber eine stete Erinnerung an die Dringlichkeit der Aufgabe, vor der die Regierung steht. Aus dem achten Stock blickt der erst 36 Jahre alte Politiker auf das ausgebrannte Dach des ehrwürdigen Parlamentsgebäudes. Vor fast drei Jahren hatte vermutlich ein Brandstifter das Feuer in Südafrikas Symbol der Demokratie gelegt. Eine gute Metapher sei das, sagt Schreiber. Es gibt einiges zu tun bei der überfälligen Reparatur der staatlichen Strukturen.
Über Jahrzehnte hinweg waren die staatlichen Institutionen vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC) untergraben worden. Von jener Partei, mit der Schreibers langjährige Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) seit diesem Juni im Verbund auftritt. Die beiden wurden im Sommer nach desaströsen Wahlverlusten des ANC zu den wichtigsten Koalitionspartnern in Südafrikas Regierung der nationalen Einheit. Schreiber übernahm als Innenminister das wichtigste der sechs DA-Ministerien.
Südafrikas Regierung ist ein Bündnis der Gegensätze. Der linke ANC und die liberal-wirtschaftsfreundliche DA hatten sich im Wahlkampf hart bekämpft. Nach der Wahl aber lenkten die beiden in eine Koalition ein – auch aus der Erkenntnis, dass die Alternative das Land wirtschaftlich in den Abgrund geführt hätte. Ein Pakt des ANC mit den linksradikalen Economic Freedom Fighters oder gar mit der antikonstitutionellen MK-Partei des korrupten früheren Präsidenten Jacob Zuma hätte desaströse Folgen gezeitigt.
Das Chaos aufräumen, ohne den Verursacher vor den Kopf zu stossen
Fünf Monate ist die Vereidigung der neuen Regierung nun her. Innenminister Schreiber kommt mit schnellen Schritten in sein Büro, ein Ausschusstreffen hatte sich verzögert, noch auf dem Gang sprechen ihn Mitarbeiter für kurze Rückfragen an. Er muss ein Ministerium aufräumen, das wie wenige andere für den desolaten Zustand Südafrikas stand. Und er muss das tun, ohne den Hauptverantwortlichen, den neuen Koalitionspartner ANC, allzu offensiv anzugehen. Schreiber fand zum Beispiel 247 000 unbearbeitete Anträge für Personalausweise vor. Zudem hatten kriminelle Syndikate das Ministerium unterwandert; das Parlament ordnete eine Untersuchung an, gemäss der von 2014 bis 2021 satte 45 000 Visa illegal ausgestellt worden waren.
Kaum ein anderer Minister präsentierte sich in den vergangenen Monaten so emsig wie Schreiber. Er gehört zu einer jungen Riege aufstrebender Politiker der DA. Kritiker werfen der Partei vor, dass sie allzu oft Weisse wie Schreiber in den wichtigsten Positionen platziere. Schreiber hält dem entgegen, dass die Führung der Partei weit diverser sei als bisweilen dargestellt, und verweist auf Bildungsministerin Siviwe Gwarube und Kommunikationsminister Solly Malatsi. Zudem hätten noch nie so viele Schwarze die Partei gewählt. «Die Hautfarbe spielt natürlich eine Rolle in der südafrikanischen Politik, und das wird noch lange so sein», sagt Schreiber. «Aber eines Tages werden wir hoffentlich den Punkt erreichen, wo nur noch zählt, wer den Job am besten macht.»
Seine Bilanz kann sich bislang sehenlassen. Der Rückstau der Ausweisanträge ist abgebaut. Die Visavergabe wurde reformiert, die überfällige Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben. Dutzende korrupte Beamte wurden entlassen. «Es gibt im Innenministerium viele Feuer. Aber wir haben auch viele Feuerwehrleute», sagt Schreiber. Er klingt dabei nicht triumphierend, sondern wie einer, der Aufbruchstimmung verbreiten will.
Entsprechend lenkt er das Gespräch schnell auf positive Aspekte der bisherigen Koalitionsbilanz. Seit Monaten gab es keine Stromausfälle mehr. Die Behörden vermelden die Schaffung von fast 300 000 neuen Jobs, wenngleich die Arbeitslosigkeit mit 32 Prozent noch immer zu den weltweit höchsten gehört und das Wirtschaftswachstum weiterhin bei rund 1 Prozent stagniert. Die Beziehung zwischen den Regierungsparteien nennt Schreiber «stabil, mit kreativer Spannung», beide hätten die Entwicklung Südafrikas im Fokus.
Differenzen sind deutlich zu erkennen
Doch die Gegensätze sind unübersehbar, etwa in der Haltung zum Ukraine-Krieg. Da versucht der ANC weiterhin eine eher Kreml-freundliche Aussenpolitik vorzugeben. So bezeichnete Präsident Cyril Ramaphosa (ANC) Russland erst kürzlich wieder als «Südafrikas Freund und Alliierten». Es war danach Schreiber, der im Sinn der prowestlichen DA die Ukraine fast wortgleich als «geschätzten Alliierten und Freund» lobte und ganz nebenbei die Visumsbefreiung für ukrainische Diplomaten und Regierungsmitarbeiter ankündigte. Mit Letzterem kam er Ramaphosa zuvor, der sich entsprechend empört zeigte: «Es ist unklar, wie der Minister das verkünden kann», so kommentierte sein Sprecher die Missachtung des Protokolls.
Schreiber tut das als Kommunikationsprobleme ab, spricht von einem Lernprozess und einem Beispiel für weiteren Verhandlungsbedarf zwischen den beiden Parteien, denen die Verfassung nur zwei Wochen zur Koalitionsbildung gelassen hatte. Der Nachhall des Fauxpas war auffällig kurz, wie bei fast allen Reibungspunkten der vergangenen Monate. So stimmte der ANC für die Abwahl des DA-Bürgermeisters der Hauptstadt Pretoria. Das könne grossen Einfluss auf den Erfolg der Koalitionsregierung haben, drohte Helen Zille zunächst, die weiterhin enorm einflussreiche Grande Dame der DA.
Doch zu einer wirklichen Eskalation kam es nicht. Auch Skandale um den ehemaligen Sportminister Zizi Kodwa und die gegenwärtige Justizministerin Thembi Simelane, beide ANC, kritisierte die DA defensiver als gewohnt. Auf der anderen Seite reagierte der ANC wenig kampflustig, als die DA zwei Youtubern hochrangige Posten gab, die in der Vergangenheit mit rassistischen Aussagen aufgefallen waren – und die sie nur zögerlich wieder aus ihren Reihen entfernte. Das politische Bündnis bleibt ein Balanceakt, zumal kontroverse Themen wie die Reform des öffentlichen Gesundheitssystems erst allmählich auf die Agenda rücken. Und weil die DA den ambitionierten Anspruch hat, den ANC bei den nächsten Wahlen als stärkste Partei abzulösen.
Wohl niemand war auf dieses Spannungsfeld besser vorbereitet als Schreiber. Sein Doktorat machte er einst an der Freien Universität in Berlin, liess Beobachtungen zur deutschen Politik in sein Buch «Koalitionsland» einfliessen, in dem er den Verlust der absoluten Mehrheit des ANC in Südafrika voraussagte.
Entsprechend leicht fällt ihm der Konter auf die Frage, ob seine Partei nicht eine auf Dauer unmögliche Zweckehe eingegangen sei. «Mit Verlaub, schauen Sie, was gerade in Deutschland mit der Ampelkoalition passiert ist.» Schreiber ist davon überzeugt, dass es in Südafrika besser laufen wird. «Natürlich kochen die Temperamente manchmal hoch», sagt er. Der Unterschied zu Deutschland sei die noch weit grössere Dimension der Krise am Kap: «Wir müssen es einfach hinbekommen.»