Der E-Commerce-Anbieter Temu hat sich auf Billigstware spezialisiert. Aber Vietnam und Indonesien wollen nicht länger mit chinesischen Produkten überschwemmt werden.
In Südostasien regt sich zunehmend Widerstand gegen die chinesische E-Commerce-Plattform Temu, die derzeit beliebteste Shopping-App der Welt. Nachdem Indonesien die App vor wenigen Monaten verboten hat, zieht nun Vietnam nach. Temu ist dort seit Anfang Dezember verboten, vorerst handelt es sich um eine Suspendierung. Beide Länder geben an, Temu verletze Urheberrechtsbestimmungen und die Produkte wiesen Qualitätsmängel auf.
Der Entscheid dürfte Temu schmerzen: Indonesien ist der grösste E-Commerce-Absatzmarkt in der Region, in Vietnam gibt es eine junge, digitalaffine Bevölkerung, die lieber per App bestellt, als selber einkaufen zu gehen.
Direkt zum Kunden
Bis vor einigen Monaten dürften die wenigsten Menschen in Europa und den USA von Temu gehört haben. Das änderte sich mit dem Super Bowl im vergangenen Winter: Für das grösste American-Football-Spektakel kaufte Temu gleich sechs der teuren und begehrten Werbefenster für seinen Slogan: «Einkaufen wie ein Milliardär».
Der Slogan verspricht, dass man sich auf der App alles leisten kann – wie die Allerreichsten eben. Das geht, weil die Produkte spottbillig sind. Es gibt Pullover, Bettwäsche, Möbel, aber auch ein Smartphone für 60 Franken. Temu dürfte laut Analysten im Jahr 2024 Waren im Wert von 50 Milliarden Dollar weltweit verkauft haben – das wäre eine Verdreifachung gegenüber dem vergangenen Jahr. Die App gehört zu den am meisten heruntergeladenen in den USA.
Den Grund, wieso Temu so günstig ist, erklärte die Harvard-Dozentin Moira Weigel kürzlich dem Magazin «Wired»: Temu habe in den vergangenen Jahren ein Geschäftsmodell daraus gemacht, kriselnde chinesische Hersteller, die nicht gewusst hätten, wie sie internationale Märkte erreichen könnten, direkt mit internationalen Kunden zu verbinden. Diese wiederum leiden unter der Inflation in ihren Ländern und den global gestiegenen Preisen – und sind froh, auf der App billige Produkte zu finden. Zwischenhändler werden mit Temu, wie bei ähnlichen E-Commerce-Apps, ausgeschaltet. Zudem nutze Temu die Zoll-Regularien in den USA geschickt, laut denen Produkte unter einem Wert von 800 Dollar zollfrei verschickt werden können.
Temu ist mittlerweile in über achtzig Ländern aktiv. Seit diesem Jahr ist die App auch in Thailand, den Philippinen, Malaysia und Brunei erhältlich. Dort erfolgte der Markteintritt ohne grosses Brimborium. Temu will es sich nach dem Debakel in Indonesien und Vietnam nicht auch noch mit weiteren Regierungen in der Region verscherzen.
Denn für die Verbote in Indonesien und Vietnam gibt es noch einen weiteren Grund, den die dortigen Regierungen weniger explizit nennen: Die Länder wollen nicht mehr mit günstigen chinesischen Produkten überschwemmt werden. Dass der Handelsstreit zwischen den USA und China sich zuspitzt, spüren die Länder im unmittelbaren Umfeld Chinas – dort sollen die überzähligen Produkte nun Absatz finden. Dies sehr zum Leidwesen von lokalen Produzenten, die mit der chinesischen Masse und den tiefen Preisen kaum konkurrieren können.
In Thailand, das eigentlich selber ein Exportland sein will, mussten im Jahr 2023 über 2000 Fabriken die Produktion einstellen. Die Wirtschaft wächst nicht wie gewünscht. Die Regierung hat ein Notprogramm für die Bevölkerung ins Leben gerufen, Bürger erhalten einen Bargeld-Bonus, damit der Konsum angekurbelt wird. Einen Grund für Thailands schleppendes Wachstum sehen Experten auch in den Importen aus China, die die Preise für thailändische Produkte unterbieten.
Die thailändische Regierung hat bereits angekündigt, Temu und seine Wirkung auf die lokale Wirtschaft genau zu überwachen und allenfalls Massnahmen gegen die App zu ergreifen.
Auch die USA und die EU könnten gegen Temu vorgehen
Damit kommen die Behörden in Südostasien einer Entwicklung zuvor, die in den USA und Europa erst einsetzt. Auch dort sind die Regierungen zunehmend kritisch gegenüber Temu. In den USA gibt es Stimmen, die in Temu eine Bedrohung für die nationale Sicherheit sehen – der Ton ist ähnlich scharf wie bei der chinesischen Social-Media-App Tiktok. Das Center for Strategic and International Studies in Washington schrieb kürzlich in einem Bericht, Temu sei nichts anderes als «eine Informationen sammelnde Spyware, verkleidet als E-Commerce-Seite». Die abtretende Biden-Regierung will zudem das Schlupfloch für zollfreie Güter unter 800 Dollar so schnell wie möglich schliessen.
Auch in der Schweiz regt sich Widerstand gegen Temu. Das Staatssekretariat für Wirtschaft lud Temu-Vertreter nach einer Beschwerde des Detailhandelsverbandes zu einem Gespräch ein. Die EU hat ein Verfahren gegen Temu im Rahmen der Digital Services Act eingeleitet, unter anderem, weil die Plattform kaum gegen fehlbare Verkäufer vorgeht.