Der amerikanische Investor Steven Wood wollte sich in den Verwaltungsrat wählen lassen. Fast zwei Drittel der Inhaberaktionäre unterstützten ihn. Doch ein fehlendes Traktandum und undurchsichtige Stimmregeln verhinderten seine Wahl.
Die Familie Hayek hatte gehofft, dass dieses Jahr keine Journalisten die Generalversammlung (GV) der Swatch Group mitverfolgen. Eine höflich formulierte Anfrage der NZZ, der GV beizuwohnen – bei anderen Firmen eine Selbstverständlichkeit –, wurde abschlägig beantwortet. Begründung: Die Versammlung sei, wie der Name sage, den Aktionären vorbehalten. Man werde im Anschluss eine Pressemitteilung versenden.
Ein unangenehmer Antrag
Der wahre Grund für die Abwehrhaltung lag wohl in einem unangenehmen Traktandum: Der amerikanische Investor Steven Wood beantragte, in den Verwaltungsrat gewählt zu werden – als Vertreter der Inhaberaktionäre. Inhaberaktien haben im Vergleich zu Namenaktien fünfmal weniger Stimmrechte. Bei der Swatch Group kontrolliert der Hayek-Aktionärspool, dem neben der Familie Hayek auch die Ammann Group angehört, mit rund 25 Prozent des Kapitals 44 Prozent der Stimmen – dank einem grossen Bestand an Namenaktien.
Auch wenn die Hayeks keine Journalistinnen an der GV wollten – ganz verhindern konnten sie deren Teilnahme nicht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Swatch Group zu den wenigen Schweizer Konzernen gehört, die ihre Generalversammlungen nur noch digital durchführen. Für Aktionäre ist das ein Nachteil: Sie können sich kaum einbringen. Für Journalistinnen jedoch ergibt sich ein Vorteil: Es braucht kein Eintrittsticket für die GV. Es genügt, einen Aktionär zu finden, der einen mithören lässt.
Und das war nötig: Denn das, was Swatch in einem Communiqué nach Ende der Veranstaltung mitteilte, deckte sich kaum mit dem tatsächlichen Ablauf der GV. Die Pressemitteilung fasste sich kurz: «Die vom Verwaltungsrat gestellten Anträge wurden von der Generalversammlung mit grossem Mehr angenommen. Die Kandidatur von Herrn Steven Wood wurde mit 79,2 Prozent Gegenstimmen abgelehnt.»
Die Realität war deutlich komplexer
Tatsächlich stimmte die Mehrheit der GV zwar den Anträgen des Verwaltungsrats zu – aber das liegt auch daran, dass die Familien Hayek und Ammann im Verwaltungsrat sitzen und zusammen fast 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Beim einzigen Traktandum, bei dem der Verwaltungsrat nicht mitstimmen durfte – der Entlastung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung – war die Zustimmung deutlich geringer: Nur 55,7 Prozent der Aktionäre stimmten zu. 2024 waren es noch 73 Prozent gewesen, 2023 sogar noch 87 Prozent.
Das ist ein klares Zeichen, dass die Aktionäre der bisherigen Unternehmensführung zunehmend kritisch gegenüberstehen. Ein zentraler Punkt ist die Corporate Governance: Im siebenköpfigen Verwaltungsrat der Swatch Group sitzen vier Vertreter des Hayek-Pools: Nayla Hayek als Präsidentin, ihr Sohn Marc, der CEO Nick Hayek und Daniela Aeschlimann, die Tochter von alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann, als Vertreterin der Ammann Group.
Ergänzt wird das Gremium mit dem Lindt-&-Sprüngli-Präsidenten Ernst Tanner, dem Astronauten Claude Nicollier und dem ehemaligen Nationalbankdirektor Jean-Pierre Roth. Diese drei gelten zwar formal als unabhängig – diese Unabhängigkeit wird aber wegen ihrer jeweils mindestens 15-jährigen Zugehörigkeit zum Verwaltungsrat zumindest infrage gestellt.
Die Kritik an der Corporate Governance der Swatch Group ist nicht neu. Doch sie findet immer mehr Anhänger. Denn das Geschäft läuft längst nicht mehr so gut wie früher. Im Jahr 2024 fiel der Umsatz um 12 Prozent auf 6,7 Milliarden Franken. Der Gewinn brach um 75 Prozent ein. Der Aktienkurs ist auf dem tiefsten Stand seit sechzehn Jahren. Investoren und Analysten kritisieren die strategische Ausrichtung der Gruppe – und den Führungsstil des Chefs.
Inhaberaktionäre stimmten für Wood
Was den Antrag von Wood anbelangt, so wurde dieser keineswegs deutlich abgelehnt. Wood wurde – wohl zur Überraschung der Hayeks – von 61,9 Prozent der Inhaberaktionäre als Vertreter gewählt. Trotzdem wurde er ohne weitere Abstimmung von der Swatch Group abgelehnt. Die Begründung: Der bisherige Vertreter der Inhaberaktionäre im Verwaltungsrat, der frühere SNB-Präsident Jean-Pierre Roth, habe noch mehr Stimmen der Inhaberaktionäre erhalten. Damit sei dieser weiterhin legitimiert – Wood sei durchgefallen.
Juristen üben scharfe Kritik am Vorgehen der Swatch Group. Schon die Einladung zur GV sei mangelhaft gewesen, sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern. In der Einladung habe ein eigenes Traktandum gefehlt, das den Inhaberaktionären erlaubt hätte, einen Vertreter zu nominieren. Stattdessen sei die Wahl von Steven Wood einfach in die allgemeine Verwaltungsratswahl eingebaut worden.
Das habe die Aktionäre verwirrt. Juristen sind überzeugt: Viele Inhaberaktionäre hätten gar nicht gewusst, dass sie für Wood und zugleich gegen den bisherigen Vertreter Roth hätten stimmen müssen, um einen Wechsel zu bewirken. Wood selbst trat nie gegen Roth an. Im Gegenteil: Er unterstützte dessen Wiederwahl. Er wollte den Verwaltungsrat lediglich ergänzen.
Interessant wäre es gewesen, vom unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu hören, wie er die Abstimmung interpretierte. Aber Christof Helbling von Proxy Voting Services meinte auf Anfrage, er könne leider über die heutige Generalversammlung keine Auskünfte erteilen.
Doch Swatch verknüpfte zwei Dinge: die Nominierung als Vertreter der Inhaberaktionäre und die Wahl in den Verwaltungsrat. So konnte Wood trotz Mehrheit bei den Inhaberaktionären nicht in den Verwaltungsrat einziehen. Hätte Swatch seine Kandidatur korrekt behandelt, wäre nach der Nominierung durch die Inhaberaktionäre eine zweite Wahl durch alle Aktionäre nötig gewesen. Die Namenaktionäre hätten ihn nur mit triftigen Gründen ablehnen können.
Schweizer Kandidat ebenfalls abgelehnt
Als Begründung für die Ablehnung führte Swatch in der Einladung an die Aktionäre an, Wood sei kein Schweizer und sitze im Verwaltungsrat einer Rüstungsfirma.
An der GV meldete sich daraufhin der Aktionär Martin Kaufmann aus Meilen zu Wort. Er bot sich als Alternative für Wood an. Er sei wie Wood überzeugt, dass es frisches Blut im Verwaltungsrat brauche. Gleichzeitig habe er keines der Attribute, die Wood nach Ansicht der Swatch Group unwählbar machten: Er sei kein Ausländer und nicht in der Rüstungsindustrie tätig.
Doch Nayla Hayek wies ihn kurzerhand zurück: Sie argumentierte, Kaufmann nehme an der GV als Namenaktionär teil, und danach wörtlich: «Sie können als Namenaktionär nicht Vertreter der Inhaberaktionäre sein.» Darauf zog sich Kaufmann zurück. Auf welcher Basis Nayla Hayek ihre Aussage gemacht hatte, ist unklar. Eine entsprechende Vorschrift findet sich weder im Corporate-Governance-Bericht noch in den Statuten der Swatch Group.
Wood kann ausserordentliche GV beantragen
Wood hat zwei Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. Er kann sich vor Gericht wehren gegen die Beschlüsse der GV; aber der Rechtsweg ist langwierig. Oder er kann eine ausserordentliche GV beantragen. Das dürfte die wahrscheinlichere Variante sein, denn die dafür notwendigen 5 Prozent der Stimmen hat Wood laut eigenen Angaben rasch beisammen.
«Wir werden unsere nächsten Schritte sorgfältig prüfen – darunter auch die Möglichkeit, eine ausserordentliche Generalversammlung zu beantragen», sagte Wood auf Anfrage. Ziel sei es, sicherzustellen, dass die Wahl eines Vertreters der Inhaberaktionäre gemäss bewährter internationaler Praxis und im Einklang mit dem Schweizer Recht durchgeführt werde – und dass die Inhaberaktionäre das Recht erhalten, einen bindenden Vorschlag für ihren Wunschkandidaten einzureichen.
Richemont zeigte Lösung auf
Wie sich eine solche Situation transparent und rechtskonform lösen lässt, zeigte vor drei Jahren der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont. Auch dort gibt es zwei Aktienkategorien. Die Familie des südafrikanischen Unternehmers Johann Rupert kontrolliert mit nur 10 Prozent des Kapitals über 51 Prozent der Stimmen.
Ein aktivistischer Investor, Bluebell Capital, forderte damals einen Vertreter der A-Aktionäre im Verwaltungsrat. Der Vorschlag: Francesco Trapani, ein früherer LVMH-Manager. Richemont lehnte Trapani ab – wegen möglicher Interessenkonflikte. Doch der Verwaltungsratspräsident Rupert anerkannte die Berechtigung des Anliegens. Richemont schlug eine eigene Kandidatin vor. Die A-Aktionäre stimmten separat ab – und wählten sie mit grosser Mehrheit.
Niemand konnte dem Unternehmen Intransparenz vorwerfen. Bei Swatch hingegen sieht es anders aus.