Die Plattform Iptiq sollte den Rückversicherer Swiss Re in die digitale Zukunft führen. Doch die Erwartungen haben sich nicht ansatzweise erfüllt. Das Fiasko überschattet den Abgang des CEO Christian Mumenthaler.
Man kann vor dem Monster fliehen – oder ihm die Stirn bieten. Das Monster, das die Versicherungsbranche vor sich hertrieb, hiess Insurtech. Aggressive, agile, technologiegetriebene Startups, die sich zum Ziel setzten, die traditionellen Versicherer mit schlanken Lösungen aus dem Markt zu katapultieren.
Hinzu kam eine zweite Bedrohung für die Versicherungswirtschaft: die Tiefzinspolitik der Notenbanken im Nachgang der Finanzkrise. «2014 hatten wir ein Nullzinsumfeld, wodurch sehr viel externes Kapital in den Markt floss», sagt der Swiss-Re-CEO Christian Mumenthaler. «Es gab Szenarien, dass der Kapitalmarkt die Funktion von klassischen Rückversicherungen übernehmen könnte.»
Iptiq sollte die Konkurrenz auf dem eigenen Terrain schlagen
Angesichts der doppelten Bedrohung ergriff Swiss Re die Flucht nach vorn. Der Rückversicherer lancierte vor zehn Jahren die Plattform Iptiq. Ein Startup innerhalb des Konzerns, das digitale Versicherungsprodukte für Drittfirmen schmiedet. Iptiq sollte die neue Tech-Konkurrenz auf deren eigenem Terrain schlagen, den Ausbruch aus dem Rückversicherungsmarkt ermöglichen und für höhere Margen sorgen.
Erfolge gab es durchaus. So bot etwa der schwedische Möbelgigant Ikea seinen Kunden neben der neuen Küche gleich noch eine Hausratsversicherung an. Die Technologie und das Versicherungswissen dazu lieferte Iptiq. Auch Campervermieter und Lebensversicherungen nutzen die Plattform für massgeschneiderte Angebote.
Jahrelang pries Swiss Re die Digitaltochter als grosse Zukunftshoffnung. Nach einem dynamischen Wachstum in den letzten Jahren sei Iptiq auf bestem Weg, Marktführerin in ihrem Bereich zu werden, sagte Mumenthaler 2020. Damals wurde Iptiq zu einer eigenständigen Division im Traditionskonzern veredelt. Der Marktwert der Plattform wurde im Geschäftsbericht auf 1 bis 1,5 Milliarden Dollar beziffert.
Geschäftszahlen bieten ein desolates Bild
Doch darin war viel Hoffnung, die sich nie erfüllte. Die Geschäftszahlen bieten ein desolates Bild: Die Bruttoprämien von Iptiq belaufen sich zehn Jahre nach dem Start gerade einmal auf 1,1 Milliarden Dollar. Gleichzeitig fuhr die Division 2023 einen Verlust von 250 Millionen Dollar ein. Über die letzten vier Jahre hinweg summieren sich die Defizite von Iptiq auf 1,1 Milliarden Dollar.
Nun zieht Swiss Re den Stecker. Iptiq soll in die Einzelteile zerlegt und verkauft werden, wie der Konzern anlässlich seiner Quartalsberichterstattung am Donnerstag mitteilte. Die dadurch anfallenden zusätzlichen Verluste würden nicht dramatisch ausfallen, so beschwichtigte der Finanzchef John Dacey anlässlich einer Telefonkonferenz. Der Ausstieg solle «in einer Weise und in einem Zeitrahmen geschehen, die den Wert für die Gruppe maximieren», heisst es in der Mitteilung. Wie viele Arbeitsplätze betroffen sind, legt Swiss Re nicht offen.
Die Monster von einst entpuppten sich als Chimären
Die Monster von damals haben ihre Bedrohlichkeit verloren. «Die Zinswende hat das Umfeld radikal verändert», sagt Christian Mumenthaler im Gespräch. «Die Aussichten im Kerngeschäft haben sich massiv verbessert. Sie sind hervorragend heute. Deshalb sind wir zum Schluss gekommen, dass wir die Option Iptiq nicht mehr brauchen.»
Die befürchtete Disruption des Versicherungsgeschäfts durch Tech-Firmen fand nicht statt. «Die Insurtech-Welle ist vorbei», konstatiert Mumenthaler. Auch andere einst hochgelobte Insurtech-Startups wie Lemonade oder Wefox wurden in jüngster Zeit entzaubert.
Mit Iptiq konstruierte sich der Rückversicherer eine Versicherung gegen die Risiken der tiefen Zinsen und technologischen Herausforderungen. War die Prämie dafür gerechtfertigt – oder hätte man früher den Stecker ziehen sollen? «Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass es eine teure Option war», sagt Mumenthaler, «aber zum Zeitpunkt, als wir Iptiq lancierten, war es eine vielversprechende Option.»
Quartalsgewinn übertrifft die Erwartungen
Noch drei Monate bleibt Mumenthaler CEO, dann übernimmt Andreas Berger, der heutige Chef der Sparte Firmenversicherungen, die Konzernführung. Das Iptiq-Fiasko überdeckt, dass Mumenthaler seinem Nachfolger ein sonst aufgeräumtes Haus übergibt.
Der für das erste Quartal 2024 ausgewiesene Gewinn liegt mit 1,1 Milliarden Dollar deutlich über den Markterwartungen. Der Aktienkurs zog deutlich an.
Dank den hohen Zinsen auf Staatsanleihen erzielte Swiss Re auf den Kapitalanlagen eine Rendite von 4 Prozent. Die Eigenkapitalrendite des Konzerns beträgt 21,3 Prozent. Trotz den absehbaren Verlusten bei Iptiq hält der Konzern an seiner Gewinnprognose von 3,6 Milliarden Dollar fürs ganze Jahr fest.
Gleichzeitig hat Swiss Re die Sicherheiten erhöht. Auf dem Neugeschäft in der Sach- und Haftpflichtversicherung schlägt die Zürcher Zentrale routinemässig eine Sicherheitsmarge drauf. 500 Millionen Dollar lässt sich Swiss Re dieses Jahr das Polster kosten.