Das Hochhaus Taipei 101 ist das prominenteste Beispiel, bei dem ein spezieller Einbau Schwingungen dämpft – bei starkem Wind, aber auch bei Erdbeben. Die Technik ist vielseitig anwendbar.
Am 2. April erschütterte ein Erdbeben der Magnitude 7,4 den Osten Taiwans. Anders als bei früheren Erdstössen vergleichbarer Stärke kamen wegen der hohen Ingenieurskunst des Landes nur wenige Menschen ums Leben. Geradezu sinnbildlich für diesen Erfolg steht das Gebäude Taipei 101 in der Hauptstadt mit seinem riesigen «Schwingungstilger» – einer gewaltigen, goldglänzenden Stahlkugel nahe der Gebäudespitze: Die hydraulisch abgefederte Kugel trug während des Erdbebens zur Dämpfung der Oszillationen bei.
Eigentlich dient die Technik, die in Taipei 101 eingebaut wurde, zum Schutz gegen Schwingungen durch Wind. Taiwan wird im Sommer und im Herbst häufig von Taifunen getroffen. An dem 508 Meter hohen Gebäude zerren dann entsprechend starke Kräfte, die es zum Schwanken bringen.
Der 660 Tonnen schwere Schwingungstilger mit einem Durchmesser von 5,5 Metern verringert die windbedingten Oszillationen um bis zu 40 Prozent. Die Dämpfung von Schwankungen durch Erdbeben gilt als willkommener Nebeneffekt.
Der Wind – oder ein Erdbeben – vermag das Gebäude in Schwingungen in horizontaler Richtung zu versetzen. Durch einen Schwingungstilger werden diese Oszillationen spürbar verringert. Die Technik funktioniert auf die folgende Weise:
Patentiert wurde die Erfindung des Schwingungstilgers bereits im Jahr 1911. Aber nicht etwa von einem Bauingenieur, sondern von dem deutschen Maschinen- und Schiffbauer Hermann Frahm. Er wollte damals unerwünschte Schiffsbewegungen verhindern. Bis das erste Gebäude diese Technik erhielt, verging viel Zeit.
Als hohe Gebäude durch die Verwendung von Stahl relativ leicht geworden seien, habe sie das empfindlich gegenüber Wind gemacht, erläutert der Ingenieur Božidar Stojadinović, der an der ETH Zürich lehrt. Im Jahr 1976 wurde der John Hancock Tower in Boston, ein besonders windanfälliger Wolkenkratzer, darum nachträglich durch einen Schwingungstilger stabilisiert.
Laut Agathoklis Giaralis, einem Ingenieur von der Khalifa University in Abu Dhabi, kann es bei Wind zu Turbulenzen an der Gebäudehülle von Hochhäusern kommen. Sie können eine exzessive seitliche Beschleunigung der Geschossböden hervorrufen, welche bei den Bewohnern Unwohlsein auslösen. Durch eine Versteifung der Struktur können diese aerodynamischen Effekte laut dem Ingenieur nicht wirksam gemildert werden.
In der Regel gebe es nur zwei Lösungen, um hohe Gebäude vor Schwankungen durch Wind zu schützen, sagt Giaralis: Entweder man konstruiere die Form aerodynamischer, aber das verringere die Nutzfläche und erhöhe die Baukosten. Oder man füge einen Schwingungstilger oder ähnliche Hilfsmittel hinzu. Diese Geräte hülfen auch, die Ermüdung des Materials zu verhindern. Und sie könnten den erforderlichen Materialeinsatz reduzieren, was letztlich den CO2-Fussabdruck des Gebäudes verringere.
Seit dem John Hancock Tower hat die Technik bei Türmen und schlanken Hochhäusern geradezu einen Siegeszug angetreten: Der Shanghai Tower besitzt einen Schwingungstilger, ebenso wie der Donau City Tower 1 in Wien – das höchste Gebäude Österreichs – und der Berliner Fernsehturm. Hunderte weitere Gebäude verfügen über diese Dämpfung.
Nicht immer besteht die Schwingungsmasse aus Stahl wie in Taipeh, nicht immer ist sie kugelförmig. Anfangs verwendete man Blei, aber das wird heute aus Sorge um die Umwelt vermieden. Es gibt auch Schwingungstilger in Form eines Betonblocks auf Rädern oder eines speziellen Wassertanks.
Schwingungstilger dienen dem Komfort der Bewohner
Es ist nicht so, dass schlanke Wolkenkratzer oder Türme ohne diese Dämpfungstechnik irgendwann einstürzen würden. Aber an windigen Tagen könnten die Schwingungen so stark werden, dass sensible Bewohner geradezu seekrank werden würden. «Es geht um den Komfort», sagt Felix Weber vom Bauunternehmen Maurer SE mit Hauptsitz in München. Die Firma ist einer der wichtigsten Hersteller von Schwingungstilgern.
Dass die Technik Oszillationen dämpfen kann, die durch Erdbeben hervorgerufen werden, steht laut Weber normalerweise nicht im Vordergrund. Doch die Wirkung seismischer Erschütterungen dürfe beim Einbau eines Schwingungstilgers auf keinen Fall vernachlässigt werden: Man müsse garantieren, dass die Schwingungsmasse im Erdbebenfall das Bauwerk nicht beschädige – so gross könnten die Schwingungen der Masse bei heftigen Erdbeben sein.
Das war auch eine besondere Herausforderung für das Gebäude Taipei 101, das in einem seismisch aktiven Gebiet errichtet wurde: Die Schwingungen, die der Wind verursacht, haben eine niedrigere Frequenz als Schwingungen, welche von den Erdbeben ausgelöst werden. Auch in Japan hat man Erfahrungen mit der Nutzung zum Schutz von Gebäuden vor Erdbeben gemacht, während die Technik anderswo nur gegen windbedingte Oszillationen eingesetzt wird.
Schwingungstilger dämpfen nicht nur Häuser. Sie werden überall dort eingesetzt, wo Oszillationen unterdrückt werden sollen. Die Millennium Bridge in London und die Haggenbrücke, eine Brücke für Fussgänger und Radfahrer im Kanton St. Gallen, wurden nachträglich mit solchen dämpfenden Elementen ausgestattet, weil die Passanten das Bauwerk in Schwingungen versetzten. Ebenfalls eingebaut würden Schwingungstilger in Eisenbahnzüge, Autos, Windkraftanlagen, Hochspannungsmasten und Helikopterblätter, erzählt Stojadinović.
Früher waren Schwingungstilger rein passive Elemente. Neue Anlagen enthalten aber auch aktive Elemente. Dazu werden die Oszillationen des Gebäudes gemessen, und die hydraulische Dämpfung passt sich automatisch daran an. Dazu brauche es allerdings eine zuverlässige Stromquelle im Gebäude, sagt Stojadinović, und das bedeute in der Regel den Einbau einer Batterie.
In den meisten Fällen sind die Schwingungstilger im Innern des Gebäudes versteckt, niemand kann sie dort anschauen. Das hat vor allem finanzielle Gründe. Für die obersten Geschosse verlangen die Bauherren die höchsten Preise pro Quadratmeter. Entsprechend kompakt muss das Design der Schwingungstilger sein. Auch in dieser Hinsicht stellt das Gebäude Taipei 101 eine Ausnahme dar: Dort dient die schwankende goldene Kugel als Touristenattraktion.