Frauen haben weniger stark für die demokratische Kandidatin gestimmt als erwartet. Auch die jungen Frauen nicht. Das Thema Abtreibung hat nicht gezogen.
Kamala Harris hat stark auf die Frauen gesetzt. Als Fazit könnte nun festgehalten werden: Die Frauen haben Harris im Stich gelassen. Das klingt einseitig und ist es auch. Es sind nicht alle Frauen. Und die Männer haben das Ihre dazu beigetragen, dass Harris verlor. Doch bleibt ein fader Nachgeschmack: Harris, die Tochter einer alleinerziehenden Migrantin, in ihrer Karriere stets zuvorderst im Kampf um Gleichberechtigung, konnte mit einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen, dem Recht auf Abtreibung, die Frauen nicht elektrisieren.
Gleichzeitig hat Trump, der wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt wurde, offenbar Frauen beschwichtigen können. Er sagte zwar Sätze wie: «Ich beschütze die Frauen, ob sie es wollen oder nicht.» Doch gleichzeitig hat er sich immer wieder, wenn auch nicht allzu klar, für ein liberales Abtreibungsrecht ausgesprochen. Auch hat er J. D. Vance, seinen Vize und früher ein prononcierter Abtreibungsgegner, angehalten, mit seinen Forderungen zurückzukrebsen.
Die Wahl hat die Frauen nicht elektrisiert
Nationale Zahlen zur Wahlbeteiligung stehen zwar noch aus. Aber es sieht so aus, als ob die Amerikanerinnen wegen Kamala Harris nicht zahlreicher wählen gegangen wären als vor vier Jahren. Sie haben offenbar auch nicht häufiger der Demokratin ihre Stimme gegeben. Der Gender-Gap, der sich laut vielen Umfragen hätte vergrössern sollen, ist gemäss der Nachwahlbefragung der Nachrichtenagentur AP nicht gewachsen. 54 Prozent der Männer haben für Trump gestimmt, während es bei den Frauen 45 Prozent waren. Der Gender-Gap bleibt mit 9 Prozentpunkten gleich wie vor vier Jahren. Wären die Frauen zahlreicher an die Urne geströmt und hätten sie noch öfter der Demokratin die Stimme gegeben, wäre dieser Gap jetzt grösser.
Interessant ist, wo die geschlechtsspezifische Kluft trotzdem grösser geworden ist und wo nicht. Bei den Jungen hat sich der Gender-Gap im Vergleich zu 2020 mit nun 15 Prozentpunkten fast verdoppelt. Allerdings haben sowohl die jungen Frauen als auch die jungen Männer dieses Jahr öfter Donald Trump gewählt. Der Gap ist so breit, weil vor allem die Männer unter 30 Jahren regelrecht zu Trump abgewandert sind. Selbst die jungen Frauen haben sich aber nicht massenhaft für Harris und ihre Themen begeistern lassen.
Bei den Personen zwischen 30 und 65 Jahren ist der geschlechtsspezifische Unterschied bei diesen Wahlen sogar leicht kleiner geworden. Gerade bei den Frauen, die mitten im Leben stehen, Hypotheken abzahlen, Kinder – auch Töchter – erziehen und gleichzeitig oft einer Arbeit nachgehen, spielte die Frauenfrage offensichtlich keine so grosse Rolle wie erwartet.
Ein doppelter Triumph für die Frauen wäre möglich gewesen
Das ist für Kamala Harris und ihre Unterstützerinnen bitter. Die Frauen hätten an diesem 5. November ein doppeltes Zeichen setzen können: Sie hätten die erste Frau ins Präsidentenamt wählen können, die gleichzeitig dafür gesorgt hätte, so hat Harris es versprochen, dass Abtreibung nicht mehr in dem Ausmass kriminalisiert wird, wie das in gewissen Gliedstaaten heute der Fall ist.
Harris hat während ihres Wahlkampfes stark auf das Thema Abtreibung gesetzt. Schliesslich hat gerade das Urteil des Supreme Court vom Juni 2022 den Demokraten bei den letzten Zwischenwahlen Aufwind gegeben. Damals entschied das Oberste Gericht, das nationale Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch zu kassieren. Abtreibung ist seither in einigen Staaten wieder wie bis Anfang der 1970er Jahre verboten. Das zwingt Amerikanerinnen, die kein Kind austragen möchten oder sich aus gesundheitlichen Gründen für eine Abtreibung entscheiden, an Orte zu reisen, wo der Eingriff legal ist.
Die Demokraten konnten 2022 ihre Sitze im Senat verteidigen und somit die Kontrolle in der kleinen Kammer behalten. Im Repräsentantenhaus verloren die Demokraten zwar die Mehrheit, büssten aber deutlich weniger Sitze ein als erwartet.
Die Abtreibungs-Welle ist verebbt
Auf dieser Welle, hätte sie denn angehalten, sollte Harris zum Sieg getragen werden. Auch in zehn Gliedstaaten fanden, wie im Herbst 2022, neben Wahlen auch Abstimmungen über liberale Fristenregelungen statt, darunter in den beiden Swing States Arizona und Nevada. In beiden Gliedstaaten hat die Abstimmungsvorlage Harris aber nicht entscheidend geholfen, obwohl sich die Wähler in beiden Staaten für die Vorlagen aussprachen.
Prominente progressive Frauen haben Kamala Harris unterstützt: Oprah Winfrey rührte für die Demokratin kräftig die Wahltrommel. Taylor Swift outete sich als «cat lady», nachdem Trumps Vize Vance kinderlosen Frauen (mit Katze) vorgeworfen hatte, sich nicht für die Zukunft Amerikas verantwortlich zu fühlen. Und Michelle Obama – kaum eine Frau ist in Amerika prominenter und beliebter – hat noch kurz vor den Wahlen davor gewarnt, dass Ehefrauen, Töchter und Mütter zum «Kollateralschaden der Wut der Männer werden», die sich bei den Wahlen entfesseln könnte.
Die ehemalige First Lady sieht wie Kamala Harris die Frauenrechte bedroht. Sie gab zu bedenken, dass Frauen nicht zu Opfern der Frustration jener Männer werden dürften, die aus Enttäuschung über ihr Leben und das politische System für Trump stimmten. Inwiefern Wut und Enttäuschung die Männer zu Trump-Wählern macht, ist aus der Nachwahlbefragung nicht ersichtlich. Was man aber sieht: Nicht verheiratete Männer haben viel zahlreicher für Donald Trump gestimmt als nicht verheiratete Frauen (52 Prozent bzw. 39 Prozent). Hier ist der Gender-Gap um 3 Prozentpunkte grösser geworden.
Interessant ist hier die grosse Kluft zwischen ledigen und verheirateten Frauen: Ehefrauen haben mit 52 Prozent so oft für Trump gestimmt wie ihre Männer und die ledigen Männer. Grösser geworden ist der Gender-Gap zwischen den Frauen mit Studium und Männern ohne Studium. Hier beträgt er rekordhohe 23 Prozentpunkte.