Der Laborausrüster hat die Erwartungen für das erste Halbjahr deutlich verfehlt. Der heftige Kurseinbruch eröffnet nur geduldigen Investoren eine Einstiegsgelegenheit in das Qualitätsunternehmen.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Die Leerverkäufer jubeln: Die in den vergangenen Monaten aufgebauten Short-Positionen in Tecan waren ein Volltreffer. Am Dienstag tauchte der Kurs des Männedorfer Laborausrüsters 17%. Das Ergebnis im ersten Semester lag um Längen unter den Erwartungen. Zudem musste das Management die Prognose für das Gesamtjahr nach unten anpassen.
Das Semesterergebnis ist vor allem auch deshalb enttäuschend, weil die Erwartungen im Vorfeld alles andere als ambitiös waren. Ein organischer Umsatzrückgang sowie eine leichte Margenschmälerung waren eingepreist.
Unerwartet heftiger Margenschwund
Doch mit einem Umsatzrückgang von fast 14% sowie einer von 18,7 auf 14,5% eingebrochenen adjustierten Ebitda-Marge hatte wohl kaum jemand gerechnet. Auch The Market nicht: Vergangene Woche hatten wir Tecan für ihre Stabilität gepriesen.
Konzernchef Achim von Leoprechting sprach von einem «herausfordernden» Marktumfeld in der Berichtsperiode, was eine krasse Untertreibung ist. Die Hauptkunden des Laborausrüsters, die grossen Pharma- und Biotechkonzerne, zeigen sich weiterhin sehr zögerlich mit Investitionen in automatisierte Laboranlagen. Gegenüber dem Vorjahr ging der Umsatz mit dieser Kundengruppe um mehr als einen Viertel zurück. Damit hatte das Tecan-Management offenbar nicht gerechnet.
Im Gegensatz dazu haben die Leerverkäufer diese Nachfrageflaute offenbar gewittert. Die Tecan-Aktien gehören unter den Schweizer Titeln seit einigen Monaten zu den meisten leerverkauften Valoren.
Chinesische Kunden warten auf das Stimulusprogramm
Hinzu kam ein nach wie vor flaues Geschäft in China. Die dortigen Kunden warten auf die Implementierung eines Stimulusprogramms der Regierung, bei dem es auch Projekte gibt, von denen Tecan profitieren wird. Offen ist jedoch, wann genau dies geschehen wird. Derzeit zehren die chinesischen Kunden von ihren Vorräten, weshalb der entsprechende Umsatz im ersten Halbjahr mehr als 20% unter der Vorjahresperiode lag.
Da das Geschäft von Tecan stark von der Volumenentwicklung abhängt, schlägt eine schwache Nachfrage voll auf die Profitabilität durch. Die Bruttomarge lag im ersten Halbjahr mit 34,4% um 3,4 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert.
Die Schwäche zeigte sich sowohl im Bereich Life Sciences, in dem Laborgeräte unter der eigenen Marke verkauft werden, als auch im Partnergeschäft, in dem Tecan Anlagen für OEM baut. Der Umsatz im Bereich Life Sciences sank 18%, im Partnergeschäft knapp 11%. Stärker war der Einbruch beim Gewinn: Auf Stufe Ebit sank die Marge bei Life Sciences von 17,2 auf 6,6% und im Partnergeschäft von 9,8 auf 8%.
Kümmerlicher Gewinn
Unter dem Strich verblieb ein um einen Drittel geringerer Gewinn. Wie schwach das Ergebnis war, zeigt sich im längerfristigen Vergleich. Mit 36,5 Mio. Fr. war der Gewinn noch halb so hoch wie in den Pandemiejahren. Gemessen am Gewinn pro Aktie (2.86 Fr.) wurde in den guten Jahren (2021 und 2022) das Zwei- bis Dreifache verdient.
In der laufenden Periode rechnet Tecan nur mit einer leichten Erholung. Die knapp über 1 liegende Book-to-bill-Ratio stimmt zuversichtlich. Doch sie genügt nicht, um die bisherigen Vorgaben zu erreichen. Die Jahresprognose 2024 wird nach unten angepasst. Im Frühling stellte das Management noch einen Umsatzzuwachs im niedrigen einstelligen Prozentbereich (in Lokalwährung) in Aussicht. Nun wird es bestenfalls eine Stagnation oder sogar ein Rückgang. Auch das Margenziel (mindestens 20%) wurde gekappt. Nun wird für 2024 eine adjustierte Ebitda-Marge von 18 bis 20% budgetiert. 2023 waren es 20,5% gewesen.
Bereits hundert Stellen abgebaut
Das Unternehmen versucht mit Effizienzsteigerungen und Einsparungen Gegensteuer zu geben. Im Sommer wurden rund hundert Vollzeitstellen abgebaut, in Kalifornien wurden zwei Standorte zusammengelegt. Auch bei den allgemeinen Betriebskosten und den Forschungsaufwendungen setzt Tecan den Sparstift an. Auf Lohnerhöhungen wurde verzichtet. Doch mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein ist das nicht.
Die Flaute wird die Rentabilität des Unternehmen noch längere Zeit beeinträchtigen. Frühstens 2025 werde sich eine Erholung einstellen, sagte der Konzernchef. Im schlechtesten Fall wird sich nach dem Übergangsjahr 2024 also keine Trendwende einstellen.
Vielen Investoren fehlt der Schnauf
Für die meisten Investoren ist eine solche Durststrecke zu lang. Das dürfte noch einige Zeit auf den Aktien lasten. Mit einer Jahresperformance von –17% wächst der Druck auf institutionelle Investoren, vor Jahresultimo Tecan-Aktien aus den Depots zu nehmen. Nur wer genügend Geduld mitbringt bzw. mitbringen darf, kann sich die Tecan-Aktien schon jetzt auf die Einkaufsliste setzen.
Die übertriebene Bewertung während des ausserordentlichen Pandemiejahren, in denen es an allen Ecken an ausreichender Laborkapazitäten mangelte und die Laborausrüster mit Liefern kaum nachkamen, sollte kein Richtwert sein. Das Top der Bewertung dürfte künftig nicht mehr bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 60, sondern eher bei 30 liegen.
Seit dem Höchst vor drei Jahren hat sich der Unternehmenswert von Tecan mehr als halbiert. Die darauffolgenden Tiefpunkte im Mai 2022 (268 Fr.) und Oktober 2023 (256 Fr.) könnten erneut getestet werden. Ein kurzfristiger Katalysator, der eine beständige Trendwende bringt, ist derzeit nicht in Sicht.
Auf dem derzeitigen Kursniveau verkehren die Tecan-Valoren mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 23. In der historischen Betrachtung ist das wenig. Weil die Analysten ihre Prognosen erneut nach unten adjustieren werden, wird es sich indes tendenziell erhöhen.
Unsere Kaufempfehlung Ende 2023 hat sich als verfrüht entpuppt. Bis im März stieg der Kurs zwar rund 12%. Doch diese Avance ist längst verpufft. Wer die Titel schon hat, sollte die Position stehen lassen. Denn an unserer grundsätzlichen Einschätzung ändern die jüngsten Ereignisse nichts: Die Strategie funktioniert, die Produktepipeline ist hervorragend. Tecan ist ein Qualitätsunternehmen in einem strukturell wachsenden und lukrativen Markt.
An den mittelfristigen Prognosen hält das Management fest: Er sei «voll davon überzeugt», auch künftig das Marktwachstum (3 bis 5%) zu übertreffen, erklärte von Leoprechting. In Umsatzwachstum von 5 bis 9% in Lokalwährung lägen drin. Das ist nicht überrissen. In der vergangenen Dekade lag es bei 12,8% im Jahr. Ein modularer Ansatz bei den Geräteplattformen soll mehr Effizienz bringen und ein jährliche Margenausdehnung um 30 bis 50 Basispunkte erlauben.
Kurzfristig überwiegt jedoch die grosse Enttäuschung über die schlechten Geschäftszahlen. Es wird nicht einfach sein, den negativen Trend zu brechen. Eher kommt es zu einer Unterschiessung, wenn weiteren Investoren der Geduldsfaden reisst.
Dann kommt wohl der beste Zeitpunkt, sich längerfristig in Tecan zu engagieren.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Giorgio Müller