Heute gibt es kaum Computerchips ohne Bestandteile aus China. Europa und die USA wollen mit heimischen Chip-Fabriken unabhängiger werden. Hassane El-Khoury, CEO des amerikanischen Halbleiterherstellers Onsemi, betrachtet diese Pläne mit Skepsis.
Alle paar Meter wird man daran erinnert, wie wichtig China für den Westen ist: An der Electronica in München, einer der grössten Fachmessen für die Elektroindustrie, zeigen Hunderte chinesische Firmen ihre Produkte. Viele der ausgestellten Geräte und Computerchips sind unerlässlich für das tägliche Leben. Sie stecken etwa in Autos, Medizintechnik oder Tausenden von elektronischen Alltagsgegenständen.
Die grosse Abhängigkeit von China wird zunehmend zum Problem. China tritt aussenpolitisch immer aggressiver auf, droht, dereinst die Insel Taiwan, die es für sich beansprucht, gewaltsam zu annektieren. Westliche Politiker fordern deshalb schon seit Jahren, dass Europa und die USA bei Schlüsseltechnologien wie Halbleitern selbständiger werden, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren.
Geschehen ist bisher allerdings wenig. Firmen haben keinen Anreiz, China als Lieferanten von Produkten oder Rohmaterialien auszuschliessen, weil deren Produktion damit teurer würde. Die EU versucht das mit der Chips Act zu ändern, sie soll die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Halbleiterbereich stärken.
Ein Unternehmen, das voraussichtlich von den Subventionen der Chips Act profitieren wird, ist Onsemi. Die Firma verkauft Leistungshalbleiter, die für das Steuern und Schalten hoher elektrischer Ströme und Spannungen ausgelegt sind. Solche Halbleiter werden etwa in Autos oder Datenzentren eingesetzt. Onsemi investiert 2 Milliarden Dollar in Tschechien, um dort ein bestehendes Werk auszubauen. Dafür locken hohe Unterstützungsgelder von der EU.
Im Interview spricht CEO Hassane El-Khoury, der seit über zwanzig Jahren in der Branche tätig ist, über die Pläne der westlichen Politiker und die seines Unternehmens.
Herr El-Khoury, westliche Politiker sprechen mit Blick auf Halbleiter von Resilienz und Unabhängigkeit, wenn sie planen, Teile der Industrie nach Europa zu holen. Ist Unabhängigkeit in Halbleiterindustrie überhaupt möglich?
Wenn Sie eine Entkoppelung der chinesischen und der westlichen Industrie anstreben, dann reicht es nicht, sich nur auf Halbleiterfabriken zu beschränken. Sie müssen auch über die Rohmateralien für die Chips sprechen. Diese zwei Dinge werden bis jetzt nicht unterschieden. Sie können eine Fabrik in Europa oder Nordamerika bauen, aber wo kommen die Rohstoffe dafür her? Wenn Sie dieses Problem nicht lösen, sind Sie nicht unabhängig. Es reicht nicht, zu sagen: «Wir haben eine Chip-Fabrik.» Wenn auch nur ein Element Ihrer Lieferkette aus China stammt, haben Sie keine unabhängige Lieferkette.
Wäre das denn machbar?
Natürlich kann man eine unabhängige Lieferkette aufbauen, aber das ergibt keinen Sinn. Es ist zu kompliziert, wir leben in einer globalisierten Wirtschaft.
Die USA möchten ihre Halbleiterindustrie wiederbeleben. Zu diesem Zweck unterstützen sie Intel dabei, technologisch zum führenden Chip-Hersteller TSMC aufzuschliessen. Wie sehen Sie diese Bemühungen?
Zunächst einmal möchte ich festhalten: Die amerikanische Halbleiterindustrie definiert sich nicht allein über Intel. Beim Thema geht es für mich um zwei verschiedene Dinge: um technologischen Fortschritt und Chip-Produktion. Bei Ersterem sind die USA mit Unternehmen wie Nvidia, AMD, Qualcomm weltweit führend. Ob die USA mit Produktionsstätten von Intel und von TSMC (Anm. TSMC baut in den USA drei Chip-Fabriken) bei der Chip-Herstellung die Führung übernehmen, wird sich zeigen. Der Umstand, eine amerikanische Firma zu sein, garantiert Intel noch lange keinen Erfolg. Intel kann nur erfolgreich sein, wenn es bessere oder gleich gute Produkte anbietet wie TSMC.
Ein anderer Aspekt, der in Halbleiter-Plänen westlicher Politiker regelmässig Erwähnung findet, ist die Strukturgrösse der Computerchips. Je nach Grösse spricht man von «Hightech»- oder «Legacy»-Chip. Je kleiner, desto moderner und wichtiger, scheint dabei oft die Auffassung. Ergibt das Sinn?
Nehmen wir das Beispiel KI. Es stimmt, dass Sie für KI-Server Chips brauchen mit Transistoren, die idealerweise kleiner sind als fünf Nanometer. Aber das betrifft konkret nur den Bereich der Graphics Processing Unit (GPU), jener Chips, für die etwa Nvidia bekannt ist. Doch für die Stromversorgung der KI-Server sind andere Arten von Chips verantwortlich. Und bei diesen besteht kein Zusammenhang zwischen Grösse und Leistung. Im Bereich der Stromversorgung sind Transistoren teilweise mehrere Millimeter gross und ist die Technologie gleichzeitig sehr modern.
Ihrer Meinung nach ergibt die Unterscheidung also keinen Sinn.
Man sollte Technologie nicht anhand von politischem Gerede unterteilen. Die Politiker wissen zu wenig Bescheid und reden deshalb von «legacy» oder «Hightech». Dabei ist die Unterscheidung zwischen Prozessoren und Leistungshalbleitern viel wichtiger. Denn damit etwa ein KI-Server funktioniert, braucht es beides.
Worauf liegt der Fokus von Onsemis Investitionen in Tschechien?
Wir bauen unser bestehendes Werk in Tschechien aus. Der Fokus liegt dabei auf Leistungshalbleitern. Etwa 80 Prozent davon sind für die Automobil-Industrie gedacht, andere Anwendungsbereiche sind beispielsweise künstliche Intelligenz (KI) oder Energiespeicher.
Wie hoch sind die EU-Subventionen, die Onsemi für seine Investitionen in Tschechien bekommt?
Dazu kann ich nur sagen, dass das Genehmigungsverfahren für unser Projekt noch läuft.
Sind Ihre Investitionen in Europa auch ein Vertrauensbeweis für die europäische Autoindustrie?
Ich habe Vertrauen in unsere Kunden und darin, dass sie in dieser herausfordernden Zeit bestehen werden. Für uns liegt der Hauptfokus des Werks in Tschechien zwar in Europa. Doch gleichzeitig wollen wir durch dieses Werk als Unternehmen resilienter werden. Ausserhalb Europas haben wir schon Lieferketten für Leistungshalbleiter. Nun bauen wir in Tschechien quasi eine Kopie davon auf. Falls nötig, kann dieses Werk auch unsere Geschäfte in den USA oder Asien unterstützen.
Wenn Chip-Lieferketten zu komplex sind, um sie von China zu entkoppeln, wie sollte der Westen dann mit China umgehen?
Ich finde, man sollte den Markt entscheiden lassen. Gleichzeitig finde ich aber auch, dass Bedenken gegenüber China in Bezug auf Überkapazitäten, Subventionen sowie geistiges Eigentum nachvollziehbar sind. In einer globalen Wirtschaft sollten sich alle an die gleichen Regeln halten müssen. So oder so: China ist ein wichtiger Markt für uns. Mit unseren Leistungshalbleitern haben wir im chinesischen E-Auto-Markt einen Marktanteil von über 50 Prozent. Wir beliefern die chinesischen Hersteller wie Nio und Geely, arbeiten mit VW und Mercedes zusammen.
Wie sollen sich westliche Unternehmen gegen die chinesische Konkurrenz behaupten?
Gegen chinesische Konkurrenz behauptet man sich auf dieselbe Weise wie gegen europäische oder amerikanische: durch bessere Produkte. Niemand in den USA kauft unsere Halbleiter, nur weil wir eine amerikanische Firma sind. Wenn Sie das bessere Produkt anbieten, unterscheidet Sie das vom Rest. Das gilt auch in China. Wenn Ihr Produkt besser ist als das der Konkurrenz, dann ist es egal, ob Ihre Firma amerikanisch oder chinesisch ist, ob Sie Subventionen erhalten oder nicht. Ohnehin ist die Qualität unserer Produkte das Einzige, was wir kontrollieren können. Darauf konzentrieren wir uns und nicht auf geopolitische Entwicklungen.