In Finnland sollen neue Datenzentren nicht nur mit sauberem Strom betrieben werden, sondern auch grüne Energie liefern, sagt Microsoft. Doch das Vorzeigeprojekt wird kaum zu skalieren sein. Auch auf andere Tech-Konzerne steigt der Druck, KI-Ambitionen und Klimaziele unter einen Hut zu bekommen.
Noch gibt es in Kolabacken, unweit von Finnlands zweitgrösster Stadt Espoo, nur eine grosse Baugrube, Container und Bagger zu sehen. Auf dem Dach eines daneben stehenden Kraftwerks, ebenfalls noch in Bau, steht trotzdem eine Gruppe von Journalisten. Microsoft, eine der grössten Tech-Firmen der Welt, hat sie Anfang März aus ganz Europa eingeflogen, um ihnen einen Einblick in die Zukunft zu geben.
In Espoo und Umgebung plant der IT-Konzern zwei Rechenzentren mit Vorbildcharakter. Sie sollen zeigen, dass Microsoft es auch in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) ernst meint mit der Einhaltung seiner CO2-Emissions-Ziele. Regierungen streiten sich darum, KI-Entwicklung in ihre Länder zu holen. In den vergangenen Monaten wurden Milliardeninvestitionen in diesen Zweck angekündigt. Doch der Wettlauf rückte auch eine problematische Entwicklung in den Blick: Rechenzentren fressen Unmengen an Strom.
Grüne Abwärme für die Nachbarstadt
Ist die Stromquelle Öl, Gas oder Kohle, treibt das den Klimawandel an. Und das passt so gar nicht zum grünen Image der grossen amerikanischen Tech-Giganten. Microsoft plant in Finnland aus diesem Grund, die Abwärme aus den Servern ins städtische Fernwärmenetz einzuspeisen. Hier kommt der Strom fast ausschliesslich aus Atomkraftwerken oder aus einer erneuerbaren Energiequelle, insbesondere Biomasse. Somit ist die Abwärme aus den Microsoft-Rechenzentren emissionsarm, eine Gegebenheit, die sich in vielen anderen Standorten nicht einfach wiederholen lässt.
Das finnische Energieunternehmen Fortum will diese Wärme nutzen und damit Unternehmen und Haushalte in Espoo und in der Nachbargemeinde Kirkkonummi versorgen. Fortum schätzt, dass zwei der neuen Microsoft-Rechenzentren 40 Prozent des Wärmebedarfs der beiden Städte abdecken könnten. Die Abwärme, die vom Betrieb der Datenzentren verursacht wird, ist sonst eigentlich ein Abfallprodukt.
Auch die Stadtregierung von Espoo begrüsst diese Lösung. Der Bürgermeister der Stadt scherzt vor Medienvertretern, dass Jugendliche mit ihrem übermässigen Online-Medienkonsum nun endlich etwas Gutes für die Umwelt täten. Noch bis vor kurzem bezog Espoo 25 Prozent seines Wärmebedarfs aus einem Kohlekraftwerk. Dieses wurde im April 2024 stillgelegt.
Aber das Vorbild der finnischen Rechenzentren dürfte nur wenige Nachahmer finden. So günstige Bedingungen wie in Finnland sind kaum woanders anzutreffen, gibt auch Gilda Amorosi, Senior Program Manager für Energie und Nachhaltigkeit bei Microsoft, zu. Dazu gehörten ein gut ausgebautes Fernwärmenetz in der Nähe des Rechenzentrums sowie genügend Kunden für die bereitgestellte Wärme.
In Finnland kommen weitere Standortvorteile hinzu. Es gibt ausreichend Fläche zum Bauen und einen staatlichen Netzbetreiber, der bereit ist, das Netz in Erwartung auf den steigenden Strombedarf auszubauen. Ausserdem gehört der Strompreis zu den tiefsten in Europa. Was Microsoft in Finnland Journalisten zeigt, ist also eher ein Sonderfall.
Microsoft setzt auf sauberen Strom und Technologien
Microsoft ist unter Druck. Einerseits will die Firma in den Megatrend KI investieren, andererseits will sie aber auch die eigenen Klimaziele erreichen. Im Jahr 2020 hatte der Konzern verkündet, bis 2030 CO2-negativ zu sein, also mehr CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen, als das Unternehmen an Emissionen verursacht.
Fünf Jahre später sieht die Realität gänzlich anders aus. Die Emissionen steigen, seit 2020 um rund 30 Prozent. Die Zahlen lassen sich im Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens aus dem letzten Jahr finden. Der Hauptgrund: der wachsende Bedarf von Datenzentren, die für die Entwicklung von KI unabdingbar sind.
Microsoft ist dabei nur ein Beispiel einer allgemeinen Entwicklung, mit der sich Unternehmen und Regierungen zunehmend auseinandersetzen. Insgesamt könnte sich der Stromverbrauch von Rechenzentren bis 2030 auf rund 945 TWh mehr als verdoppeln, das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur (IEA).
Das ist laut dem Bericht etwas mehr als der Gesamtstromverbrauch Japans. Zum ersten Mal stellte die Behörde im April Zahlen vor, um den Energiehunger der Anlagen darzustellen. Ein typisches KI-Rechenzentrum verbraucht demnach so viel Strom wie 100 000 Haushalte, grössere Rechenzentren, die derzeit im Bau sind, könnten dagegen 20 Mal so viel verbrauchen.
Diese Aussichten erklären auch, warum ein Techunternehmen wie Microsoft seine Auswahlkriterien für neue Unternehmensstandorte erweitert. Ging es früher hauptsächlich um die lokale wirtschaftliche Attraktivität und die Nähe zu grossen, mit Glasfaser ausgestatteten Datenautobahnen, gilt heute die Devise «power first». Rechenzentren werden dort gebaut, wo es genügend und kostengünstigen Strom gibt. Ob dieser grün ist, zählt dabei erst im Nachhinein.
So zieht Microsoft für seine neuen Serverfarmen in Deutschland nun in das Rheinische Braunkohlerevier. Die neuen Rechenzentren nahe Köln sollen 2026 in Betrieb gehen. Microsoft baut auch in Polen und Indien fleissig an den stromfressenden Anlagen. Auch dort dominieren fossile Energieträger, allen voran die Kohle, den Strommix.
Microsoft ist sich bewusst, dass sich diese Bauplätze mit dem grünen Bild, welches das Unternehmen gerne von sich malt, heftig beisst. Schliesslich unterstreicht die Techfirma regelmässig ihre Absicht, bis 2030 den eigenen Strombedarf mit sauberer Energie zu decken. Die restlichen Emissionen, die unter anderem in den Lieferketten und durch Kunden verursacht werden, sollen mithilfe von grünen Projekten wieder wettgemacht werden.
Unter anderem kauft Microsoft gemäss eigenen Angaben weltweit 34 Gigawatt an erneuerbarem Strom, um die Verschmutzung aus seinen rund 300 Rechenzentren zu kompensieren. Darüber hinaus gibt Microsoft Millionen für CO2-Kredite von Wald- und ähnlichen Projekten aus, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen.
Als sauberer Strom gilt bei Microsoft auch jener aus Kernkraftwerken. Der Konzern hat 2024 einen Vertrag mit dem Betreiber des stillgelegten Kernkraftwerks Three Mile Island im Gliedstaat Pennsylvania unterschrieben. Dabei hat sich Microsoft auch verpflichtet, die gesamte Stromproduktion über zwanzig Jahre zu kaufen. Damit würde am Standort des schwersten Nuklearunfalls der amerikanischen Geschichte wieder ein Reaktor Strom liefern.
Die zunehmende Jagd nach Stromquellen, die 24 Stunden am Tag Energie liefern können, um neue KI-Produkte zu entwickeln und zu trainieren, beunruhigt Aktivisten. Sie fürchten, dass der Datenzentren-Boom die Nutzung fossiler Brennstoffe nach oben treibt und somit die Klimaziele weiter untergräbt. In den USA hat Präsident Donald Trump schon eine Renaissance der Kohle heraufbeschworen, auch wenn das wegen der Kosten, die damit verbunden wären, kaum realistisch scheint.
Die Internationale Energieagentur malt dagegen ein differenziertes Bild. In den nächsten fünf Jahren werde fast die Hälfte des zusätzlichen Bedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt, schrieb die Agentur in ihrem Bericht, darauf folgen Erdgas und Kohle. Die Atomenergie werde derweil gegen Ende dieses Jahrzehnts und darüber hinaus eine immer wichtigere Rolle spielen.
Tech-Giganten suchen nach einem Ausweg
Microsoft ist nicht die einzige Techfirma, die unglaubliche Klimaziele versprochen hat und sich jetzt bemüht, ihre Klimabilanz unter Kontrolle zu bekommen.
«Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Netto-Null-Emissionen in unserer gesamten Geschäftstätigkeit und Wertschöpfungskette bis 2030 zu erreichen», sagt Google. Als das Unternehmen letzten Juli seinen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichte, erzählten die Daten jedoch eine ganz andere Geschichte. Denn die Treibhausgasemissionen sind im letzten Jahr um 48 Prozent gegenüber 2019 gestiegen.
Der Grund auch hier: der Energieverbrauch der Rechenzentren und die Emissionen in den Lieferketten. «Je mehr wir KI in unsere Produkte integrieren, desto schwieriger kann es werden, die Emissionen zu reduzieren», heisst es im Bericht. Google sichert sich zudem sprachlich ab, falls es gar nicht klappen sollte, die selbstgesetzten Netto-Null-Ziele zu erreichen. Man werde den eigenen Ansatz weiterentwickeln, heisst es. Es gebe erhebliche Unsicherheiten, mit denen man umgehen müsse, einschliesslich der Ungewissheit über die künftigen Umweltauswirkungen von KI.
Kritiker sind von solchen Aussagen kaum überrascht. Aktivisten waren von Anfang an skeptisch gegenüber den hochtrabenden Klimazielen der Techunternehmen. Denn Microsoft und Google setzen auf Emissionsgutschriften und Zertifikate, um ihren CO2-Fussabdruck wieder auszugleichen.
Kritiker beklagen, dass die Unternehmen sich ihre Klimaziele so einfach einkaufen, anstatt das Geschäft insgesamt nachhaltig zu gestalten. Während der Streit über den Wert und die klimapolitische Glaubwürdigkeit von CO2-Krediten seit Jahren tobt und aufgrund ideologischer Differenzen wohl noch lange ungeklärt bleiben wird, setzten die Techunternehmen derweil auf neue Botschaften, um ihre KI-Ansprüche mit der grünen Selbstdarstellung zu vereinen.
Jetzt heisst es nämlich, KI berge grosses Potenzial, den Klimawandel zu bekämpfen und Emissionen zu reduzieren. In einer Gesprächsreihe mit dem bekannten Komiker Trevor Noah hat Microsoft gar eine Fernsehpersönlichkeit dafür gewonnen, ihren KI-Ambitionen ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Kritiker halten das für Quatsch. Die IEA sagt derweil, dass KI helfen könne, Energie einzusparen und Innovationen im Stromnetz und anderen Infrastrukturen zu beschleunigen.
Trevor Noah is cool and all, but there are so many things wrong with this video: 😐
– AI that is useful for sustainability is 𝗼𝗿𝗱𝗲𝗿𝘀 𝗼𝗳 𝗺𝗮𝗴𝗻𝗶𝘁𝘂𝗱𝗲 more efficient than general-purpose AI. https://t.co/8LQDKBgPib— Sasha Luccioni, PhD 🦋🌎✨🤗 (@SashaMTL) April 4, 2025
Es wird wohl noch Jahre dauern, bis das klarwird. Was schon heute sicher ist: Für ein Unternehmen wie Microsoft wird es nur schwerer werden, die eigenen hehren Versprechen umzusetzen und glaubwürdig zu bleiben. Denn 2020 sagte das Unternehmen noch: «Die Welt muss Netto-Null gemeinsam erreichen. Aber diejenigen, die schneller handeln und mehr dafür tun können, sollten es tun.»