Zuerst war der Rhythmus der Maschinen, bevor in leerstehenden Industriehallen harte Beats ertönten und eine neue Jugendkultur definierten. Die Ausstellung «Techno» im Zürcher Landesmuseum hilft, diese Entwicklung nachzuvollziehen.
Das verspricht ja heiter zu werden. Am Eingang zur Techno-Ausstellung im Landesmuseum prangt eine glitzernde Installation: oben eine Discokugel, darunter das Signet eines Zürcher Klubs sowie Plakate in lumineszierender Farbe: rote Herzen, rote Lippen. Wenige Schritte später Objekte der Zürcher Street Parade. Zum Beispiel Modelle von Love-Mobiles: Diese Spielzeug-Laster sollen 2020 durch Zürich gerollt sein, als wegen der Pandemie keine Parade stattfinden konnte.
Solche Exponate verdankt die Ausstellung nicht gewissenhafter Archivierung oder ordentlichen Sammlungen von Kennern. Die Techno-Kultur ist seit je auf die Gegenwart fixiert. In den harten Beats, die ohne Anfang und Ende durch die Zeit pulsen, vergisst das tanzende Ego das Gestern ebenso wie das Morgen. Und wenn der Sound verstummt und ein Klub schliesst, wandern Plakate und Mobiliar entweder in den Müll oder allenfalls in Schubladen, Kästen und Keller.
Abgesehen von ein paar privaten Foto- oder Flyer-Beständen, die dem Landesmuseum zur Verfügung gestellt wurden, musste das Material für die Zürcher Ausstellung deshalb detektivisch zusammengesucht werden. Die Kuratoren luden Zeugen der Techno-Szene an einen runden Tisch, damit sie im Austausch ihrer Erinnerungen vergessene Objekte ins Bewusstsein zurückbringen – und wenn möglich auch gleich das Wissen, wo diese allenfalls aufzutreiben waren.
Eine lebendige Tradition
So wurden diverse Objekte gefunden und konserviert, die die geschichtsvergessene Techno-Bewegung im Laufe ihrer Genese ausgesondert hat. Die Ausstellung nimmt sich aus wie ein Filtrat aus dem zeitlichen Kontinuum, das nun im stillen Museum abgelegt werden konnte. Es soll helfen, das Dispositiv von Musik, Mode und Design, von Party und Drogen als spezieller popkultureller Formation zu begreifen.
Die Schau erweist sich geradezu als Vermächtnis der ersten Techno-Generation, die stets den Individualismus kultivierte und sich deshalb selten in bleibenden Institutionen verewigt hat – mal abgesehen von der Street Parade, die längst dem Tourismus geweiht ist. Die historische Ausrichtung manifestiert sich auch in Interviews mit Techno-Habitués, die über ihre Erfahrungen als Raver, DJ, Veranstalter sprechen. Ihre Antworten kann man sich nun mit Kopfhörern anhören.
Techno figuriert unterdessen auch auf der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz, die das Bundesamt für Kultur herausgibt. Dies gab den Impuls zum Auftritt der Musikkultur im staatlichen Landesmuseum. Von Lebendigkeit und Gegenwart ist allerdings nicht viel zu spüren. In einer Installation werden Tiktok-Schnipsel von Ravern auf lebensgrossen Screens gezeigt – man kann sich Kopfhörer aufsetzen und mittanzen. Aber sorgt das für Partystimmung?
Dass die Techno-Beats nicht durch die Räume geballert werden, versteht man. Die Ausstellung ist nicht nur für die Techno-Affinen gedacht. Und laute Musik würde die Konzentration auf die Exponate erschweren. Wie bereits frühere Ausstellungen zu Techno oder Klubkultur krankt deshalb auch diese Ausstellung fast notgedrungen an der Unmöglichkeit, die Musik, die im Techno den Ton angegeben hat, angemessen zu vergegenwärtigen.
Immerhin werden Plattenteller und Plattenhüllen ausgestellt, überdies stehen Konsolen mit Hörbeispielen bedeutender DJ und prägender Stile bereit. Die Schaukästen sind mit elektronischen Instrumenten bestückt. Besonders attraktiv: eine «Sample-Bar», an der man mit einfachen Tools die gesampleten Sounds massgebender Instrumente wie der Roland-TR-808-Rhythmusmaschine oder des Korg-MS-20-Synthesizers reproduzieren kann. Aber die Einrichtung erinnert eher an ein elektrotechnisches Labor als an ein DJ-Pult.
Die Zeit schafft Räume
Aufschlussreich ist die Ausstellung, wenn sie die Techno-Bewegung mittels Fotowänden, Videos und Zeitungsartikeln historisch und räumlich einordnet. Wobei die beiden Aspekte eng verbunden sind, wie anhand dreier Techno-Metropolen illustriert wird.
Techno wurde ursprünglich von afroamerikanischen DJ in Detroit entwickelt. Durch die jahrelange Krise der Autoindustrie hatten sich Fabriken und Lagerhallen entleert, die Techno-Pionieren wie Juan Atkins und Kevin Saunderson Raum boten für ihre Partys. Im harten Beat war gleichsam der Nachhall alter Maschinen zu hören. Und so hätte man meinen können, die Fabrikhallen selbst hätten die Techno-DJ zu harten Sounds inspiriert, um die Menschheit mit industrieller Regelmässigkeit zu hypnotisieren.
Zum Beispiel in Berlin. Die deutsche Stadt verdankt den Status eines Techno-Mekkas ebenfalls ihrer besonderen Geschichte. Und wiederum hat es mit Freiräumen zu tun. Die Wiedervereinigung und die wirtschaftliche Umstrukturierung Berlins führten zu industriellen Wüstungen und verwaisten Hallen, die in den neunziger Jahren von der Raver-Szene in Beschlag genommen werden konnten.
In Zürich sorgte die Deindustrialisierung von Zürich Nord und Zürich-West für den Durchbruch von Techno. Die Techno-Pioniere bewiesen sich aber nicht nur als geschickte Zwischennutzer leerstehender Immobilien. Sie bespielten bald auch andere Freiräume mit ihrem hypnotischen Sound – etwa einen Fussgängertunnel im Enge-Quartier oder die Unterführung am Escher-Wyss-Platz.
In der Techno-Ausstellung werden die Partylokalitäten mit Videos und grossformatigen Fotografien illustriert. So kann man nachvollziehen, wie sich die Techno-Bewegung stets weitere Aussenräume erschloss. Je erfolgreicher die Bewegung war, desto mehr Platz nahm sie in Anspruch. So fand ab 1992 die Zürcher die Street Parade statt. Aber Raves wurden immer öfter unter freiem Himmel veranstaltet: zum Beispiel die Vision-Party auf dem Sustenpass.
Die Massen strömten an die Mega-Raves. Techno wurde bald auch zu einem Mainstream-Phänomen, was Probleme und Herausforderungen mit sich brachte. Die synthetischen Partydrogen zum Beispiel, deren chemische Zusammensetzung durch mobile Labors überprüft wurde. In der Hitze der Nacht aber und unter Einfluss von Rauschmitteln kam es an Raves vermehrt zu Exzessen; Ecstasy machte die Raver zwar friedlich; der erhöhte Alkoholkonsum aber sorgte mitunter auch für Gewalt, wie eine interviewte Veranstalterin berichtet.
Keine Einheitsfront
Insofern erstaunt es nicht, dass die Raves und die Klubs künftig auf die Hilfe von Security-Agenturen setzten. Am Eingang wachen seither Türsteher und entscheiden, wer eingelassen wird – und wer allenfalls sogar Zutritt zum VIP-Sektor erhält. Und so manifestieren sich unterdessen Diskriminierung und Hierarchisierung auch in einer Bewegung, die eigentlich doch für Toleranz und Inklusion stehen möchte. Die Street Parade hat Jahr für Jahr dafür geworben.
Diese Selbsteinschätzung beruhte allerdings stets auch auf Idealisierung und Verklärung. Tatsächlich war die Techno-Kultur immer schon in Szenen und Bubbles gespalten. Es gab eine Bubble der Pioniere und eine Bubble für Mitläufer, eine Bubble der Subkultur und eine Bubble des Kommerzes, eine Bubble für Trance und eine Bubble für Minimal, eine Bubble für Homos und eine für Heteros. Kurzum: Techno war noch nie eine emanzipatorische Einheitsfront, sondern immer eine buntscheckige Spasskultur.
Die bunten Outfits der Raver haben die Modedesigner inspiriert: ein Techno-Look von Susanne Bartsch (links) und der gespiegelte Anzug des Zürcher DJ und Künstlers Stefan Altenburger alias Golden Boy.