Lukas Bärfuss hat ein Solostück über den Wahlkampf des texanischen Senators Ted Cruz verfasst. Die Uraufführung am Schauspielhaus Zürich sorgt für Amüsement. Der Bezug zur amerikanischen Wirklichkeit aber bleibt verschwommen.
Ist er einer von uns? Ein Mann aus dem Volk, wie man so sagt? Jedenfalls setzt er sich ins Publikum, in die vorderste Reihe. Während jedoch wir andern schon erwartungsfroh auf die Bühne starren, nimmt er noch einen Telefonanruf entgegen. Er zieht zwar eine Grimasse, mit der er die Störung entschuldigen will. Spricht dann aber so laut, dass alle rundherum sein Gespräch mitbekommen.
Es handelt sich um einen wichtigen Mann. Ted Cruz ist sein Name. Er ist ein republikanischer Senator aus Texas. Sein Amt lässt ihm weiterhin keine Ruhe. Immer wieder kommen Anrufe herein. Und so ist es nur recht, dass der grossgewachsene, schlaksige Senator, der längst die Aufmerksamkeit des Publikums geniesst, selbst auf die Bühne steigt.
Begegnung mit dem Schicksal
Eine verlassene, rostige Tankstelle versinnbildlicht hier die Krise der Vereinigten Staaten (Bühne: Naemi Jael Marty). Ted Cruz aber weiss, wen das Land nun braucht, und schreit es ins Telefon: einen republikanischen Leader, versteht sich; aber keinen arroganten Liberalen, sondern einen konservativen und gottesfürchtigen Mann, der für die Verfassung einsteht. Am besten entspricht diesem Jobprofil: Ted Cruz selbst. Seine Kandidatur will er jetzt als Begegnung mit dem Schicksal begreifen.
Im Frühjahr 2015 hat der texanische Senator offiziell seine Kandidatur für das Amt des amerikanischen Präsidenten bekanntgegeben. Sein Wahlkampf dient nun als dramatisches Gerüst von «Sex mit Ted Cruz», einem Einmannstück, das Lukas Bärfuss im Auftrag des Schauspielhauses verfasst und Michel Neuenschwander auf den Leib geschrieben hat.
Der Schweizer Schauspieler verleiht der Rolle viel Witz und Vitalität. Gekleidet in einen grauen Westerndress und in spitze, schwarze Cowboystiefel, erscheint sein Cruz wie trunken von Grossmannssucht. Und wenn auch die Zapfsäule nichts mehr hergibt an Brennstoff, so holt er sich die Energie einerseits aus dem lauten Rock ’n’ Roll, der aus den Boxen dringt (Musik: Micha Kaplan). Andrerseits lässt er sich – Sohn eines kubanischen Immigranten und mithin als Nobody gestartet – vom alten amerikanischen Traum einer Tellerwäscherkarriere in den Wahlkampf tragen wie von einem klapprigen Gaul.
Zunächst wird der politische Kampf auf der Bühne weiterhin durch Telefongespräche protokolliert – im Austausch mit Parteigängern, mit Wahlkämpfern, mit einer Gespielin und mit der Gattin Heidi Cruz. Später klettert er auf das Dach der Tankstelle. Er wendet sich als Messias ans Volk von Iowa oder Idaho, schwingt die Arme auseinander und verhöhnt Regierung, Staat, Eliten. Und so denkt man sich: Doch, dieses stets grinsende Grossmaul könnte eine Chance haben.
Allein, Ted Cruz hat die Rechnung ohne seine Rivalen gemacht. Er hält den einen für einen Pfadfinder und den anderen für einen Clown, für einen Triebtäter gar, der sich an Frauen vergreife. Die Gegnerschaft aber heckt eine Intrige aus – Ted Cruz wird in einen Sexskandal verstrickt. Plötzlich fallen seine Chancen. Im Frühjahr 2016 gibt er das Rennen auf.
Der Tiefpunkt seiner Karriere wird zu einem szenischen Höhepunkt des Stücks. Mit Verve intoniert Michael Neuenschwander eine Mundart-Coverversion des Abba-Klassikers «The Winner Takes It All». Überdies zeigt sich im Tränental von «Sex mit Ted Cruz», worum es dem Autor eigentlich geht. Denn das Leid von Ted Cruz erscheint hier gleichzeitig als Freude von Donald Trump. Zerknirscht muss Ted Cruz mit ansehen, wie sich ausgerechnet der «Clown» als Strahlemann Amerikas durchsetzt – weniger mit konservativ-christlichen Werten als mit einer populistischen Revolution.
Der bescheidene Opportunist
Man folgt Michael Neuenschwanders beherztem Solo zwar meist amüsiert über die achtzig Minuten. Da er in seinem Rollenspiel den Schwerpunkt eher auf Komik setzt als auf Psychodynamik, wirkt er als Ted Cruz eher lustig und hölzern als verständlich. Es scheint hier nicht ganz unproblematisch, eine Figur frisch aus der politischen Aktualität zu pflücken, um sie auf der Bühne sinnstiftend zu instrumentalisieren. Denn die Grenze zwischen politischer Wirklichkeit und literarischer Phantasie bleibt verschwommen.
Man fragt sich immer wieder, wo Bärfuss zum Bauchredner seines Protagonisten wird und wie weit er ihm seine authentische Persönlichkeit belässt. So zum Beispiel, wenn Ted Cruz erklärt, ohne Christentum seien wir alle Faschisten – und dann einen Gefallen daran findet, durch alle möglichen mit «F» beginnenden Wörter eine Faschismusgefahr zu suggerieren. Die Szene wirkt banal und scheint kaum zu Ted Cruz zu passen. Dafür bietet sie dem Autor die Möglichkeit, sich selbst als Antifaschist zu profilieren.
Eine kluge Pointe gelingt Lukas Bärfuss dafür am Ende des Stücks: Ted Cruz, der sich lange von Trump distanziert hat, macht zuletzt ausgerechnet seine christliche Bescheidenheit geltend, wenn er sich dann doch noch dem Trump-Lager anschliesst: Es gehe in der Politik eben nicht um seine Person, es gehe um das Wohl des Landes.