Wenn Konsumenten politisch einkaufen, vermögen sie Regime zu Fall zu bringen. Aber sind wir wirklich bereit, wegen Donald Trump auf iPhones und Nike-Sneaker zu verzichten?
Mit dem Alkohol hat es angefangen. Mittlerweile geht es auch um Orangensaft, Kaffeebohnen und Rosinen. Kanadische Konsumenten boykottieren amerikanische Konsumgüter. Und sie meinen es ernst. In den Supermärkten werden amerikanische Produkte ausgelistet und kanadische mit einem Ahornblatt hervorgehoben.
Die App «Maple Scan» hilft Konsumenten bei der patriotischen Mission. Mit ihr lässt sich dank einer Strichcode-Analyse herausfinden, ob eine kanadische Firma hinter einem Gut steht. Die Einigkeit ist so gross, dass sogar der separatistische Bloc québécois die «Buy Canadian»-Bewegung unterstützt. Die Partei, die für die Unabhängigkeit des Gliedstaats Quebec eintritt, lehnt sonst alles Kanadische ab.
Provoziert hat die Canada-first-Bewegung US-Präsident Donald Trump. Er hat mit dem nördlichen Nachbarn, mit dem sein Land wirtschaftlich eigentlich aufs Engste verflochten ist, einen gehässigen Handelskrieg vom Zaun gebrochen: Auf die meisten Einfuhren aus Kanada wird nun ein Zoll von 25 Prozent draufgeschlagen. Schaden anrichten wird das in beiden Ländern. Eine wirtschaftliche Logik ist nicht erkennbar.
Auch diesseits des Atlantiks gibt es erste Anzeichen einer antiamerikanischen Boykottbewegung. Schon seit Wochen geistern in den sozialen Netzwerken – etwa auf Tiktok, aber auch auf der Business-Plattform Linkedin – europäische Alternativen für amerikanische Klassiker wie Heinz-Ketchup und Coca-Cola herum. Die Urheberschaft ist meist nicht bekannt.
In Dänemark setzt man bereits auf Europe first. Supermärkte der Salling-Gruppe, darunter der in mehreren Ländern tätige Discounter Netto, markieren europäische Produkte mit einem schwarzen Stern. «Wir haben viele Nachfragen von Kunden bekommen, die sich nach europäischen Besitzverhältnissen erkundigt haben», schreibt ein Sprecher.
Unterschieden werde nach der Eigentümerschaft, sagt der Sprecher. Produkte, die zwar in Europa hergestellt werden, aber zu amerikanischen Firmen gehören, bekommen keinen Stern. So gesehen gilt auch die Toblerone, die zum US-Food-Multi Mondelez gehört, als amerikanisch.
«Dänemark führt die europäische Boykottiert-Amerika-Bewegung an», titelte vor kurzem die amerikanische Boulevardzeitung «New York Post». Das hat aber auch einen konkreten Grund: In Europa ist insbesondere Skandinavien ins Visier von Donald Trump geraten: Er will sich Grönland, welches heute formell zu Dänemark gehört, zu eigen machen.
Chefvollstrecker Elon Musk
Bereits einen grossen Bogen machen die Konsumenten um Tesla, die Automarke von Donald Trumps Chefvollstrecker Elon Musk. Obwohl er kein gewählter Politiker ist, kommt ihm als Chef des neugeschaffenen Department of Government Efficiency eine enorme Macht zu.
Der Tesla-Hass ist mancherorts zu einem Volkssport geworden. Vor den Fabriken und Verkaufsstellen in den USA und Europa gibt es Demonstrationen. In London plakatiert eine Gruppe namens «Everyone hates Elon» U-Bahnen und Litfasssäulen mit Anti-Tesla-Postern zu. Tesla-Fahrer berichten, dass sie im Strassenverkehr mitunter mit dem Hitlergruss provoziert würden.
Da Autoverkaufszahlen gut dokumentiert sind, kann Monat für Monat verglichen werden, wie viel weniger Fahrzeuge die Firma verkauft hat. Begleitet wird das vor allem in Europa, aber auch in liberalen amerikanischen Medien mit viel Schadenfreude. Der Fall Tesla weckt mittlerweile auch das Interesse von Forschern und Börsenanalysten. «Der Niedergang von Tesla ist beispiellos», so kommentierte vor kurzem die amerikanische Bank JP Morgan.
«Tesla lässt sich enorm leicht boykottieren», sagt Deborah Kalte. Sie arbeitet beim Schweizer Forschungsinstitut Demoscope und hat ihre Doktorarbeit zum Thema politischer Konsum geschrieben.
Denn man könne problemlos auf das Auto verzichten, es gebe genügend Alternativen. Der Boykott dieser Marke sei ein perfektes Beispiel für ein politisch motiviertes Konsumverhalten, sagt Kalte. «In Europa können die Menschen keinen Einfluss auf die US-Politik nehmen, aber so kann man ein Zeichen setzen.»
Der Elektroautopionier war bisher vor allem bei städtischen und progressiv denkenden Autofahrern beliebt. Diese zeigten sich durch Musks Vorgehen bestürzt. Beim Boykott von Tesla kämen Menschen nun jedoch übergreifend zusammen, um ihrem Ärger Luft zu machen, sagt Kalte. «Es ist eine unkonventionelle Form des politischen Mitwirkens. Aber es ist definitiv politisches Mitwirken.»
Boykotte gegen bestimmte Produkte oder politische Regime sind nichts Neues. NGOs und Aktivisten rufen regelmässig dazu auf, Firmen wie Nestlé oder aber israelische Produkte zu meiden.
In der Schweiz haben linke Kreise eine Zeitlang Stimmung gegen Läderach-Schokolade gemacht. Dies, weil der frühere Firmenchef Jürg Läderach eine evangelikale Privatschule unterstützt hatte, wo es zu Kindsmisshandlungen gekommen sein soll.
Die Firma hat sich in aller Form von Jürg Läderach distanziert. Dennoch verzeichnete die Firma im Schweizer Markt vorübergehend einen Rückgang des Umsatzes, wie der CEO Johannes Läderach in einem «NZZ am Sonntag»-Interview sagte. Dieser habe sich dann aber relativ schnell wieder erholt.
Der Anfang vom Ende der Apartheid
Boykotte haben schon grosse Veränderungen angestossen. So wurde 1959 in Grossbritannien eine Bewegung gegründet, welche wegen des Apartheidregimes zum Verzicht auf südafrikanische Produkte aufrief. Sie fand europaweit Unterstützung. Die Politik folgte mit Sanktionen gegen Südafrika. 1989, also dreissig Jahre nach dem ersten Aufmucken durch Konsumenten, wurde die rassistische Politik schliesslich aufgegeben.
Boykotte können also durchaus etwas erreichen. Meist verpuffen die Aufrufe aber ohne nachhaltigen Schaden – selbst wenn der Ärger eigentlich gross ist. So hat sich etwa auch die deutsche Automarke VW vor zehn Jahren relativ gut vom Abgasskandal erholt. Damals war bekanntgeworden, dass die Firma Dieselautos mithilfe von technischen Tricks viel sauberer hatte aussehen lassen, als sie es in Wirklichkeit waren.
Doch der Fall Tesla ist anders. «Das Problem von Tesla ist, dass die Firma untrennbar mit der Person Elon Musk verknüpft ist», sagt die Politikwissenschafterin Deborah Kalte. Sie glaubt, dass die Probleme von Tesla so lange anhalten würden, wie Musk sein Verhalten nicht ändere. Und Einsicht zeigte dieser bisher nicht.
Das Bemerkenswerte an der gegenwärtigen Anti-Amerika-Bewegung ist, dass sich die Menschen nicht etwa zu politischen Grossdemonstrationen zusammenschliessen. Sondern dass sie versuchen, Trump mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der US-Präsident will mit seinen Zöllen die heimische Produktion stärken. Also soll diese mit einem bewussten Verzicht geschwächt werden.
Anders als in Kanada gibt es in Europa bis jetzt keinen generellen Amerika-Boykott. So melden etwa Schweizer Reisebüros, dass das Interesse an Reisen in die USA ungebrochen hoch sei. Einzig der starke Dollar sorge für eine gewisse Zurückhaltung.
Aber was ist, wenn die US-Regierung Europa direkt ins Visier nimmt? In einem geleakten Chat nannte Vizepräsident J. D. Vance Europa «erbärmlich». Donald Trump hat bereits mehrmals angekündigt, europäische Produkte – analog zu den kanadischen und mexikanischen – mit einem generellen 25-Prozent-Zoll zu belegen. Voraussichtlich am 2. April wird er ein weiteres grosses Zollpaket vorstellen.
Werden die Europäer dann auch zusammenfinden wie die Kanadier? Werden sie das iPhone zugunsten des Samsung-Smartphones aufgeben und die Nike-Sneaker mit solchen von On oder Adidas ersetzen?
Der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter, Forschungsleiter der Fachhochschule Kalaidos, hält dies für möglich. «Bisher haben sich die Konsumenten relativ pragmatisch verhalten», sagt er, «doch Europa steht durch Donald Trump unter Druck wie schon lange nicht mehr. Das kann sehr schnell zu einem Favorisieren der eigenen Gruppe führen.»
Eigentlich sind Konsumenten eine Vielzahl von Einzelpersonen, die wenig miteinander gemein haben. Doch wenn sie alle die gleiche, starke Emotion verspürten, dann entstehe ein Gemeinschaftsgefühl, so Fichter. Wut über eine ungerechte Behandlung, etwa unfaire Zölle, könne so ein Auslöser sein.
Boykottbewegungen würden sich bilden, ohne dass die Leute auf die Strasse gingen. Stattdessen fänden sie über die Medien und natürlich die sozialen Netzwerke zusammen. Die US-Regierung lasse sich sehr gut in ein Meme umwandeln, sagt Fichter. «Also einen Inhalt, der im Internet schnelle Verbreitung findet.»
Anfällig seien vor allem Produkte, die sichtbar seien, sagt Fichter. Dazu zählen Teslas, mit denen man auf der Strasse herumfährt. Aber nicht unbedingt Gillette-Rasierklingen oder auch Netflix, die man im Privaten nutzt.
Nun dürften die kommenden Wochen zeigen, ob Europas Konsumenten nur Elon Musks Tesla-Autos schneiden. Oder ganz Amerika.