Die politische Landschaft in Thailand wird gerade durchgeschüttelt. Ministerpräsident Srettha Thavisin habe gegen ethische Regeln verstossen und müsse abtreten, befanden die Verfassungsrichter. Es dürfte ein Vorwand sein.
Nach weniger als einem Jahr im Amt muss Thailands Regierungschef zurücktreten. Das gab der 62-jährige Srettha Thavisin am Mittwoch bekannt. Srettha wird eine Fehlbesetzung im Kabinett zum Verhängnis: Er hatte im August 2023 den wegen Korruptionsversuchs vorbestraften Pichit Chuenban in seinen engsten Beraterkreis berufen. Nach Protesten hat dieser zwar sein Ministeramt inzwischen abgegeben. Das juristische Nachspiel wird nun aber auch Srettha zum Verhängnis.
Srettha war ein Hoffnungsträger
In Bangkok zeigen sich praktisch alle Beobachter überrascht. Rechtsgelehrte, Universitätsdozenten und auch die Medien waren davon ausgegangen, dass der personelle Fehlgriff des früheren Unternehmers und Politikneulings keine gravierenden Konsequenzen haben werde. Diese Einschätzung fusste aber offenbar auf rein juristischen Grundlagen. Sie übersah die politischen Grabenkämpfe und die durcheinandergeratenen Allianzen, die Thailand heute mehr denn je prägen.
Das Königreich ist wirtschaftlich und politisch in einer so prekären Lage, dass auf den ersten Blick eigentlich niemand ein Interesse an einer zusätzlichen Destabilisierung haben sollte. Die Armut ist weit verbreitet, Investoren halten sich zurück, die Börse ist im Sturzflug; bloss die touristischen Hotspots verzeichnen inzwischen wieder Konjunktur. Die Weltbank schätzt in ihrem jüngsten Ausblick, dass in der Region nur das zerrüttete Myanmar noch schwächer wachsen wird als Thailand.
Dazu kommt das Chaos in der Politik: Vor wenigen Tagen ist die populäre Fortschrittspartei, die oppositionelle Move Forward, die bei den letzten Wahlen als stärkste Kraft abschnitt, verboten worden. Auch dieser Entscheid wurde bekanntlich in der juristischen Ecke gefällt.
Das Abservieren von Srettha wirkt derzeit insofern seltsam, als der frühere Unternehmer eigentlich als eher politisch neutrale Figur galt. Er gehört zwar der vom Thaksin-Clan gesteuerten Partei Pheu Thai an, kam aber als Kompromisskandidat zum Zug, gerade weil er parteimässig wenig verwurzelt war. Zudem galt er aufgrund seines Werdegangs in Wirtschaftsfragen als fachlich versiert, womit er vor Jahresfrist auch gewisse Hoffnungen auf bessere Zeiten weckte.
Die Thailänder sind enttäuscht von Srettha
Wie undurchsichtig und instabil die Lage in Thailand weiterhin ist, erkennt man daran, dass für Sretthas Sturz derzeit zwei Erklärungen herumgeboten werden, die genau in konträre Richtungen verlaufen. Die eine zielt darauf, die Pheu-Thai-Partei mit Blick auf die nächsten Wahlen als politische Kraft zu stärken; genau deshalb sei der wenig charismatische Srettha abgesägt worden. Die andere Version sieht in der Absetzung dagegen einen Schuss vor den Bug Thaksins und gegen dessen wiederbelebte Machtgelüste mit Pheu Thai; Thaksin werde damit signalisiert, dass sein politischer Apparat vom Netzwerk der Royalisten und Militärs jederzeit in die Schranken gewiesen werden könne.
Für die erste Interpretation spricht, dass Srettha nach einem Jahr kaum Erfolge vorzuweisen hat und inzwischen massiv an Ansehen verloren hat. Das Wirtschaftswunder blieb aus, die Massen sind enttäuscht. Unmittelbarer Anlass für den Hinauswurf könnte das von Srettha initiierte, aber halbbatzig durchgeführte Sozialhilfeprogramm sein, das etwa 450 Milliarden Baht (rund 12 Milliarden Dollar) kostet. Das dazu bereitgestellte digitale Taschengeld für Bedürftige verpuffe ohne Wirkung, ruiniere aber die Staatskasse, sagen Kritiker.
Ohne Führungswechsel, so also die plausible Befürchtung, schneide die aus konservativen Kräften zusammengetrommelte Regierungskoalition bei den nächsten Wahlen noch schlechter ab. Denn inzwischen ist klar, dass die vor einigen Tagen verbotene Move-Forward-Partei sich neu organisiert. Dass sie bei den nächsten Wahlen in neuem Gewand und dank grosser Zustimmung jüngerer Wähler erneut auftrumpfen wird, gilt als sehr wahrscheinlich.
Oder geht es etwa darum, Thaksin zu warnen und zu zähmen? Der frühere Ministerpräsident, der erst im vergangenen Jahr aus dem Exil nach Thailand zurückkehren durfte, lässt via Pheu Thai nämlich seit geraumer Zeit die Muskeln spielen. Mit ihm haben die erzkonservativen Royalisten zwar ein Zweckbündnis geschmiedet. Aber in den Institutionen, darunter der Justiz, hat der Thaksin-Clan nichts zu suchen. Vielleicht war es diese Botschaft.
Eine bedeutende Tochter
Srettha ist seit Mittwoch ganz weg, bloss das Kabinett bleibt bis auf weiteres und wird die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines neuen Premiers interimistisch weiterführen. Hier gibt es eine Einschränkung des Kandidatenkreises: Der neue Ministerpräsident muss nämlich aus dem Kreis jener Bewerber stammen, die sich vor Jahresfrist um den höchsten Posten ins Spiel brachten. Dabei wird man eine Person besonders im Auge behalten müssen, nämlich Paetongtarn Shinawatra. Es handelt sich um die Tochter von Thaksin Shinawatra.







