Gastrokritik aus Andermatt
In «The Chedi» hat sich ein neues Führungsteam gebildet. Zwei Sterne im Guide Michelin kamen gleich nach der Ankunft der Küchenchefs Fabio Toffolon und Dominik Sato. Die Zwillinge kochen auf Basis japanischer Rezepte, aber mit Twist.
Sushi und Sashimi gibt es immer noch im «The Japanese Restaurant», keine Sorge. Allerdings wurden die japanischen Klassiker aus dem Degustationsmenu entfernt und sind nur noch à la carte zu haben. Geschadet hat diese Entscheidung dem Renommee des Vorzeigerestaurants in «The Chedi» keinesfalls. Im Gegenteil: Unerwartet kam, nachdem das Lokal unter anderer Leitung bereits mehrfach mit einem Stern ausgezeichnet worden war, der zweite.
Fabio Toffolon und Dominik Sato, Zwillingsbrüder und gleichberechtigte Küchenchefs, dürften mit dieser Entscheidung kaum gerechnet haben. Beide hatten sich schliesslich zuvor, der eine im Berner «Äusseren Stand», der andere im Thuner «Congress Hotel», je einen Stern erkocht. Der Mut des Guide Michelin ist in diesem Falle zu loben.
Japanische Aromen und viel Produktbewusstsein
In Andermatt kochen die Brüder zwar japanisch, bringen aber sehr wohl eigene Akzente ein. Das gilt auch für zwei weitere Neue im Team: Yoshiko Sato, die Frau von Dominik und gleichzeitig Pâtissière, sowie die Servicechefin Julia Herrmann. Letztere hatte bereits eine Karriere als Sommelière absolviert, bevor sie sich entschloss, bei einem deutschen Topweingut zu arbeiten. In Andermatt befasst sie sich nicht nur mit Weinen aus Trauben, sondern auch mit der besten Sake-Auswahl der Schweiz.
Wenn Nichtjapaner mit typisch japanischen Zutaten agieren, mag ihnen zwar die auf Überlieferung aufbauende Basis fehlen, aber sie können leichter neue Ideen einbringen. Die kochenden Brüder stellen zwar, das wird sofort deutlich, ihre Stilistik nicht über die fernöstlichen Grundprinzipien, aber sie lassen sie durchscheinen.
Schon die ersten Kleinigkeiten des Abendmenus zeigen japanische Würze und ungeheure, animierende Frische: die Shiitake-Essenz mit Enoki und Sancho, der Parmesan-Chawanmushi mit Unagi und Osietra-Kaviar oder die Gillardeau-Auster, ein in der Spitzengastronomie mit Recht sehr beliebtes, fast schon zu häufig verwendetes Produkt, mit Ponzu und Apfel.
Von der Muschel bis zum Wagyu-Beef
Bei Fisch und Meeresfrüchten ist die japanische Küche weltweit führend – und das merkt der Gast auch hier: ungeachtet der Lage des Restaurants weitab der Meere. Die höchst akkurat zubereitete Jakobsmuschel wird von Myoga, dem japanischen Ingwer, Dashi und Yuzu lediglich umrahmt, ohne dass der Eigengeschmack übertüncht würde.
Beim Kaisergranat, einem tollen Exemplar, samt Miso, Kürbis und Zitrus, herrscht ein ähnliches Prinzip. Bester Gang ist dann aber Madai, die japanische Dorade, mit Schwertmuschel, Spinat und einer mit Sake verfeinerten, höchst subtilen Sauce.
Dass die Fleischprodukte nicht allzu weit abweichen von den Standardzutaten der mitteleuropäischen Spitzengastronomie, ist für ein in dieser Konstellation neues Restaurant durchaus nachvollziehbar. Es gibt Reh (mit Steinpilzen) sowie Kagoshima-Wagyu (mit Pfifferlingen). Schön, dass in beiden Fällen Frische auf eine Weise integriert wird, wie dies nicht immer üblich ist selbst in allerbesten Restaurants. Der Reis, eine der Beilagen zum Beef, hat übrigens eine Qualität, wie sie ausserhalb Japans selten zu finden ist.
Soufflé und Wein – zwei Stärken des Restaurants
Marone und Cassis sind die wichtigsten Aromen des Desserts, das mit Texturen ebenso spielt wie mit Temperaturen. Das ist grosse Patisserie-Klasse, auch wenn ich den Eindruck habe, dass ein Hauch von Süsse weniger noch mehr Subtilität durchscheinen lassen würde. Die letzten Kleinigkeiten – etwa das handwerklich und geschmacklich untadelige Cannelé – wirken dann deutlich mehr europäisch als japanisch.
Die Getränkebegleitung wiederum, durch Julia Herrmann vorgenommen, kombiniert auf Wunsch Sake und Wein, bietet viel Abwechslung und Ideen. Ein unfiltrierter Sake schmeckt auf verblüffend überzeugende Weise zum Rindfleisch, und auch der Rest der Vorschläge zeigt gleichermassen Neugier und kulinarisches Verständnis. Viel besser geht es kaum – auf japanische Weise, zumindest in der Schweiz, erst recht nicht.
Auf einen Blick
Adresse
«The Japanese Restaurant» in «The Chedi», Gotthardstrasse 4, 6490 Andermatt
Preise
Das Menu kostet ab 230 Franken.
Bewertung durch den Gastrokritiker
Küche: 9/10
Gastkultur: 9/10
Anmerkung: Die Bewertungen orientieren sich an der denkbaren Höchstnote von 10 Punkten. Die Note für die Küche betrifft ausschliesslich die Qualität der Speisen, jene für Gastkultur umfasst sämtliche übrigen Aspekte eines Restaurantbesuchs.
Der Besuch erfolgte auf Einladung.