Der britische Silvester-Klassiker begeistert jedes Jahr ein Millionenpublikum. Gedreht wurde der Sketch aber nicht in England – sondern in einem Fernsehstudio im Zürcher Seefeld.
Was machen Sie an Silvester? Mit Freunden Fondue chinoise essen und danach «Dinner for One» schauen? Damit wären Sie nicht allein. Seit über sechzig Jahren wird der Klassiker über Miss Sophie und ihren Butler James im Fernsehen gezeigt. Millionen schauen zu, wie der Butler der Hausherrin Suppe, Fisch, Chicken, Früchte und dazu Sherry, Weisswein, Champagner und Portwein serviert und dabei ständig über einen ausgestopften Tigerkopf am Boden stolpert.
Was nur wenige wissen: «Dinner for One» wurde 1963 in Zürich gedreht. Und zwar im Studio Bellerive im Seefeld, neben dem gleichnamigen Hotel.
Geschrieben hat den Sketch zwar ein britischer Autor. Doch in ihrem Heimatland blieben Miss Sophie und ihr Butler praktisch unbekannt. Eine Silvestertradition ist «Dinner for One» vor allem in Deutschland, der Schweiz und Skandinavien.
Trotzdem ist «Dinner for One» very British: Die Schauspieler Freddie Frinton und May Warden stammen beide aus England. Frinton kämpfte im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland und weigerte sich, für die Fernsehaufzeichnung deutsch zu sprechen.
Und so heisst es vor jedem Gang: «The same procedure as last year, Miss Sophie?» – «The same procedure as every year, James!»
Dreh in ehemaliger Tennishalle
Das Studio Bellerive war ursprünglich eine Tennishalle, die erste in ganz Europa. 1928 wurde das Gebäude eröffnet, zum Freizeitvergnügen der gut betuchten Hotelgäste.
1941 wurde aus der Sporthalle ein Filmstudio. Anfangs wurden Filme in einem Duschraum geschnitten, und die Mitarbeiter des Programmleiters mussten bei den Briefings am Boden sitzen. Erst mit den Jahren wurde die Ausstattung professioneller. Das Schweizer Fernsehen drehte einige bedeutende Produktionen in dem Gebäude. Anfangs noch in Schwarz-Weiss (wie «Dinner for One»), ab 1965 dann in Farbe. So sendete das Fernsehen aus dem Studio Bellerive etwa die Live-Übertragung der Mondlandung 1969.
1972 zog das Schweizer Fernsehen aus dem Studio Bellerive aus und überliess die Anlage privaten Filmverleihern. Unter deren Ägide drehten Yello im Studio Musikvideos. Der letzte Oscar-prämierte Schweizer Film, «Reise der Hoffnung», wurde ebenfalls hier gedreht.
Heute stehen in den Räumen des ehemaligen Studios Schreibtische, Zimmerpflanzen und Telefonkabinen. Aus dem Filmstudio wurde ein Grossraumbüro. Darin untergebracht sind das Zurich Film Festival, zahlreiche Filmverleiher und die Arthouse-Kino-Gruppe.
Der Nimbus grosser Produktionen wirkt immer noch nach. Die Wände des Co-Working-Space sind 14 Meter hoch, dekoriert sind sie mit Plakaten von Schweizer Filmerfolgen wie «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» (2018).
Rezepte, Spiele, Lexika
«Dinner for One» hat derweil Kultstatus erlangt. Im ehemaligen «Hotel Bellerive» erinnert die «Freddie-Frinton-Bar» daran, dass hier einst der legendäre Sketch aufgezeichnet wurde. Es gibt Kochbücher («Dinner for One: Die besten Gerichte von Miss Sophie und Butler James aus dem beliebten Sketch»), ein Lexikon («Dinner for One von A–Z: Das Lexikon zum Kult-Vergnügen) oder Gesellschaftsspiele wie «Christmas Dinner for One: Miss Sophies Geheimnis».
Google hat einen Gag zum Sketch eingebaut: Tippt man «Dinner for One» ins Suchfeld ein, erscheint ein schwarz-weisser Tigerkopf. Klickt man darauf, taucht am Bildschirmrand ein Tigerfell auf, Miss Sophies Stimme ist zu hören («The same procedure as every year!»), und der Butler James stolpert zweimal über den Tigerkopf.
Übrigens: Der Tigerkopf-Gag war in der ursprünglichen Theaterfassung des Sketches nicht vorgesehen. Frinton stolperte aus Versehen darüber. Das Publikum musste derart lachen, dass daraus ein Running Gag wurde.
Eine Versicherung hat für den Butler James ein fiktives Schadensdossier eröffnet. Darin ist berechnet, wie viel der Schaden kosten würde, den der Butler mit seinen Stolperern im Laufe des Abends verursacht. Die Antwort: exakt 3009 Franken, davon rund 2800 für die Instandsetzung des Tigerfells. Die Versicherung gibt zu bedenken, dass man Kunden wie ihn irgendwann nicht mehr annehmen würde – weil er jedes Jahr denselben Schaden verursache.
In Schweden war «Dinner for One» einige Jahre verboten. Der Sketch preise übermässigen Alkoholkonsum an, hiess es. Der Butler James betrinkt sich nämlich im Laufe des Essens immer mehr. Miss Sophie fordert ihn dazu auf, ihre verstorbenen Freunde nachzuspielen und ihr immer wieder zuzuprosten. Vier Freunde, vier Gläser, vier Gänge – sechzehn Mal anstossen mit Miss Sophie: macht einen betrunkenen Butler.
Im echten Leben war Frinton hingegen nie betrunken. Der Schauspieler verzichtete zeit seines Lebens auf Alkohol. Er starb 1968, fünf Jahre nach der Fernsehaufzeichnung im Studio Bellerive in Zürich.
Zwanzig Jahre nach Frintons Tod wurde «Dinner for One» ins «Guinness-Buch der Rekorde» aufgenommen, als die am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion der Welt. Diesen Titel hält der Sketch bis heute. Auch dieses Jahr werden der Butler James und Miss Sophie Millionen Menschen vor die Bildschirme locken.
«The same procedure as every year!», eben.
«Dinner for One» läuft am 31. 12. um 19 Uhr 10 auf SRF 1.