Besser gefällt ihm die «schweizerische Liebe zum Detail». Am Sonntag gastiert The The in Zürich.
Während der 1980er Jahre galt Matt Johnson als Schlüsselfigur der britischen Musikszene. Seine unter dem Künstlernamen The The veröffentlichten Alben «Soul Mining», «Infected» und «Mind Bomb» erreichten trotz avantgardistischem Anspruch ein Massenpublikum.
Mehr noch hatten Johnsons Songs eine politische Sprengkraft – obschon diese manchmal nur dem Zufall geschuldet war. Mit den Anti-Kriegs-Lyrics in «Sweet Bird of Truth» nahm Johnson 1986 einen amerikanischen Luftangriff auf die libysche Hauptstadt Tripolis um Wochen vorweg.
Angesichts der Geschehnisse in Iran wirkt der damalige Einwurf von The The zur amerikanischen Interventionspolitik im Nahen Osten nur allzu aktuell. «Mir bereitet es keinerlei Genugtuung, meine Sicht der Weltlage immer und immer wieder bestätigt zu bekommen», sagt Matt Johnson im Gespräch. Die Namen der Akteure seien andere als vor vierzig Jahren, die Technologien, deren sie sich bedienten, selbstverständlich fortgeschrittener, «aber die Konflikte bleiben doch immer dieselben. Die Geopolitik dreht sich im Kreis.»
Mit «Ensoulment» veröffentlichte Johnson nun sein erstes Studioalbum seit einem Vierteljahrhundert. «Bloss weil ich für die breite Öffentlichkeit nicht sichtbar war, bedeutet das nicht, dass ich Däumchen gedreht habe», sagt er. Einen Buchverlag habe er gegründet, Film-Soundtracks geschrieben, zwei Kinder gezeugt, mehrfach den Wohnsitz gewechselt, sich in London für die Erhaltung historischer Bauwerke eingesetzt und den Tod einiger naher Verwandter betrauert.
Kaffee trinken auf dem Friedhof
Das Leben ist kurz, und nach dem Ableben seines älteren Bruders Andrew, der die meisten der Plattenhüllen von The The gestaltet hatte, besann sich Johnson wieder darauf, Songs im klassischen Vier-Minuten-Format zu verfassen. Was ihn aber nicht von der Wahl umständlicher Titel abhielt, wie im neuen Stück «Some Days I Drink My Coffee by the Grave of William Blake», in dem er auf seine Heimatstadt London blickt – und die von Turbokapitalismus, Architektentorheiten und Gentrifizierung verunstaltete Metropole nicht wiedererkennt. Am Grab des britischen Nationaldichters William Blake findet Johnson immerhin ein bisschen Seelenfrieden. Vor den Toren des Friedhofs Bunhill Fields herrscht hingegen das blanke Chaos.
Matt Johnson wurde 1961 im Südosten von London geboren und wuchs über dem Pub «The Two Puddings» auf – wo in den 1960er Jahren gestandene Filmschauspieler, berüchtigte Kleinkriminelle, aufstrebende Politiker und angesagte Rockmusiker ein und aus gingen. Mit nur 15 Jahren trat Johnson einen Job in einem Aufnahmestudio im Herzen Londons an, wo er sein Handwerk als Tontechniker schärfte und auch früh mit fremden Musikstilen und illegalen Substanzen in Berührung kam. Das eklektische erste Album von The The, «Soul Mining» (1983), entstand unter dem Einfluss der damals wenig verbreiteten Partydroge Ecstasy.
Roli Mosimanns Einfluss
Mitte der 1980er Jahre mutierte Johnson zum Talentspäher. Er konnte sowohl Neneh Cherry als auch Sinéad O’Connor als Duettpartnerinnen gewinnen, noch bevor sie weltberühmt wurden. Der 2024 verstorbene Schweizer Roli Mosimann verdankt The The gar seine Weltkarriere als Plattenproduzent und Remixer. «Roli hatte einen perfektionistischen Anspruch, der mir zuvor fremd gewesen war», erinnert sich Johnson. «Ich tendierte damals dazu, Fehler einfach stehenzulassen, anstatt sie wegzufeilen. Von Rolis typisch schweizerischer Liebe zum Detail habe ich als Musiker viel profitiert.»
Auf «Ensoulment» liegt die Musik von The The näher bei Johnsons heimlichen Helden Bob Dylan, Leonard Cohen und Hank Williams als bei seinen alten Vorbildern Pink Floyd, Terry Riley und Einstürzende Neubauten. Verstaubt wirkt die Mischung aus Americana und Chanson keinesfalls. Das liegt an Johnsons Songtexten. Auf «Kissing the Ring of Potus» attackiert Johnson die Wirtschaftselite mit derselben Vehemenz wie 1986, als er auf dem Album «Infected» das kulturelle und politische Dominanzgebaren der USA anprangerte.
Mit der Weltlage hat sich dieser zornige Mann noch lange nicht abgefunden. Und vielleicht wird er das auch nie: «Für mich ist es eine Bürgerpflicht, politische Missstände zu hinterfragen», sagt Johnson. Trotz einer «gewissen Desillusion» sei er ein unverbesserlicher Optimist. «95 Prozent aller Menschen , denen ich in meinem Leben begegnet bin, wollen das Richtige für sich und den Planeten tun.» Deswegen bleibe er hoffnungsfroh.
The The spielt am Sonntag im X-tra in Zürich.