Wieder lädt «The White Lotus» ins Tropenparadies ein, wo die Reichen an ihrer Leere leiden. Dem Elend der Privilegierten stellt die gefeierte Serie das Unglück der Angestellten entgegen. Grossartig.
Schon bei der Ankunft sind sie schlecht gelaunt. Da legt das Schnellboot auf der Insel an, die Gäste werden vom Hotelpersonal am Strand empfangen, die Schönheit Thailands bietet sich ihnen – aber nur wenige von ihnen wirken froh.
Warum man nicht wieder in der Karibik Ferien mache, fragt die Mutter, die mit ihrem Mann und den drei jungen erwachsenen Kindern aus dem Süden der USA angereist ist. Man flog um die halbe Welt, weil die Tochter ihre Abschlussarbeit über buddhistische Mönche schreibt. «Hätte sie nicht über ihre eigene Religion schreiben können?», fragt die Mutter. Später verwechselt sie Thailand mit Taiwan.
Auch der Mann um die fünfzig im Hawaiihemd wirkt gehetzt, sein abgelöschter Blick will nicht zum Luxus passen, den ihn hier erwartet. Den geweihten Tempel-Blumenkranz, den die Ankömmlinge als Begrüssungsgeschenk erhalten, schlägt er aus. Seine junge Freundin, die eindeutig nicht aus dieser reichen Welt stammt, boxt ihn in die Seite.
Begeistert zeigen sich dafür drei Freundinnen, die sich seit der Schulzeit kennen. Die eine, ein Fernsehstar, schenkt die Reise allen zum vierzigsten Geburtstag. Es soll kein Midlife-Crisis-Trip werden, sondern eine Siegestour. Das hindert die Frauen nicht daran, in immer neuen Kombinationen über die jeweils abwesende Dritte zu lästern.
Hingabe an die Verschwendung
In der dritten Staffel der gefeierten HBO-Serie «The White Lotus» lädt der Regisseur und Drehbuchautor Mike White wieder in das gleichnamige fiktive Resort ein. Nach Maui und Sizilien legen sich die wohlhabenden amerikanischen Gäste diesmal in Thailand auf die Liegestühle am glitzernden Pool, um schon nachmittags Cocktails zu trinken. Sie unternehmen Bootstouren und verspeisen zum Frühstück Berge von frischen Tropenfrüchten. Affen springen in den Bäumen, steinerne Buddhas speien Wasser.
Alles hier ist auf Verschwendung angelegt, von der üppigen Vegetation bis zur leiblichen Verwöhnung. Man reist an diesen Ort auch wegen des Wellnessangebots. Massagen mit heissen Steinen, Behandlungen gegen Stress und für eine bessere Körperhaltung, die der ständig gesenkte Blick aufs Handy nötig macht. Privates Yoga.
Erneut ist «The White Lotus» sowohl Gesellschaftssatire wie Krimi. Gleich am Anfang fallen Schüsse, die Affen fliehen kreischend in die Kronen, trommelnde Musik, Scheiben brechen, und die Meditationslehrerin sagt zum Gast: «Bleiben Sie ruhig.» Wer stirbt, wer ist der Mörder? Auflösung gibt es am Ende der acht Folgen.
Spiritualität in Zeiten des Kapitalismus
Sie reisen um die halbe Welt, um im Tropenparadies die Fülle der Leere zu erfahren. Sie wollen weit weg sein von sich selbst, aber fallen in der Ferne auf sich zurück und erkennen, wie unglücklich sie eigentlich sind.
Doch dabei, und das ist die Kunst dieser Serie, werden die Reichen mit ihren Launen, Lastern und Lebenslügen nicht einfach zur Belustigung des Publikums blossgestellt, das sich so besser fühlen kann. Unter der Oberfläche lauert die Verzweiflung. Selbst der ältere Sohn der Südstaatler, der das, was erstrebenswert sei, mit den drei Worten «pussy, money, power» umschreibt, wird eine verstörende Erkenntnis haben.
Auch die Hotelangestellten in «The White Lotus» tun viel für ihr persönliches Glück. Es herrscht Gerechtigkeit im existenziellen Ausgeliefertsein, und die Armen sind genauso fehlbar. Diesmal ist es ein Wächter, dem eine thailändische Spa-Mitarbeiterin so den Kopf verdreht, dass er es mit der Sicherheit nicht mehr so genau nimmt.
Dass sie stoisch bleiben und sich ihre Sache denken über die Moden der Mächtigen, dafür genügt oft nur ein Blick. Die Serie reizt das klugerweise nicht aus.
Sie interessiert sich mehr dafür, wie die Gegensätze von Reichtum und Spiritualität zusammenfinden. Spiritualität wird von den Touristen exotisiert und konsumiert ohne Beschäftigung mit ihr. Man muss heute zwar nicht mehr nach Thailand fliegen, um sich in Selbstachtsamkeit zu üben. In westlichen Gesellschaften boomen fernöstliche Meditationspraktiken, dank denen man noch ein bisschen mehr um sich kreist.
Doch im thailändischen Luxusresort wird erst deutlich, wie der Kapitalismus die Sehnsucht nach Selbstverbesserung merkantilisiert. Erst in der fremden Kultur, so hoffen die Gäste, komme man sich selber näher. Diese Reise zu sich selbst kostet Geld.
Das Tauschgeschäft mit dem Sex
Die Menschen im Westen hätten ihre Verbindung zur Natur und zum Spirituellen verloren, belehrt ein buddhistischer Mönch einmal einen der ratsuchenden Reichen. «Alle wollen wegrennen vom Schmerz und suchen Spass. Aber man kann dem Schmerz nicht entkommen.»
Zum Spass gehört Sex. Sex gibt es gegen Geld, dieses Tauschgeschäft hat den Tourismus schon immer belebt. Michel Houellebecq hat darüber geschrieben. Die Reisenden aus dem Westen, die alles haben ausser ein erfülltes Sexleben, suchen in exotischen Weltgegenden nach sexueller Befriedung. Sie finden sie bei den Einheimischen, deren einziges Kapital ihr junger, unverbrauchter Körper ist.
In «The White Lotus» liegt das Sexangebot in der Luft wie die Aromen aus dem Spa, die man in der tropischen Schwere zu riechen glaubt. Dabei wird das, was zu einer Dienstleistung gehört, von Gästen und Angestellten individuell ausgelegt.
Verloren im falschen Leben
Auch in der dritten Staffel von «The White Lotus» ist jede Rolle hervorragend besetzt. Zwei Figuren aus den beiden ersten Staffeln tauchen wieder auf, eine von ihnen ist Natasha Rothwell, die Spa-Managerin des Hotels in Hawaii.
Die Schauspielerin Jennifer Coolidge, welcher die Serie einen Karriereschub verlieh, fehlt. Grossartig der deutsche Schauspieler Christian Friedel als Hotelmanager. Im thailändischen Gewand lässt er nie Verachtung spüren für seine neurotischen Gäste.
Die lieblichste Figur aber ist Chelsea, die junge Geliebte des grimmigen Fünfzigjährigen, bezaubernd gespielt von Aimee Lou Wood, die man aus «Sex Education» kennt. Ihre Währung ist ebenfalls ihre Jugend. Und ihre Naivität. Sie lebt nicht nur vom Geld ihres Gefährten. Sie will ihn vor seiner eigenen Finsternis retten.
Was die ganze Serie stets aufs Neue zeigt, hat diese junge Frau noch nicht realisiert: Alle hier, die Gäste und ihre Diener, sind unrettbar verloren in ihren falschen Leben.
The White Lotus, Staffel 3, neue Folgen jeweils ab Montag auf Sky,