Skandal war eine Theaterform für Claus Peymann, Erregung eine Kommunikationsform. Beim Berliner Begräbnis erinnert Hermann Beil an den «frech-fröhlichen Zuchtmeister».
Nimm das, Berlin: Auf der Ziehharmonika wird leise der Donauwalzer gespielt, später erklingt auch noch das Lied «Wien, Wien, nur du allein». Zu dieser Musik nieselt es sanft in der deutschen Hauptstadt. Claus Peymann, einer der letzten Theaterdompteure, hat am Freitag wahr gemacht, was schon zu Lebzeiten angekündigt war: «Ich inszeniere nur für den Augenblick, und irgendwann verziehe ich mich auf den Dorotheenstädtischen Friedhof.»
Seine letzte Ruhe wird er jetzt neben den Gräbern von Bertolt Brecht und George Tabori finden. Die Schauspieler Bernhard Minetti und Otto Sander liegen auch hier. Von den grossen deutschen Philosophen Hegel und Fichte ganz abgesehen. Selbst einer wie Peymann «ist hier nur einfaches Ensemblemitglied», wie sein Leib- und Lebensdramaturg, der ewig bescheidene Hermann Beil, bei der Trauerfeier sagt.
Im schlichten Sarg
«Theater, das bin ich!» ist so ein Peymann-Satz, der sich in den letzten Tagen zum letzten Mal bewahrheitet hat. Seit Peymanns Tod sind über zwei Monate vergangen, aber da gab es eben auch noch das Protokoll des Wiener Burgtheaters. Der prägende Hausherr der Jahre 1986 bis 1999 war Ehrenmitglied, und das heisst: Als Leichnam dreht man noch eine Ehrenrunde um das Haus am Ring. Aber nur innerhalb der regulären Spielzeit. Im Sommer ist Pause. Also warten. Dann, am Montag: Pomp, wie ihn nur das katholische und theaterselige Wien kann. Aufbahrung im schlichten schwarzen Holzsarg auf der Burgtheater-Feststiege. Blumen, Fackeln. Die Fahrt des Sargs Berlin–Wien und zurück. Insgesamt 1500 Kilometer, aber man stirbt eben nur einmal.
In Wien nahmen Menschenmassen Abschied von einem Mann, dem sie früher nicht verzeihen konnten, dass er angeblich norddeutsch «Schangse» sagte, statt das Wort «Chance» auf landesübliche Weise auszusprechen. Den landesüblichen Selbstbetrug hat Claus Peymann aufgedeckt, indem er 1988 Thomas Bernhards «Heldenplatz» auf die Bühne brachte und Österreich daran erinnerte, dass es am Nationalsozialismus mitschuldig war. Man hat ihm dafür eine Fuhre Mist vor die Staatsbühne gekippt.
«Du warst ein Verrückter»
Skandal war eine Theaterform für Claus Peymann, Erregung eine Kommunikationsform. Beim Berliner Begräbnis erinnert Hermann Beil an den «frech-fröhlichen Zuchtmeister», was nach allem, das man über Peymann so gehört hat, auch eine fröhliche Untertreibung sein kann. Leander Haussmann, Regisseur neben und unter Peymann, erzählt am Dorotheenstädtischen Friedhof ein paar Anekdoten: «Du warst ein Verrückter, auf dieser Ebene trafen wir uns. Was haben wir uns angebrüllt! Wie sind wir wütend auseinandergegangen, und wie haben wir uns wiedergetroffen!»
Bei der Trauerfeier herrscht eine friedvolle Stimmung. Junge Schauspieler des Berliner Ensembles, das Claus Peymann bis 2017 zuletzt geleitet hatte, sind da und in Ehren ergraute Weggefährten. Der weissbärtige 91-jährige Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer erklimmt die paar Stufen der nüchternen Friedhofskapelle, wo Peymanns Sarg steht, und beschwört noch einmal eine Urszene des Theatermachens. Wenn früher in Wien der Befehl kam: «Beil, Freyer, kommse mal!», dann ging es richtig los. Unter dem wolkenverhangenen Berliner Himmel geht es zur Mittagszeit am Freitag auch los.
Der Trauerzug setzt sich in Bewegung, nachdem Leander Haussmann mit erstaunlichem Können auf der Mundharmonika «Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus» gespielt hat. Der Weg zu Claus Peymanns Grab ist nicht weit, sein beruflicher Weg war lang. «Euer Theater ist tot!», hat der Regisseur 1966 seinen Kritikern einmal zugerufen. Damals, mit Peymanns Inszenierung von Peter Handkes «Publikumsbeschimpfung», begann eine Ära. Jetzt ist sie zu Ende. Die Freunde und Verehrer nehmen Abschied. Viele werfen Konfetti auf den Sarg.









