Ausländische Talente reüssieren in Japans Wrestling selten. Thekla Kaischauri aus Wien hat es geschafft – sie ist das aufregende «bad girl», das dem Frauen-Wrestling bisher gefehlt hat.
Seit fast zehn Minuten treten sich die Frauen ins Gesicht, schlagen sich in die Magengruben, ziehen sich an den Haaren. Aber irgendwann hat Thekla Kaischauri genug. Einem Schlag ihrer Gegnerin, einer schmächtigen Ringerin in buntem Kostüm, weicht sie aus, dann beugt sie ihren Oberkörper blitzschnell nach hinten, stellt ihre Arme kopfüber auf den Ringboden. «Oh, Spider!», rufen die Fans.
Dann greift Kaischauri von hinten durch die Beine ihrer Kontrahentin, drückt deren Rücken auf den Boden. Die Kämpferin, die eben noch attackiert hat, zappelt hilflos. Der Ringrichter zählt sie an: «Eins, zwei, drei. K. o.!» Die Glocke läutet, die Menschen im Saal jubeln, laute Musik dröhnt durch die Lautsprecher. Thekla Kaischauri reisst die Arme in die Höhe. Ihre muskulösen Beine und der Sixpack, umhüllt von einem schwarzen Outfit mit spinnenartigen Streben, schimmern im Scheinwerferlicht – es ist ihr Moment.
Thekla is HER. She just hit her Spider-Plex.
Not enough appreciation going around for Thekla. Show her some love! pic.twitter.com/JzHhc2BYj8
— Dark Puroresu Flowsion (@PuroresuFlow) January 4, 2024
«Das Gefühl, wenn du gewonnen hast, ist Wahnsinn», sagt sie Minuten später mit einem Wiener Akzent im Backstage-Bereich. Mit ihrem strahlenden Lächeln wirkt sie ganz anders als zuvor im Ring, wo sie als einschüchternde Draufgängerin auftrat. «Ich liebe Wrestling.» Dieses Showgeschäft, in dem Kämpferinnen und Kämpfer vorgeben, sich auf Leben und Tod zu bekämpfen, biete alles, was lautes Entertainment brauche: grosse Emotionen, Höhen und Tiefen, Fairness und Hinterhältigkeit.
Kaischauri ist der Shootingstar im Frauen-Wrestling
Dank Thekla Kaischauri ist das Wrestling in Japan, wo die Österreicherin seit kurz vor der Corona-Pandemie lebt, attraktiver geworden. Im ostasiatischen Land, das neben den USA und Mexiko zu den weltweit grössten Märkten für die kämpferischen Stunt-Shows zählt, ist die 30-Jährige ganz offensichtlich eine Bereicherung. Kaischauri zählt zu den Shootingstars im Frauen-Wrestling, einem boomenden Segment im traditionell von Männern dominierten Geschäft.
In der Korakuen Hall, einer rund 2000 Personen umfassenden Arena im nordöstlichen Zentrum von Tokio, tobt das Publikum regelmässig, wenn Kaischauri ihre Spinnenbewegungen im Ring zeigt, ihre fiesen Angriffe lanciert und die Kontrahenten mit ihren finsteren Blicken einschüchtert. In einer Sportart, in der der Auftritt das Wichtigste ist, hat Kaischauri eine Marktlücke gefunden: Eine böse Spinnenfrau wie sie hat das Frauen-Wrestling bis jetzt noch nicht gesehen.
In die bizarre japanische Wrestling-Szene passt die Figur besonders gut. An einem gewöhnlichen Samstagnachmittag ist das übliche Line-up von Stardom vertreten, der führenden Frauenliga des Landes: Die Charaktere reichen von einer Mischung aus Samurai und Geisha bis zu einer Art Barbie mit blonden Haaren und solariumgebräunter Haut. Was diese Frauen eint: Sie sind körperlich topfit, schlagen fest zu und beherrschen technisch anspruchsvolle Stunts.
Doch anders als in den USA oder Mexiko ist das Wrestling in Japan auch von Höflichkeit und sogar Niedlichkeit geprägt. «Viele unserer Kämpferinnen sind ein bisschen ‹kawaii›», sagt Kanae Imai, die bei Stardom für die PR zuständig ist. «Kawaii» bedeutet «niedlich». «Unsere Fans mögen das so.» Ehe die Kämpferinnen im Ring aufeinander losgehen, verbeugen sie sich meist. Und zwischendurch umarmen sie sich. «Respekt ist bei uns auch im Wrestling wichtig», sagt Imai.
Thekla Kaischauri zuckt mit den Schultern, als sie das hört. «Ich sage auf der Bühne gerne ‹Fuck you› und zeig den Leuten den Mittelfinger.» Ist sie das «bad girl», das der Branche gefehlt hat? Seit es Wrestling gibt, teilt sich dieses kaum subtile Universum in «Faces» und «Heels» ein, also gute und böse Typen. In der japanischen Kultur aber, die auch ausserhalb des Wrestlings ein auffallendes Faible für viel Süsses und beinahe Infantiles hat, hat es bisher kaum eine fiese Kämpferin gegeben. Thekla Kaischauri grinst: «Genau mein Ding.»
2・4 スターダム大阪大会バックステージにテクラが姿を見せる
「 みんなの近況を見に来たの。特に元チームメイトのね。(中略)心配しないで。必ず戻ってくるから。でも、ゆっくりと時間をかける。戻ってきたときに、100%の状態であることが重要だと思うから」#STARDOM pic.twitter.com/rxKvvG9BkZ
— スターダム✪STARDOM (@wwr_stardom) February 5, 2024
Die Tochter einer georgischen Mutter kam schon früh auf den Geschmack von Hardcore. Als Heranwachsende in Wien übte sie sich im Schwimmen, Turnen und Ballett, bald aber auch in Martial Arts. In der Pubertät spielte sie E-Gitarre, gründete ihre Punkband «Death Row Groupies». Während sie als Studentin gelegentlich durch Europa tourte, stiess sie auf Wrestling. «So etwas kannten meine Freunde und ich nicht. Als wir zu einer Show gingen, war ich geflasht. Es war wie Sport und Metal zusammen.»
In einer durchzechten Nacht trafen sie und ihre Freunde eine Abmachung: Sie alle würden mit Wrestling anfangen. «Ich war die Einzige, die es durchgezogen hat», sagt die heutige Profikämpferin nach ihrem K.-o.-Sieg in Tokio. Kaischauri, damals noch Studentin der transmedialen Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, suchte sich einen Wrestling-Verein, lernte die Grundtechniken des Abrollens, Greifens und Schlagens. Sie leckte Blut. Und wurde besser. Irgendwann erwähnte ihr Trainer, er habe Kontakte nach Japan.
Auf den ersten Trip nach Japan im Jahr 2017 folgten bald weitere, Ende 2019 war Kaischauri zum ersten Mal für ein längeres Trainingslager in Tokio. Neben ihren akrobatischen Fähigkeiten fiel auch die Persona auf, die Kaischauri sich ausgedacht hatte. «Das Bad-ass-Image passte mir. So war ich bei den ‹Death Row Groupies› auf der Bühne ja auch: laut, schrill, furchtlos.» Als die Pandemie Japan lahmlegte, blieb sie in Tokio und lernte Japanisch.
«Thekla zählt zu den wenigen Ausländerinnen, die ihre Karriere in Japan selbst begonnen haben», sagt die Managerin Kanae Imai im Backstage-Bereich, während in der Halle der nächste Kampf angekündigt wird. Auch wegen dieses Stallgeruchs wolle man Thekla bei Stardom weiter aufbauen und pushen. Dies wiederum könnte für die Österreicherin in Zukunft noch viel wert sein. Die Topverdienerinnen im Wrestling sollen schon heute jährlich eine Million Euro einnehmen.
«Da bin ich noch lange nicht», sagt Kaischauri nach dem Event. Für den Ruhm im Wrestling trainiert sie fast jeden Tag entweder im Kraftraum oder auf der Matte. Ebenso wichtig ist ihr Social-Media-Auftritt, den Kaischauri zurzeit noch selbst managt. Auf X (vormals Twitter) hat sie bis jetzt 27 500 Follower, auf Instagram 44 000, mittlerweile wird sie oft auf der Strasse angesprochen.
Ihr Auftreten war für Kaischauri nicht verhandelbar
Ihre Fans sind vor allem männlich und jenseits der Vierzig. In der Halle sind sie oft mit Objektivkameras ausgestattet. «Viele sind auf der Suche nach den ‹sneaky shots›», sagt die Wrestlerin. Dass sie auch sexualisiert werde, sei ihr klar. «Das gehört wohl dazu. Ich gewöhne mich dran.» In den kommenden Jahren dürften es ohnehin mehr Frauen werden. Seit kurzem fördert Stardom das Frauen-Wrestling durch landesweite Touren und häufigere TV-Übertragungen. «Kämpfende Frauen passen gut in die heutige Zeit der Geschlechtergleichheit», hat Kanae Imai, die PR-Managerin, am Rande des Rings gesagt.
Es gehe dabei schliesslich um Diversität. Wobei das in Japan so eine Sache ist. «Anfangs wollte man von mir, dass ich wie die anderen ein bisschen niedlicher werde», sagt Kaischauri. Ihr Bizeps zuckt. «Als Angestellte von Stardom habe ich meine Rechte abgetreten.» Ihr Auftreten sei für sie aber nicht verhandelbar gewesen. Eines Tages habe sie im Ring einfach den Mittelfinger gezeigt. Das Publikum war nicht empört, sondern jubelte. «Das gehört jetzt zu meiner Marke.»
In einem Land, das so viel Wert auf Gesten der Höflichkeit und Bescheidenheit legt, ist eine Karriere als Bösewicht schon eine Leistung. Wobei Thekla als «Heel» wohl nie der grösste Champion wird, da am Ende doch das Gute siegen muss. Als fieser Gegenpart macht sich die Wienerin in Japans Wrestling aber gerade unentbehrlich.