Mit Sendungen wie «TV Total» hat Stefan Raab das Unterhaltungsfernsehen neu erfunden. Nun will RTL mit ihm Kasse machen. Dass das Vorhaben zu floppen droht, ist nicht erstaunlich.
Es war ein epochales deutsches TV-Comeback, als sich Stefan Raab nach einer Fernsehabstinenz von neun Jahren zurückmeldete. In einer gigantischen Inszenierung präsentierte sich das frühere Pro-7-Sendergesicht ausgerechnet beim Erzkonkurrenten RTL. Und alle fragten sich: Kann das funktionieren? Oder allgemeiner: Welche Comebacks sind erfolgreich?
Aus dem Boxsport kennt man die Formel «They never come back», die nur von den wenigsten widerlegt werden konnte, unter ihnen von den Allergrössten: Floyd Patterson und Muhammad Ali. Wie aber sind die Erfahrungen in der Welt des Fernsehens?
«Ich mache eine kreative Pause», erklärt Harald Schmidt
Da gibt es Harald Schmidt, der mit seiner Show bei Sat.1 nach harzigem Start im Jahr 1995 Kultstatus erreichte. Als der amerikanische TV-Unternehmer und Milliardär Haim Saban die Sendergruppe im Jahre 2003 kaufte, stach Schmidt der Hafer. Er forderte vom neuen Besitzer massiv mehr Geld, obwohl er und seine Sendung bereits reichlich dotiert waren. Als dieser Auftritt nicht fruchtete, erhöhte der frustrierte Schmidt die wöchentliche Schlagzahl seiner Show von vier auf fünf Sendungen, weshalb er bereits nach wenigen Monaten «ausgepumpt» war, wie sein Sidekick Manuel Andrack später feststellte. «Ich mache eine kreative Pause», erklärte Harald Schmidt im Dezember 2003.
Ein Jahr später war er tatsächlich zurück, bei einem anderen Sender, bei der ARD. Doch mit seinem Comeback erreichte er nicht annähernd die frühere Flughöhe und Ausstrahlung. Auch als er den Krawallkomiker Oliver Pocher als Co-Moderator in seine Sendung holte, blieb der Erfolg aus. So kehrte man zum ursprünglichen Konzept zurück, ohne dass sich die Marktanteile erholten.
So entschied sich Schmidt 2011, zu den Wurzeln – also zu Sat.1 – zurückzukehren, mit seiner alten, früher von so vielen geliebten «Harald Schmidt Show». Doch auch dieses Comeback erwies sich als Totalflop, weshalb der Sender bereits nach einem guten halben Jahr den Stecker zog. Es folgte ein letzter Versuch beim Pay-Sender Sky, wo die Quoten schon bald gegen 0,0 Prozent tauchten. Am 13. März 2014 wurde dort die allerletzte «Harald Schmidt Show» ausgestrahlt, vor leeren Rängen.
Die verlorene Leichtigkeit des Thomas Gottschalk
Oder nehmen wir Thomas Gottschalk. Er führte von 1987 bis 2011 in 151 Sendungen durch «Wetten, dass . . .?» und wurde so zum ultimativen TV-Star. Später versuchte er ein Comeback mit «Gottschalk live», einer halbstündigen Vorabendshow in der ARD, in der er seine Talk-Kompetenz ausspielen wollte. Doch bereits nach einem halben Jahr war dieses Projekt Geschichte. Die Sendung wurde wegen des mangelnden Zuschauerinteresses und peinlicher Unkonzentriertheiten des Moderators sang- und klanglos eingestellt.
Seither tingelt Gottschalk durch eine Vielzahl von TV-Spielshows, in denen sich zumeist ältere Herrschaften zum Gaudi des Publikums mit Spielen lächerlich machen, die man von Kindergeburtstagen her kennt. In diesen wirkt der einst grossartige, souveräne und witzige Thomas Gottschalk je länger, desto ungelenker und frustrierter. Mit drei «Wetten, dass . . .?»-Nostalgiesendungen kehrte Gottschalk kurzfristig zum Erfolg zurück: Die erste Sendung erreichte 2021 rund 14 Millionen Zuschauer, aber bereits 2023 war Schluss.
In seinem neuen Buch, seinem dritten, mit dem Titel «Ungefiltert» ist die frühere Leichtigkeit des langjährigen TV-Sonnyboys weggefegt. Er lässt sich über den Lauf der Welt und seine weggeschmolzene Prominenz aus, was ihm einiges an Häme und Kritik eingetragen hat.
Stefan Raab machte mit Pro 7 einen ganzen Sender gross
Jetzt versucht es also Stefan Raab mit einem Comeback. Als er sich bereits im Alter von 50 Jahren vom Bildschirm verabschiedete, sorgte dies für Verblüffung. Raab war der mit Abstand kreativste Fernsehmacher Deutschlands. Seit 1999 war er mit dem von ihm moderierten «TV Total» eine Ausnahmeerscheinung. Mehrmals pro Woche ausgestrahlt, führte die Show einen ganzen TV-Sender – Pro 7 – in neue Dimensionen.
Zudem entwickelte Raab eine ganze Reihe von irrwitzigen Ideen, wie die «Wok-Weltmeisterschaft» oder das «TV Total Turmspringen», die alle erfolgreich waren. Bei «Schlag den Raab» zeigte er mehr Engagement, Körpereinsatz und Ehrgeiz – und dies über die körperliche Schmerzgrenze hinaus –, als man es je bei einem anderen Fernsehmoderator erlebt hatte. Dafür holte er sich die Hochachtung von Millionen Zuschauern, die ihm stundenlang und oft bis weit nach Mitternacht treu blieben.
Und dann war Raab weg, komplett weg. Während Jahren machte er sich unsichtbar und sorgte dafür, dass er selbst für die neugierigen Boulevardmedien unerreichbar war. Er mied sogar das Einkaufen im Supermarkt, wie er später erklärte. Doch irgendwann kribbelte es. Vorsichtig tastete er sich wieder ans Medium heran. Er entwickelte mehrere TV-Formate, die er mit seiner eigenen Firma produzierte. Die meisten davon erwiesen sich als Flops und wurden von der Kritik verrissen. Tiefpunkt war sein schlecht produziertes RTL-EM-Studio vom letzten Sommer.
8 Millionen Zuschauer am Schirm
Am 14. September 2024 war er endlich wieder da. Deutschlands führender privater TV-Sender RTL zelebrierte das Ereignis mit einer gigantomanischen Show, bei der der Protagonist erst nach mehreren Stunden auftreten sollte. Als Eröffnungsakt hatte man sich allerdings nur die Wiederholung der Wiederholung einfallen lassen, nämlich den dritten Boxkampf zwischen Stefan Raab und der bereits beinahe zwanzig Jahre zuvor zurückgetretenen Weltmeisterin Regina Halmich.
Doch da die professionell geschürte Erwartungshaltung über die mediale Auferstehung von Stefan Raab ins Unermessliche gestiegen war, wurde dieser atavistische Faustkampf zwischen einem älteren Mann und einer nicht mehr ganz jungen Frau zum erwarteten Publikumshit. In der Spitze waren bis zu 8 Millionen Zuschauer am Schirm. Sie erlebten einen fitten Stefan Raab, der zum dritten Mal als Verlierer aus dem Ring ging, was im Rahmen dieser Inszenierung irrelevant war.
Anschliessend stellte sich Raab einer improvisiert wirkenden Pressekonferenz, in der er die Pläne für sein Comeback vorstellte. Da zuvor durchgesickert war, dass er sich bei RTL einen Fünfjahresdeal mit einem Produktionsvolumen von rekordhohen 90 Millionen Euro geangelt hatte, waren die Erwartungen ebenso masslos. Was würde der originellste und überraschendste TV-Macher nach seiner Absenz wohl anbieten? Die verblüffende Antwort: eine wöchentliche Show auf dem Streaming Sender RTL+ mit dem gewöhnungsbedürftigen Titel «Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab».
«Um nicht einzuschlafen, hab’ ich das Bügelbrett aufgebaut»
RTL+ ist ein Streaming-Sender, dessen Programme kostenpflichtig sind. Angefacht vom Erfolg des Branchenprimus Netflix und aufgrund sinkender Werbeeinnahmen ist eine Vielzahl solcher Produkte entstanden, das Überangebot hat bei einigen bereits zu Milliardenverlusten geführt. Um Erfolg zu haben, braucht es exklusive Inhalte, die Abonnenten anlocken.
Raabs neue Show war für Kritiker jedoch eine Enttäuschung. Es ist ein Kuddelmuddel verschiedenster alter Formate. Am Anfang gibt es Anklänge an «TV Total» mit kurzen Clips auf Knopfdruck, im zweiten Teil lehnt man sich an «Schlag den Raab» und an den Klassiker «Wer wird Millionär?» an. Der «Spiegel» frotzelte denn auch: «Was macht der Sender? Verteidigt die Einfallslosigkeit des Entertainment-Profis.» Und der «Bild»-Kommentar meinte: «Um nicht einzuschlafen, hab’ ich am Mittwoch irgendwann das Bügelbrett aufgebaut.»
Die Einschaltquote war denn auch alles andere als berauschend. Nur knapp 800 000 Zuschauer erreichte man mit der ersten Sendung, in der zweiten Woche waren es halb so viele und in der dritten noch 350 000. Zum Vergleich: Die Trash-Sendung «Sommerhaus der Stars» holte auf dem gleichen Kanal 950 000 Zuschauer. Damit fiel Raab auch aus den Top Ten aller Streaming-Sender. Das sind Ergebnisse, die für den erfolgsverwöhnten Stefan Raab wie eine Ohrfeige wirken müssen.
Bei RTL+ gab man sich trotzdem verbissen optimistisch. Der RTL-Deutschland-Chef Stephan Schmitter erklärte bewusst schwammig, die neuen Abo-Zahlen seien «erkennbar sechsstellig». Es handelt sich um Abos, die jeden Monat gekündigt werden können. Das Ziel, mit dem Raab-Comeback einen ganzen Sender auf ein neues Niveau zu bringen, scheint also bereits gescheitert. Wohl deshalb wurde schnell nachgeschoben, Raab werde im nächsten Jahr auch ins Hauptprogramm von RTL geschickt, wo man ihn dann gratis sehen kann. Denn irgendwie will RTL ja das gewaltige Investment kapitalisieren. Aber dazu wären innovative Sendeformate notwendig, bessere jedenfalls, als das bisher Abgelieferte.
Welche Lehren sind aus diesen wenig geglückten Comeback-Versuchen zu ziehen? Wer einen über Jahre «gelernten Sendeplatz» verlässt, darf nicht damit rechnen, dass er nach einer als «kreativ» angekündigten Pause – die meist gar nichts Kreatives hervorbringt – fugenlos ansetzen kann. Verschärft wird das Problem, wenn man nicht nur den Sendeplatz, sondern den Sender wechselt. Verwegen ist es, wenn man glaubt, man sei als grosser TV-Star eine derart starke Marke, dass einem die Fans an einen neuen Ort folgen. Vielmehr geht man in unserer atomisierten Medienlandschaft schnell verloren.
Wer eine erfolgreiche Sendung hat, sollte dankbar sein und möglichst lange daran festhalten. Denn ein zweiter Treffer ist nie garantiert. Die besten TV-Leute in den USA, etwa David Letterman, sind sich dessen bewusst: Sie bleiben viel länger auf Sendung als ihre Kollegen in Deutschland oder der Schweiz, von denen viele mit irgendwelchen Begründungen frühzeitig abhauen. Mit Ausnahme von Günther Jauch, der seit 25 Jahren eisern an «Wer wird Millionär?» festhält. Er soll pro Folge 125 000 Euro kassieren, und davon produziert er zwei an einem Tag.
Alle anderen wirken mit dem Aufguss früherer Erfolgsformate schnell aus der Zeit gefallen. Die Raab-Saga ist dafür nur das jüngste Beispiel.
Roger Schawinski, promovierter Ökonom, entwickelte beim Schweizer Fernsehen in den 1970er Jahren den «Kassensturz». Später leitete er Sat. 1 und gründete mit Radio 24 und mit Tele Züri das erste Privatradio beziehungsweise das erste Privatfernsehen der Schweiz.