In den USA darf erstmals in einer Studie getestet werden, ob Tierorgane die kaputten Nieren von Menschen ersetzen können. Obwohl solche Transplantationen bislang meist scheiterten. Und viele Risiken können die Wissenschafter immer noch nicht ausschliessen.
Eine echte Chance hat David Bennett wohl nie gehabt, so viel lässt sich im Nachhinein sagen. Dazu war er zu früh dran. Das Herz des 57-Jährigen hatte den Dienst eingestellt, schon seit zwei Monaten hielt ihn eine Maschine am Leben. Für ein künstliches Organ war er zu krank, auch für eine normale Herztransplantation kam er nicht infrage. Sechs Monate, mehr Lebenszeit wurde ihm von keinem Experten gegeben. Als seine Chirurgen ihm anboten, ihm ein Schweineherz einzupflanzen, zögerte er nicht lange: Er sagte Ja. Am 7. Januar 2022 wurde ihm im Spital der Universität Maryland als erstem Menschen das Herz eines Tieres eingepflanzt. Er lebte nur noch 60 weitere Tage.
Die Ärzte hatten bei den Vorbereitungen des fremden Organs ein tödliches Virus übersehen. «Die Gefahr war eigentlich bekannt», sagt der Tiergenetiker Eckhard Wolf, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München selbst versucht, eine sichere Verpflanzung von Schweine-Organen in den Menschen, eine sogenannte Xenotransplantation, möglich zu machen. Die Chirurgen hatten einen tödlichen Fehler gemacht.
Fünf Organe wurden verpflanzt, nur ein Patient hat überlebt
Fünf weiteren lebenden Menschen wurden seitdem in den USA Organe von Schweinen eingepflanzt. Ein Herz und vier Nieren. Am Leben ist nur noch eine einzige Versuchsperson, die 53-jährige Towana Looney, die am 25. November vergangenen Jahres eine neue Niere bekam. Bei dieser ernüchternden Bilanz spielt zwar sicherlich eine Rolle, dass die Mediziner die Therapie bislang nur extrem kranken, wenn nicht gar halbtoten Patienten angeboten haben. Aber kann man damit Menschen auch langfristig helfen? Das kann bislang noch niemand sagen.
Und trotzdem hat die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA zwei Unternehmen Anfang Februar die Erlaubnis erteilt, Patienten im Rahmen einer klinischen Studie die Nieren von Schweinen einzupflanzen. Die United Therapeutics Corporation wird zunächst 6 Patienten behandeln, will aber später die Probandenzahl auf 50 erhöhen. Die Konkurrenz, eGenesis, will mit 5 Versuchspersonen beginnen. Voraussetzung für alle Patienten ist, dass sie mindestens sechs Monate Blutwäsche hinter sich haben und sonst so weit gesund sind.
Hat die Technologie tatsächlich den Stand erreicht, dass man ein solches Risiko verantworten kann? Könnten Organe von Tieren für die rund 1000 Schweizer und mehr als 6000 Deutschen, die bislang vergeblich auf ein neues Organ warten, womöglich bald eine realistische Alternative sein?
«Aus meiner Sicht ist die Wissenschaft so weit»
«Aus meiner Sicht ist die Wissenschaft so weit», sagt Eckhard Wolf. Sein Optimismus gründet sich unter anderem darauf, dass die Ärzte glauben, aus dem Desaster mit David Bennett gelernt zu haben. Im Blut der Spendertiere wird inzwischen nicht mehr nur nach den Viren selbst, sondern auch nach körpereigenen Antikörpern gegen sie gefahndet. Bei einer solchen Suche würde sich selbst ein versteckter Erreger verraten. Zudem sorgt ein laut Wolf «mikrobiologischer Hochsicherheitstrakt» dafür, dass die Schweine völlig isoliert und möglichst virenfrei aufwachsen.
eGenesis schaltet sogar durch die Stilllegung von 59 Genen sogenannte Retroviren aus, die sich im Erbgut von Schweinen verbergen. Die sind zwar bislang noch nie bei einem Transplantierten zu einem Problem geworden, aber auch David Bennetts porcines Zytomegalovirus hatte zuvor noch keinem Menschen geschadet. Bis es an allen natürlichen Schutzmechanismen vorbei in seinen Körper eingepflanzt wurde.
Alle infektiologischen Gefahren kann man jedoch nicht ausschalten: In den Schweinen gibt es Hunderte von unterschiedlichen Viren, die man vor der Transplantation nicht alle entfernen kann. «Es kann sein, dass diese Erreger harmlos sind, aber letztlich werden das erst die Studien zeigen», sagt der Virologe Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Zudem besteht das geringe Risiko, dass sich in den Tierorganen noch unbekannte Erreger verstecken, die man deshalb weder neutralisieren noch aufstöbern kann.
Auch menschliche Spenderorgane sind nicht immer virenfrei
Ebenso zur Risikobilanz gehört: Auch bei der Transplantation von menschlichen Organen werden manchmal virale Krankheiten übertragen: HIV, Hepatitis oder Tollwut beispielsweise. Teilweise weil die Erreger in der Eile, die die Operation erfordert, übersehen werden. Langfristig, glaubt Joachim Denner, könnten tierische Organe deshalb sogar die sicherere Alternative sein.
Tim Andrews hat all das in Kauf genommen, er ist der erste Teilnehmer der neuen Studien. Ihm wurde am 25. Januar eine Schweineniere eingepflanzt. Mehr als zwei Jahre lang hing er dreimal wöchentlich an einer Dialysemaschine. Er sass im Rollstuhl, litt ständig unter Müdigkeit und Übelkeit. Auf eine menschliche Niere hätte er mindestens fünf bis zehn Jahre gewartet. «Es ist, als hätte ich einen neuen Motor, der Energie in mich hineinpumpt», schwärmt er von seiner Schweineniere in der «New York Times». Inzwischen ist er wieder zu Hause.
Die zweite grosse Gefahr, der er sich ausgesetzt hat, versuchen beide Firmen ebenfalls mit genetischen Tricks zu bekämpfen. Zellen von tierischen Organen tragen auf ihren Oberflächen Zuckermoleküle, die sogenannten Glykoantigene. Sie werden vom Immunsystem erkannt und lösen innerhalb von Minuten eine zerstörerische Attacke der Abwehrzellen aus. Die drei Gene, die für die Bildung dieser Moleküle verantwortlich sind, haben die Forscher ebenfalls ausgeschaltet.
Fremde Gene sollen die Abwehrreaktion bremsen
Gleichzeitig wurden noch sieben zusätzliche menschliche Gene in die Zellen eingepflanzt. Denn es lässt sich nie vollständig verhindern, dass die Abwehrzellen das Organ als fremd identifizieren. Der Grund: Es gibt neben den Glykoantigenen noch andere Kennzeichen für das Immunsystem, um eigenes von fremdem Gewebe zu unterscheiden. Die Reaktion fällt zwar weniger heftig aus, kann aber dennoch die Niere kosten.
Die entsprechenden Antworten können nur Studien wie die jetzt angelaufenen liefern, da ist er sich mit Denner und Wolf einig. «Bei einer klinischen Studie ist alles geplant, man hat die Ruhe, sich auf Probleme vorzubereiten oder sie sogar auszuschliessen», sagt Joachim Denner. Im Vergleich zu den bisherigen Versuchen mit einzelnen verzweifelten Patienten sei das die sicherere Alternative. Und wenn doch etwas schiefläuft, bleibt anders als bei einem Herztransplantierten noch ein Ausweg: Eine Niere kann man auch dauerhaft ersetzen. Der Patient kann immer noch zurück an die Dialyse.
Die eingepflanzten sogenannten Transgene sollen als eine Art lokale Bremse für das Immunsystem im Organ wirken, so dass der Angriff der Abwehrzellen weniger heftig ausfällt. Zusätzlich werden noch sogenannte Immunsuppressiva gegeben, Medikamente, die im ganzen Körper die Abwehrreaktion unterdrücken. Andere Transgene verhindern, dass menschliches Blut zu Klumpen gerinnt, wenn es durch die Schweinegefässe fliesst.
Das Problem, sagt Wolf: Es ist nicht immer Verlass darauf, dass die Transgene auch funktionieren. Das hat sich zum Beispiel bei Lawrence Faucette, dem zweiten Menschen mit einem Schweineherzen, gezeigt. Zunächst war bei ihm alles nach Wunsch verlaufen. Doch zwei Monate nach der Operation wurde das Organ des 58-Jährigen doch noch abgestossen, mit tödlichen Folgen. In manchen Zellen des Schweineherzens waren die Transgene nicht aktiviert worden.
Geklonte Schweine sind unzuverlässige Spender
Ein solcher Fall sei auch bei den aktuellen Studien nicht auszuschliessen, sagt der Tiergenetiker Wolf. Denn in den Vereinigten Staaten werden ausschliesslich Organe von geklonten Tieren verwendet. Der Prozess des Klonens bringe jedoch die Steuerung im Zellkern durcheinander. Er verändert die Muster der chemischen Modifikation der DNA, die bestimmen, ob und wann Gene an- und abgeschaltet werden. «Ich würde nie einem Menschen ein Organ von einem geklonten Schwein einpflanzen», sagt Eckhard Wolf.
Er selbst bedient sich in München eines Tricks: Er lässt die geklonten Tiere sich noch einmal geschlechtlich vermehren. Dadurch werden die Muster wieder sortiert.
Es gibt noch viele weitere unbeantwortete Fragen: Wird beim Ausschalten der Retroviren-Gene das echte Schweine-Erbgut beschädigt? Welche Patienten sind am besten für eine Xenotransplantation geeignet? Womöglich sei den Patienten sogar am besten damit gedient, wenn man manche Organe gar nicht einpflanze, sondern sie nur vorübergehend und von aussen mit dem Patienten verbinde, sagte der Transplantationschirurg Philipp Felgendreff von der Klinik für Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Organe würden dann dazu dienen, die Zeit zu überbrücken, bis ein menschliches verfügbar sei.
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