Die Renditen langlaufender Treasury-Papiere bleiben hartnäckig hoch, obwohl eine Reihe von Faktoren dämpfend wirken sollte. Was steckt dahinter? Und worauf müssen sich Investoren vorbereiten?
Die Zinsen für 10-jährige US-Staatsanleihen steigen seit gut sechs Wochen, obwohl sie angesichts einer sich abkühlenden Wirtschaft, der aktivierten Schuldenobergrenze sowie grossen konjunkturellen und geopolitischen Unsicherheiten eigentlich fallen müssten. In den USA wirkt jedoch bereits seit einiger Zeit ein toxischer Cocktail verschiedener zinstreibender Zutaten, der mittelfristig nur mit Hilfe der Notenbank teilweise entschärft werden kann – wenn überhaupt.
Die Zinsen für langlaufende Treasury Notes müssten eigentlich fallen, da seit Januar dieses Jahres aufgrund der Schuldenobergrenze («Debt Ceiling») bei ausstehenden Schulden von 36’000 Mrd. $ keine neuen Treasuries emittiert werden dürfen. Damit wird das Angebot am Markt massiv reduziert, was kursstützend und damit zinsdämpfend wirkt.
Zudem werden auslaufende US-Staatsanleihen mehrheitlich mit der Ausgabe von kurzfristigen T-Bills refinanziert, was das Angebot von Papieren mit längerer Laufzeit zusätzlich reduziert und damit das lange Ende der Zinskurve nach unten drückt. Schätzungen zufolge hat die stark erhöhte Emission von T-Bills anstelle von langfristigen Treasury Notes und Bonds in den vergangenen 18 Monaten den Zins für 10-jährige US-Staatsanleihen um rund 100 Basispunkte gedrückt.
T-Bills sind «geldähnlicher» als langlaufende Staatsanleihen
Diese Verschiebung der Emissionstätigkeit zum kurzen Ende der US-Zinskurve hin entspricht einer Erhöhung der Liquidität im Finanzsystem, da T-Bills «geldähnlicher» sind als langlaufende Staatsanleihen.
Damit greift das US-Schatzamt (Treasury) aber in den Hoheitsbereich der Notenbank (Fed) ein und kompensiert teilweise die liquiditätsdämpfenden Effekte der Bilanzschrumpfung («Quantitative Tightening» oder QT) des Fed. Trotzdem ist eine derartige Manipulation der Zinskurve durch das Treasury eine kurzfristig sehr wirksame Methode, um die Zinsen zu drücken.
Der jüngste Anstieg der Rendite 10-jähriger Treasury Notes auf zeitweise über 4,5% ist umso erstaunlicher, als die zuvor erwähnten stark zinsdämpfenden Faktoren sowie eine sich zunehmend abkühlende Konjunktur in den USA offenbar von den Märkten ignoriert werden.
Aber weshalb? Die Erklärung liefert ein bereits seit längerer Zeit wirkender Cocktail aus für die Bondmärkte toxischen Zutaten, der mittelfristig zu massiven Verdauungsbeschwerden im Finanzsystem und auch an den Aktienmärkten führen dürfte.
Zu diesen Zutaten zählen der ungebremste Anstieg der US-Haushaltsdefizits auf jetzt schon 6,5% des BIP im laufenden Jahr (und einem von Moody’s erwarteten weiteren Anstieg auf 9% des BIP bis ins Jahr 2035), eine hartnäckige Inflation und insbesondere explodierende Inflationserwartungen. Die Inflationserwartungen für die nächsten zwölf Monate sind gemäss der monatlichen Umfrage der Universität von Michigan auf 7,3% angestiegen und jene für die nächsten fünf Jahre auf 4,6%. Die Lage gerät für das Fed immer mehr ausser Kontrolle. Inflationserwartungen haben einen starken Einfluss auf die von Investoren geforderten Risikoprämien (in Form höherer Renditen) bei langlaufenden Staatsanleihen.
Wie erwähnt werden die negativen, zinstreibenden Auswirkungen dieser Faktoren auf den Treasury-Markt im Augenblick noch stark gedämpft und verzögert durch die bis August geltende US-Schuldenobergrenze und die Refinanzierung der Schulden durch T-Bills statt T-Bonds. Der trotzdem erfolgte Zinsanstieg ist deshalb ein Zeichen akuter markttechnischer Schwäche und eines gestörten Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage am Markt.
Man beachte: Die jüngste Herabstufung des Kreditratings für die USA durch die Ratingagentur Moody’s (von Aaa auf Aa1) hat hier nur eine untergeordnete Bedeutung und war keine grosse Überraschung. S&P und Fitch hatten die Bonitätseinstufung der USA bereits in den Jahren 2011 (S&P) und 2023 (Fitch) auf AA+ herabgesetzt.
Bald werden weitere Zinstreiber wirksam
Sehr bald werden nun aber noch weitere Zinstreiber wirksam. Insbesondere dürfte die für den August erwarte Anhebung der Schuldenobergrenze zu einer Flut an neu emittierten Staatsanleihen führen. Es werden innerhalb von zwei bis drei Monaten bis zu 1000 Mrd. $ erwartet.
Damit holt das Schatzamt einfach den seit Januar aufgestauten Finanzierungsbedarf auf einen Schlag nach, wie immer bei einer Anhebung der Schuldenobergrenze. Die bisherige Finanzierungslücke konnte über Steuereinnahmen und Reserven des Schatzamts beim Fed (dem Treasury General Account, TGA) überbrückt werden. Diese Reserven werden aber bis im August, spätestens September, erschöpft sein.
Ferner muss ab dem dritten Quartal dieses Jahres mit einem stark steigenden globalen Refinanzierungsbedarf sowohl von Staats- wie auch Unternehmensanleihen gerechnet werden. Viele dieser Gelder wurden zu niedrigen Zinsen während der Pandemie aufgenommen und werden nun fällig.
Diese sogenannte «Debt Maturity Wall» kommt damit näher, was bis weit ins nächste Jahr hinein zu stark erhöhtem Refinanzierungsbedarf führt und tendenziell zinstreibend wirkt. Eine genaue Quantifizierung ist hier allerdings schwierig. Trotzdem sollten die möglichen Effekte nicht unterschätzt werden. Sie dürften global spürbar werden und damit auch in den USA zumindest temporär zu Stress an den Anleihenmärkten führen. Insbesondere auch deshalb, weil hier die hohen Bestände an T-Bills viel häufiger refinanziert werden müssen als länger laufende Anleihen.
Zusammengefasst gilt somit: Es wirkt sehr bald ein Cocktail bestehend aus der Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA, der Angst vor weiter massiv steigender Verschuldung und höherer Inflation sowie die globale «Debt Maturity Wall» zinstreibend auf US-Staatsanleihen. Die praktizierte Notlösung des Schatzamts, nur noch T-Bills statt Bonds und Notes zu emittieren, ändert daran nicht viel und kann ohnehin nicht ewig fortgesetzt werden.
Nur das Fed kann Abhilfe schaffen
In diesem Umfeld dürfte es nur im Fall einer schnellen und starken konjunkturellen Abkühlung oder bei einem beherzten Eingreifen des Fed zu einer deutlichen Entspannung am Markt für US-Staatsanleihen kommen. Eine konjunkturelle Abkühlung oder gar eine Rezession hätten dabei aber nur temporäre Wirkung, da in diesem Fall die Steuereinnahmen wegbrechen und damit das Staatsdefizit noch grösser wird.
Es bleibt somit mittel- bis längerfristig letztlich nur die Notenbank mit massiven Aufkäufen von Staatsanleihen (Quantitative Easing, QE) und damit genau dem Gegenteil von dem, was das Fed derzeit tut. Lediglich den kurzfristigen Leitzins, die Fed Funds Rate, zu senken, würde dagegen gar nichts bringen, aber die Inflationserwartungen weiter anheizen.
Aufkäufe von US-Staatsanleihen führen aber zu einer Ausweitung der Geldmenge und damit potenziell steigendem Inflationsdruck, insbesondere in einem Umfeld von ohnehin hartnäckiger Teuerung und steigenden Inflationserwartungen. Ein gross angelegtes QE-Programm ist damit zwar sehr wirksam und wird kurzfristig helfen, ist aber ein Spiel mit dem Feuer. Die Zeiten des Gelddruckens ohne Nebenwirkungen, die in den Jahren seit der Finanzkrise von 2008 bis vor kurzem geherrscht hatten, sind vorbei.
Das Fed und die Finanzmärkte stehen damit vor schwierigen Zeiten. Interessanterweise scheinen aber die drohenden zinsbedingten Gefahren und auch eine mögliche Rezession an den Märkten für Aktien und für Unternehmensanleihen nicht im geringsten eingepreist zu sein. Die Stimmung unter den Investoren ist zwar nicht euphorisch, aber die Preise notieren nahe ihrer Allzeithochs.
Das ist bemerkenswert. Woher soll das Geld für weitere Staatsanleihen- und Aktienkäufe kommen, wenn das Fed nicht mit Gelddrucken mithilft? Falls das Fed aber mithelfen sollte, insbesondere ab August, dann dürften die Märkte – Anleihen und Aktien – zumindest für eine gewisse Zeit sehr positiv reagieren.
Es ist ratsam, auf Warnsignale zu achten
Es ist deshalb durchaus ratsam, auf Warnsignale an den Märkten zu achten. Ein solches ist beispielsweise die Differenz zwischen Geldmarktzinsen (Secured Overnight Financing Rate, SOFR) und Fed-Funds-Zinsen. Sie springt seit Anfang April immer häufiger in den Bereich von 5 bis 15 Basispunkten, was ein Zeichen von Liquiditätsstress am Geldmarkt ist.
Die Gründe sind zwar nicht immer offensichtlich. Aber die SOFR /Fed Funds Spreads reagieren indirekt auf steigende langfristige Zinsen, Geldflüsse (beispielsweise Steuerzahlungen an das Schatzamt), Hedge-Fund-Aktivitäten (Basis Trade) und Kapitalabflüsse ins Ausland – Letzteres insbesondere nach Japan im Fall der Auflösung des Yen-Carry Trades. Ein wieder stärkerer Yen gegenüber dem Dollar wäre hier ein Warnsignal.
Somit sollte die weitere Zinsentwicklung bei den US-Staatsanleihen, der Yen/Dollar-Kurs, die japanischen Zinsen und die US-Geldmärkte genau beobachtet werden, auch im Hinblick auf die globalen Märkte für Aktien und Unternehmensanleihen.
Beat Thoma
Beat Thoma ist Chief Investment Officer und Leiter des Investment Office bei Fisch Asset Management in Zürich. In seiner Rolle ist er verantwortlich für die Erarbeitung und Umsetzung der Anlagepolitik. Vor seinem Eintritt bei Fisch Asset Management im Jahr 2000 war er 14 Jahre lang bei der UBS und der Security Pacific Bank in Genf verantwortlich für den Handel und Verkauf von Wandelanleihen. Thoma publizierte Research zu Börsenzyklen sowie zwei Bücher zur Chaostheorie und dynamischen Systemen an den Finanzmärkten. Er verfügt über einen Abschluss in Mathematik und Ökonomie der Universität Zürich.