Der Flug eines Airbus A220 der Swiss endete kurz vor Weihnachten statt in Zürich unplanmässig in Graz. Die Triebwerke scheinen eine Achillesferse dieses Flugzeugtyps zu sein
Vier Tage nach der ausserplanmässigen Landung eines Airbus A220 der Swiss in Graz wird deutlich, dass es sich um eine echte Notlandung gehandelt hat. Diese erfordert im Gegensatz zur relativ häufig vorkommenden Sicherheitslandung ein unmittelbares Handeln der Crew, etwa nach Stillstand aller Triebwerke, Feuer an Bord oder Ausfall von Steuerelementen.
Dass die Ursache für diesen Notfall, ein Triebwerksproblem und anschliessend Rauch in der Kabine und im Cockpit, eine äusserst ernste Situation für die Cockpit- und Kabinencrew war, wird auch durch die Tatsache deutlich, dass der Airbus nach dem Aufsetzen in Graz nicht noch zum wenige hundert Meter entfernten Vorfeld rollte. Stattdessen wurde mitten auf der Landebahn mit Notrutschen evakuiert. Dabei konnten 74 Passagiere und fünf Crewmitglieder das Flugzeug verlassen.
Bei dem Notfall zogen sich mindestens zehn Menschen an Bord, sowohl Passagiere als auch Mitglieder der Besatzung, leichtere Verletzungen zu. Mindestens ein Mitglied der Kabinencrew erlitt aber schwere Verletzungen und befand sich am Freitag noch auf der Intensivstation eines Grazer Hospitals. Ob der Flugbegleiter sich die Verletzungen durch den Rauch oder aber durch andere Faktoren zugezogen hat, ist noch unklar.
Die Swiss gab nun bekannt, dass technische Probleme mit einem Triebwerk des A220-300 die Ursache für den Rauch im Flugzeug und die damit verbundene Notlandung war, ohne die Art dieser Probleme genauer zu spezifizieren.
In der Schweiz werden dabei Erinnerungen an den fatalen Absturz einer Swissair-MD-11 am 2. September 1998 über dem kanadischen Halifax wach. Damals war ein in der Verkabelung der Bordelektronik entstandener Schwelbrand womöglich nicht schnell genug als massives Problem entdeckt worden. Das Feuer breitete sich anschliessend aus, es entstand Rauch in Cockpit und Kabine. Noch auf dem Weg zum angesteuerten Notlande-Flughafen Halifax fielen alle Cockpit-Instrumente des Dreistrahlers aus. Die Maschine stürzte bei Nacht in den Atlantik, 229 Menschen an Bord starben.
Probleme mit den Triebwerken sind bekannt
Beim A220-300 auf dem Rückflug von Bukarest nach Zürich war allerdings kein Feuer entstanden, sondern es gab Probleme mit einem Triebwerk, wodurch wohl Rauch durch sogenannte Zapfluft des Triebwerks in die Klimaanlage der Maschine und damit in die Kabine drang.
Probleme mit dem verwendeten Triebwerk des US-Herstellers Pratt&Whitney im A220 sind allerdings weder bei der Swiss noch bei weiteren Fluglinien eine Seltenheit. Auch andere Flugzeugtypen, in den sogenannte «Getriebe-Fans» der Motorenfamilie von Pratt&Whitney eingebaut sind, hatten in den vergangenen zehn Jahren teilweise massive Schwierigkeiten. Insgesamt sind acht Ausbaustufen der Triebwerksfamilie von P&W 1519G bis 1525G in unterschiedlichen Flugzeugtypen weltweit im Einsatz
Die hochmodernen Turbinen PW-1524G-3 im Swiss-A220-300 oder vom Typ PW-1524G im kleineren Airbus A220-100, der ebenfalls bei der eidgenössischen Airline im Einsatz ist, sind zwar höchst sparsam im Kerosinverbrauch. Aber möglicherweise wurde dabei auch bis aufs letzte Quentchen Effizienz hin auf Kosten der Zuverlässigkeit entwickelt.
Alleine bei Swiss gab es mehrere notwendige Abschaltungen eines dieser P&W-Getriebetriebwerke im Flug, ebenso bei anderen A220-Betreibern wie etwa bei südkoreanischen Fluggesellschaften oder bei der US-amerikanischen Delta Airlines. Mindestens an einem Testflugzeug der CS-Serie von Bombardier, Ausgangsmusters des späteren A220, hatte sich bereits 2014 eine Turbine im Flug komplett zerlegt und Teile nach aussen geschleudert, in der Fachsprache «Uncontained Engine Failure» genannt. Im Dezember 2018 und 2019 mussten bereits alle Triebwerke des A220 zur technischen Modifikation ins Herstellerwerk zu Pratt&Whitney in die USA zurück. Alleine 26 Flugzeuge der Swiss-A220-Flotte waren ebenso wie weitere Lufthansa-Flugzeugtypen davon betroffen und mangels Ersatztriebwerken teils für Monate gegroundet.
Das nun in Graz notgelandete Flugzeug ist ein Airbus A220-300. Dieser Zweistrahler der Airbus-Palette wurde einst vom kanadischen Flugzeugbauer Bombardier als CS-100/300-Serie entwickelt. 2018 mutierte die CS-Serie durch den Verkauf eines Grossteils von Bombardiers Airline-Sparte an Airbus zur A220-100/300.
Die Crew war auf Triebwerkausfall trainiert
Passagiere an Bord des A220 in Graz wollen laut Medienberichten eine etwaige Explosion in einer der beiden Turbinen gehört haben. Das könnte möglicherweise sogar auf einen Uncontained Engine Failure hinweisen. Dass anschliessend Rauch durch vermutlich verbranntes Öl über die Klimaanlage in die Kabine gerät, lässt sich konstruktiv nicht verhindern und ist auch bei nahezu allen anderen modernen Flugzeugtypen so.
Warum sich der Rauch aber anscheinend so stark ausbreitete, dass die Kabinencrew laut Aussagen mehrerer Passagiere die für diesen Fall vorgeschriebenen Schutzhauben anzog und die Piloten eine Notlandung einleiteten, ist noch unklar. Denn der Ausfall eines Triebwerks ist in einem Zweistrahler wie dem A220 normalerweise problemlos für die Crew zu verkraften, das wird im Simulator auch oft geprobt. Zudem kann der A220 nach Ausfall einer Turbine von seiner Leistung her selbst zu einem weiter entfernten Ausweichflughafen fliegen und dort üblicherweise eine sogenannte Sicherheitslandung vornehmen.
Warum das in diesem Fall nicht so war, müssen nun Untersuchungen des Bundesamtes für Zivilluftfahrt zusammen mit Experten der Swiss und den Herstellern Airbus und Pratt&Whitney ergeben. Dann wird auch entschieden, ob der Vorfall in Graz möglicherweise Konsequenzen für die gesamte Flotte aller Betreiber mit den betreffenden Turbinen von Pratt&Whitney hat.
Swiss erklärte allerdings bereits in einer Stellungnahme am 26. Dezember:
«Wie andere Fluggesellschaften führen auch wir weiterhin Flüge mit dem A220 durch, da wir auf Basis unserer aktuellen Analysen und in enger Abstimmung mit den zuständigen Stellen keine Hinweise darauf haben, dass die Sicherheit des Flugzeugtyps infrage gestellt ist.»
Die Fluggesellschaft betont zudem: «Wir stützen uns bei Entscheidungen, ob ein Flugzeugtyp weiterhin eingesetzt werden kann, immer auch auf die Vorgaben und Erkenntnisse der zuständigen Behörden sowie der Hersteller des Flugzeugs und der Triebwerke. Alle signalisieren uns derzeit, dass kein grundsätzliches, sicherheitsrelevantes Problem vorliegt.»