Der FC Zürich will sich neu erfinden. Dabei irritiert der Klub mit seltsamer Kommunikation und fragwürdigen Entscheiden. Mit dem 1:0 gegen GC gelingt ein kleiner Befreiungsschlag.
Es gibt einige vielsagende Szenen, Gesten und Meldungen, die den Zustand des FC Zürich in diesen für ihn schwierigen Wochen dokumentieren. Sie fügen sich zum widersprüchlichen Bild eines Klubs zusammen, der wieder einmal im Umbruch ist und Unruhe ausstrahlt. Wer es nett mit dem FCZ meint, könnte darauf hinweisen, dass der Verein seine Emotionalität durch den gesamten Betrieb intensiv lebt. Präziser ist die Feststellung, dass der FCZ regelmässig mit Aktionismus in selbstgemachten Krisen feststeckt – mit der überraschenden Meistersaison 2021/22 als Ausreisser.
Am Samstagabend setzte sich der FC Zürich in einem schwachen Derby gegen GC nach je einer frühen roten Karte mit 1:0 durch. Der FCZ-Präsident Ancillo Canepa umarmte danach den Trainer Bo Henriksen und weitere Mitarbeiter in einer Art, die ausdrückte, wie befreiend dieser erste Sieg seit 77 Tagen war. Damals hatte der FCZ im Letzigrund gegen den Meister YB 3:1 gewonnen und galt überraschend als Titelkandidat.
Das ist lange her. Die Achterbahnfahrt ist eine treue Begleiterin des FCZ. Überzeugen vermochte er gegen die Grasshoppers erneut nicht, er blieb über weite Strecken harmlos und schwerfällig, erspielte sich kaum Chancen; das Siegtor erzielte Antonio Marchesano mit einem Elfmeter, den der junge GC-Spieler Tim Meyer mit einem ungeschickten Einsteigen verursacht hatte. Selbst Bo Henriksen sagte: «Es war ein wirklich schlechtes Spiel.»
Ancillo Canepa stellt sein Talent als Texter unter Beweis
Nach sieben sieglosen Partien mit nur drei Punkten ist dem FCZ gegen GC immerhin ein kleiner Befreiungsschlag gelungen. Doch die Situation bleibt angespannt. Auf dem Weg, den Klub neu zu erfinden, wie das Canepa ausruft, sind in den letzten sechzehn Monaten fast alle Leute auf Führungspositionen ausgetauscht worden. Und seit Milos Malenovic im letzten Herbst seine Arbeit als Sportchef und Erfinder des neuen FCZ offiziell aufgenommen hat, läuft es dem Team in der Super League nicht mehr so gut. Das mag Zufall sein. Veränderungen benötigen Zeit. Aber zu viele Veränderungen können zu Verunsicherung führen.
Klar geworden ist, wie der FCZ diese heikle Übergangszeit moderieren will: mit einer Wagenburg-Mentalität. Der Präsident Canepa verschickte im Verlauf der letzten Woche fast täglich neue, persönlich gezeichnete Pressemitteilungen und kritisierte in Interviews «ahnungslose» Journalisten, die «Räubergeschichten» erfänden. Dabei hatten sich angebliche Räubergeschichten in den letzten Monaten als korrekt erwiesen. Zum Beispiel, dass Malenovic im Anschluss an sein Beratermandat Sportchef werden würde. Oder dass Henriksen Ende Saison den FCZ verlassen werde.
Am letzten Freitag sassen Malenovic und Henriksen an einer Pressekonferenz nebeneinander und erklärten, warum der Trainer den FCZ Ende Saison verlasse. Fragen dazu waren nicht erlaubt. Die beiden präsentierten keine Räubergeschichten, aber sie trugen mit bemerkenswerter Phantasie vor, dass im Grunde genommen alles super sei. So super, dass es keine gemeinsame Zukunft gibt.
Bereits in einer Pressemitteilung hatte der Präsident Canepa sein Talent als Texter unter Beweis gestellt, als er Henriksen wie folgt zitierte: «Ich hatte und habe eine magische Zeit bei diesem Fussballverein. Phantastische Fans, engagierte und kompetente Besitzer, ein super talentierter und inspirierender Sportdirektor, ein exzellentes Personal, und vor allem liebe ich die Art und Weise, wie meine Spieler mich aufgenommen haben und wir uns gemeinsam weiterentwickelt haben. Ich sehe eine grosse Zukunft für diesen Fussballverein.»
Liest sich wie ein Märchen und nicht wie eine Räubergeschichte. Und ist es da nicht nachvollziehbar, dass Henriksen nach sechzehn Monaten eine neue Herausforderung sucht? Wer arbeitet schon gerne im Paradies mit grosser Zukunft? Unter engagierten und kompetenten Klubbesitzern, die einem einen super talentierten und inspirierenden Sportdirektor zur Seite stellen, der dummerweise eine ganz andere Philosophie verfolgt?
Canepa und Malenovic hatten Henriksen mit kritischen Äusserungen vor der Winterpause destabilisiert, als der FCZ innert weniger Tage Rang 1, Ruhe und Reife verlor. Nun haben sich die Verantwortlichen dafür entschieden, mit einer «Wir hier drinnen und ihr da draussen»-Haltung Zusammenhalt zu demonstrieren.
Der Logik entsprach das Vorgehen nicht immer. Der Spieler Fabian Rohner etwa wurde aussortiert und später begnadigt, der dringend benötigte Goalgetter wurde in der Winterpause nicht verpflichtet, die Frage zur Zukunft des Trainers wurde monatelang nicht geklärt.
Auch der neue Sportchef Malenovic betreibt Schelte
Der Sportchef Malenovic liess bei seinem Auftritt am Freitag durchblicken, dass er sich bei den besten Sportchefs Europas habe ausbilden lassen und immer genau wisse, was er mache. Und: Auch er nutzte die Gelegenheit zur Medienschelte.
Denn letzte Woche musste sich der FCZ mit der Geschichte eines Newsportals beschäftigen, wonach Malenovic den talentierten FCZ-Junior Giacomo Koloto an dessen 16. Geburtstag übel beschimpft und ihm vor die Füsse gespuckt habe, weil Koloto zum FC Basel wechselt. Dieser Vorgang sei frei erfunden, meldete der FCZ. Er drohte mit einer Strafanzeige – die es nun doch nicht gibt, weil sich die Verantwortlichen des Newsportals entschuldigt haben. Übrigens nur dafür, dass sie den FCZ vor der Veröffentlichung des Artikels nicht kontaktiert hatten.
Es gibt weitere Meldungen, womöglich nicht alle falsch und frei erfunden, über Malenovics forsches Auftreten. Der Sportchef sagte am Freitag, man dürfe ihn immer anrufen, bevor man Geschichten schreibe, die nicht stimmten und nur geschrieben würden, um Klicks auf den Websites zu generieren. Zuvor hatte es monatelang geheissen, man dürfe Malenovic nicht direkt kontaktieren.
Es ist zuweilen kompliziert mit diesem FCZ. Aber jederzeit unterhaltsam. Gäbe es ihn nicht, müsste man ihn erfinden. Und weil er sich gerne als Wundertüte präsentiert, wird sich das glanzlose 1:0 gegen GC im 285. Zürcher Derby dereinst vielleicht als Startschuss einer Siegesserie herausstellen. Auch wenn sich das aus heutiger Sicht eher nach einer Räubergeschichte anhört.